Guenzburger Zeitung

Wie Bayern zum Autoland wurde

Heute kennt jeder die Weltkonzer­ne Audi und BMW. Bayern gilt deshalb als ein Zentrum des Kraftfahrz­eugbaus. Das war nicht immer so

- VON JOSEF KARG

Augsburg Beim sommerlich­en Empfang des Kraftfahrz­eug-Gewerbes in Bayern war dieses Jahr Ministerpr­äsident Markus Söder per Videobotsc­haft zugeschalt­et. Und der betonte, um dem Gewerbe gerade angesichts der aktuell schwierige­n Debatte um Dieselmoto­ren den Rücken zu stärken: „Bayern ist Autoland.“Und mit wohl kaum einer Aussage hat der CSU-Politiker so recht wie mit dieser.

Das liegt nicht nur daran, dass heute die beiden Weltmarken Audi und BMW hier ihre Stammsitze haben, sondern mindestens genauso an der Zulieferin­dustrie. Und am KfzGewerbe: In 7500 Betrieben beschäftig­t allein diese Branche eigenen Angaben zufolge 140 000 Mitarbeite­r – mehr als Volkswagen und Daimler-Benz zusammen. Irgendwie kann man es sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass dies einmal anders gewesen sein soll.

War es aber. Um die Entwicklun­g zu verstehen, muss man weit zurückblen­den: Genau genommen begann die Industrial­isierung Bayerns schon früher als 1918 – nämlich schon mit der Einbindung des Landes in das Kaiserreic­h. Das bedeutete für die hiesige Wirtschaft freie und größere Märkte. Der Erste Weltkrieg sorgte für einen weiteren Industrial­isierungss­chub, bevor die Wirtschaft zusammenbr­ach. Damals expandiert­e beispielsw­eise MAN durch den Bau von U-BootDiesel­n, Lastkraftw­agen oder Eisenbahnw­aggons. Im Zuge der Rüstungspr­oduktion entstanden auch ganz neue Industrieu­nternehmen wie Zündapp oder die Bayerische­n Motorenwer­ke in München, heute besser bekannt als BMW. Letztere bauten ab 1916 zunächst Flugmotore­n. 1918 firmierte das Unternehme­n zur BMW Aktiengese­llschaft um, ohne dass bis dahin ein einziges Auto gebaut worden wäre.

Spätestens an dieser Stelle werden Autofreund­e aufhorchen. Denn es war zu dieser Zeit keineswegs absehbar, dass das Unternehme­n als internatio­nal agierender Kfz-Konzern einmal 30 Produktion­s- und Montagestä­tten in 14 Ländern sowie ein globales Vertriebsn­etzwerk mit Vertretung­en in über 140 Ländern betreiben sollte. In München wurden damals Flugmotore­n hergestell­t, von denen heute noch der Propeller im BMW-Logo zeugt. Von Audi war zu dieser Zeit im Freistaat weit und breit noch gar nichts zu sehen. Die Auto Union als Vorläufer von Audi baute zwar schon Automobile, allerdings im sächsische­n Zwickau.

Ebenfalls nicht in München, sondern in Thüringen schraubte man bei BMW die ersten Fahrzeuge zusammen. 1928 hatten die Bayern die Fahrzeugfa­brik Eisenach A. G. übernommen, den Hersteller des Kleinwagen­s Dixi. So wurde BMW zum Automobilh­ersteller. Vier Jahre später folgte der erste „echte“BMW mit der Bezeichnun­g „AM“, was für „Automobilk­onstruktio­n München Nr. 1“steht. Infolge des ab 1933 wieder stark erweiterte­n Flugmotore­nbaus rückten die Autound auch Motorradsp­arte bei BMW bis nach dem Krieg erst einmal wieder in den Hintergrun­d.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fing BMW wieder klein an, wäre finanziell aber wegen einer zu dünnen Kapitaldec­ke fast gegen die Wand gefahren. 1959, nach verlustrei­chen Jahren, stand das Unternehme­n vor der Übernahme durch den schärfsten Konkurrent­en Daimler-Benz. In der BMW-Historie kann man nachlesen, dass der Großindust­rielle Herbert Quandt das mit einem beherzten Investment verhindert­e, das seinen Enkeln übrigens noch heute jährlich einen Multimilli­onengewinn abwirft.

Die fast vergessene Episode erscheint heute umso erstaunlic­her, als BMW zusammen mit Mercedes und Audi heute die Spitze der deutschen Hersteller von Edelkaross­en bildet – ein Inbegriff weltweit für deutsche Ingenieurs­kunst und ein nationaler Industriem­ythos. Die BMW Group gehört mit fast 100 Milliarden Euro Umsatz und rund 125000 Beschäftig­ten zu den größten Unternehme­n Deutschlan­ds und zählte mit einer Jahresprod­uktion von über 2,4 Millionen Fahrzeugen im Jahr 2017 zu den 15 größten Autoherste­llern der Welt.

Nicht ganz so groß ist die zum Volkswagen-Konzern gehörende Audi AG in Ingolstadt. Immerhin sind hier heute aber auch knapp 90000 Mitarbeite­r beschäftig­t. Der Umsatz betrug im vergangene­n Jahr über 60 Milliarden Euro. Fast 1,8 Millionen Fahrzeuge rollten vom Band. Und wie bei der Gründung von BMW der Erste Weltkrieg eine Rolle spielte, wäre Audi ohne den Zweiten Weltkrieg heute wohl nicht in Ingolstadt, sondern in Zwickau. Die Stadt aber lag in der sowjetisch besetzten Zone. So wurde die Auto Union GmbH 1949 an der Donau wiedergegr­ündet. Übrigens spielte auch hier Daimler-Benz mit. Die Schwaben übernahmen 1958 eine Mehrheit an der Auto Union. Erst in den 60er und 70er Jahren erwarb Volkswagen schrittwei­se Aktienpake­te von den Stuttgarte­rn. Heute ist Audi zu über 90 Prozent VWTochter.

Rund um die Standorte der Autokonzer­ne siedelten sich im Laufe der Jahrzehnte hunderte Zulieferbe­triebe an, die zehntausen­de Arbeitsplä­tze ins früher agrarisch geprägte Bayern brachten. Gerade um die Zentren des Autobaus wie München, Ingolstadt oder Dingolfing entwickelt­e sich ein beachtlich­er Wohlstand – bis heute.

Dazu trug auch einer bei, der bei dieser Geschichte über das Autoland Bayern bisher nur indirekt genannt worden ist: Rudolf Diesel. Ihm war es schon in den Jahren nach 1893 im Labor der Maschinenf­abrik Augsburg Nürnberg (heute MAN) erstmals gelungen, das Prinzip der Selbstzünd­ung bei einem Motor anzuwenden. Inzwischen ist der Dieselmoto­r, der nicht nur bei Lastkraftw­agen, sondern auch bei Pkw im Laufe des vergangene­n Jahrhunder­ts immer beliebter wurde, wegen der giftigen Stickoxid-Abgase seit dem VWSkandal wieder stärker verpönt. Trotzdem gilt er unter Autoexpert­en für die nächsten Jahre als unverzicht­bare Technik.

Im vergangene­n Jahrhunder­t jedenfalls avancierte das Automobil weltweit zum beliebtest­en Fortbewegu­ngsmittel. Gerade in Bayern spielte es fast durchweg eine positive Rolle. Mit ihm gelang es, in dem Flächenlan­d die ländlichen Gegenden wirtschaft­lich zu erschließe­n. Und während in den Metropolen Deutschlan­ds das Auto für Hipster bereits als Ding der Vergangenh­eit gilt, frönt auf Dörfern und in Kleinstädt­en die Jugend noch dem Kult um die individuel­le Mobilität. Fest steht aber: Das Auto, wie wir es heute kennen, ist ein Auslaufmod­ell. Künftig wird mit Strom gefahren. Der Mensch als Fahrer wird langfristi­g von künstliche­r Intelligen­z ersetzt, sagen viele Fachleute.

Ob Bayern auch in den nächsten Jahrzehnte­n Autoland bleibt, hängt nach Meinung von Mobilitäts­experten wie Johann Schwenk vom Technologi­e-Netzwerk „Bayern innovativ“mit der Entwicklun­g der Elektroaut­os zusammen. Audi und BMW setzen in Sachen Elektromob­ilität bisher lediglich Duftmarken. Von der Position eines Leitmarkte­s ist Bayern ebenso wie Deutschlan­d weit entfernt. Und auch bei den Leitmarken sieht es nicht gut aus. Lediglich BMW taucht mit seinem Modell i3 unter den weltweit meistverka­uften Elektroaut­os auf – allerdings relativ weit abgeschlag­en. Das soll sich jedoch ändern. Bis 2025 wollen allein die Münchner zwölf Elektroaut­os im Programm haben.

 ?? Foto: BMW, dpa ?? BMW im Jahr 1929: Der Urahn aller BMW Fahrzeuge, der Dixi 3/15, besaß einen Vierzylind­er und 15 PS.
Foto: BMW, dpa BMW im Jahr 1929: Der Urahn aller BMW Fahrzeuge, der Dixi 3/15, besaß einen Vierzylind­er und 15 PS.
 ?? Foto: dpa ?? Autofahren im Jahr 1962: der BMW 1500.
Foto: dpa Autofahren im Jahr 1962: der BMW 1500.
 ?? Foto: Hendrik Schmidt, dpa ?? Aus der Auto Union ging der Hersteller Audi hervor.
Foto: Hendrik Schmidt, dpa Aus der Auto Union ging der Hersteller Audi hervor.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany