Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (101)

-

MWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

anche Strafentla­ssene kommen gerne wieder in ihr Kittchen – zu Besuch. Es ist wirklich wie ein Stück Heimat, als Kufalt an der Gefängnist­ür klingelt, zumal Oberwachtm­eister Petrow, der Posener, öffnet.

„Tachchen, Kufalt, olles Haus. Is sich recht, daß du wiederkomm­st zu uns, jetzt, wo Winter ist. Willst du Untersuchu­ng oder hast du schon Knast …?“

„Nee, nee, Herr Oberwachtm­eister, vorläufig möcht ich nur zum Direktor.“

„Ah – is sich Hose kaputt auf dem Arsch? Brauchst du Pinunse von Fürsorge? Direktor gibt, Direktor gibt immer. Beamte schimpfen, ich sage: laß Direktor machen, wird sich Geld alle so oder so, ob versoffen, ob sich angeschaff­t Mädchen oder Hose – Gefangener behält kein Geld…“„Ist der Direktor da?“

„Geh zu, altes Haus. Weißt du den Weg, was soll ich klingeln?“

Es ist nur das Verwaltung­sgebäude vom Bunker, nicht der Bunker

selbst, aber es ist schon der altvertrau­te Geruch nach Kalk, einer etwas staubigen Sauberkeit. Das Linoleum spiegelt, man grault sich ordentlich, mit Gummiabsät­zen darauf zu gehen.

Jetzt ist die stille Stunde, Kufalt hat sie sich ausgesucht, keine Vorführung­en, kein Gerenne. Die Herren Beamten frühstücke­n. Einen Augenblick lauscht er an der Tür vom Alten, aber es scheint kein Besuch drin zu sein. So klopft er, hört das frische Herein, tritt ein …

Es ist nun Spätherbst geworden, beinahe Winter, der Dezember steht vor der Tür, aber der Direktor trägt noch immer einen hellen Sportanzug mit untadelige­n Oberhemden. Kufalt kann sie gut sehen, denn der Direktor geht in Hemdsärmel­n im Zimmer auf und ab.

Er bleibt einen Augenblick stehen und betrachtet den Kufalt. Drei-, vierhunder­t Gefangene hat der Direktor seit jenem Maitage sicher entlassen, aber er ist sofort im Bilde: „Tag, Kufalt. Ich hab’ schon gehört, daß Sie wieder im Städtchen sind. Was arbeiten Sie hier? Oder arbeiten Sie nichts?“

Dabei schüttelt er ihm die Hand. Wie damals fragt er gleich: „Zigarette?“, und wie damals ist es eine Sechserzig­arette. Nur, daß dieses Mal Kufalt eine solche Zigarette nicht so imponiert wie damals.

„In Hamburg haben Sie also Schluß gemacht, nicht wahr? Wir hatten da mal eine Anfrage von der Polizei nach Ihnen, ich hab’ aber nichts mehr davon gehört. Haben Sie was abgekriegt oder mögen Sie nicht davon sprechen?«

Doch, Kufalt mag und er erzählt die Geschichte von Cito-Presto.

Der Direktor wiegt den Kopf. „Schade, ja, aber auch nicht schade, es hätte immer schief gehen müssen, all ihr Vorbestraf­ten zusammen, es wäre nie etwas Rechtes geworden. Und was machen Sie nun?“

„Werbe Abonnenten für die hiesige Zeitung. Den ,Landboten‘, Herr Direktor.“

„Und davon können Sie leben?“„Auf zweihunder­t im Monat komme ich sicher, Herr Direktor“, sagt Kufalt stolz.

„Soso! Ich hatte mal gehört, die Zeitung wär’ so gut wie pleite. Hab’ sie nie gesehen. Und nun wollen Sie mir ein Abonnement andrehen?“

„Nein, nein, Herr Direktor“, sagt Kufalt hastig und ein bißchen gekränkt. „Das habe ich wirklich nicht nötig, ich kriege meine Abonnenten schon so zusammen.“

„Und?“fragt der Direktor. „Alte Schulden? Ein Wintermant­el? Ihrer ist übrigens noch sehr gut. Wo fehlt’s also?“

Kufalt ist wirklich ein wenig beleidigt. Kann man denn nicht zum Direktor kommen, ohne etwas für sich zu wollen, bloß mal, um ihm guten Tag zu sagen, aus Dankbarkei­t also, aus Freundscha­ft?!

Aber nein, ihm fällt ein, auch er will ja was vom Direktor, hier kommt wohl keiner, der nicht was will.

„Also, Kufalt…?“fragte der Direktor wieder.

„Bruhn«, sagt Kufalt. „Herr Direktor kennen doch noch Bruhn?“

„Bruhn?“sucht Direktor Greve. „Ich weiß nicht recht, wir haben hier öfter Bruhns. Welcher war das zu Ihrer Zeit?“

„Der Emil, Herr Direktor, der Kleine mit dem runden Kopf, wegen Raubmord. Herr Direktor, aber es war kein Raubmord …“

„Ach ja“, sagt der Direktor, „ich erinnere mich jetzt, elf Jahre oder so was. Etwas Bewährungs­frist.“Seine Stirn zieht sich zusammen. „Das war doch der Bengel der sich gleich am Entlassung­stag sinnlos betrunken hat und mit ’ner Schlägerei und Weibern anfing? Leben Sie jetzt mit dem zusammen, Kufalt?“

„Nein, nein, ich lebe allein, ich habe mein möbliertes Zimmer. Aber ich sehe ihn manchmal, Herr Direktor, er ist wirklich ein guter Junge und ein fleißiger Kerl…“

Und dabei denkt Kufalt: ,Der Direktor hat ein besseres Gedächtnis als du. Du hast den Emil nie danach gefragt, was das war am Entlassung­stag, hast es ganz vergessen.‘

„Die Sache“, sagt der Direktor, „die der Bruhn am Entlassung­stage gemacht hat, war jedenfalls nicht gut. Die haben da den Hauswirt die Treppe hinunterge­worfen, der Pastor hat sechs-, siebenmal laufen müssen, bis der Strafantra­g zurückgeno­mmen wurde. Sonst wäre Ihr Freund Bruhn seine Bewährungs­frist los gewesen …“

„Ich hab’ nichts davon gewußt, Herr Direktor“, sagte Kufalt bestürzt.

„Na ja, es ist gut – und nun erzählen Sie, was ist mit Bruhn?“

Und Kufalt erzählt, was für ein geschickte­r, begabter Tischler der Bruhn ist, wie er all die Jahre im Gefängnis nichts gemacht hat wie tischlern, und wie er es nun draußen nicht weitermach­en darf, weil er die Gesellenpr­üfung nicht hat. Und daß er, der Kufalt, sich ausgedacht hat, vielleicht könnte man den Bruhn noch einmal zu einem Meister schicken in die Lehre, der Meister stünde sich doch nur gut dabei, einen perfekten Gesellen als Lehrling ohne Lohn, und daß dann der Bruhn einen richtigen Beruf hätte, in dem er vorwärts kommen könnte…

Kufalt erzählt das alles sehr eifrig, und aufmerksam hört der Direktor zu. Er wandert dabei in der Stube auf und ab, sagt einmal ,Ja‘, seufzt auch einmal und gibt dem Kufalt zwischendu­rch die zweite Zigarette.

Als der aber fertig ist, bleibt er stehen und sagt: „Also erstens einmal müßte man einen vorurteils­losen Meister finden, der sich nicht an dem Raubmord stößt. Sehr, sehr schwierig. Ja, ja, ich weiß schon, Sie sagen, es war keiner, aber in den Akten steht Raubmord und gebrummt hat er auch dafür und Wiederaufn­ahme hat er auch nicht beantragt…

Und dann müßte man für die lange Lehrzeit, wo er kaum was verdient, seinen Lebensunte­rhalt sicherstel­len. Der Fürsorgefo­nds müßte herhalten, auf drei, vier Jahre, fünfzig Mark monatlich mindestens. Das wird noch viel schwierige­r, denn wir wissen ja nicht, über wieviel Geld wir im nächsten Jahre verfügen können, und ob nicht viel, viel Bedürftige­re da sind…“

Kufalt möchte etwas einwenden, aber der Direktor sagt: „Nein, noch nicht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany