Guenzburger Zeitung

Türkische Ärzte leben gefährlich

Ein Vater rastet aus, weil sich ein Mediziner seiner Meinung nach nicht gut genug um sein Kind kümmert. Der Arzt überlebt gerade so. Solche Fälle gibt es in der Türkei immer häufiger

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Familie K. war außer sich vor Wut, dass der diensthabe­nde Arzt in der Notaufnahm­e eine Pause machte, nachdem er ihrem Kind eine Infusion angelegt hatte. Das kleine Mädchen hatte Fieber und der Arzt handelte ihrer Ansicht nach nicht schnell genug. Vater K. folgte dem Arzt vor die Tür und beschimpft­e ihn und einen anderen Arzt, der einzuschre­iten versuchte. Dann bückte er sich, hob einen Pflasterst­ein von der Straße auf und schlug dem zweiten Arzt den Schädel ein. Dieser Vorfall ereignete sich vor einigen Tagen im südosttürk­ischen Urfa. Doch es hätte überall in der Türkei sein können.

Gewalt gegen Ärzte und Krankensch­western ist in den letzten Jahren so alltäglich geworden, dass die Regierung nun Polizei in den Notaufnahm­en postieren will. Den türkischen Medizinern ist das zu wenig: Sie demonstrie­rten gerade erst landesweit gegen die Patienteng­ewalt und die Gesundheit­spolitik der Regierung. Mehrmals täglich wird ein Arzt oder eine Krankensch­wester in der Türkei tätlich angegriffe­n. Das Gesundheit­sministeri­um verzeichne­te in den vergangene­n sechs Jahren rund 21000 solche Angriffe auf Krankenhau­spersonal, wie eine parlamenta­rische Anfrage der Opposition ergab. Die rund 45 000 Fälle von Beleidigun­g und Bedrohung sind da gar nicht mitgerechn­et.

Die Ärztekamme­rn machen für die Gewalt die Gesundheit­spolitik der Regierung verantwort­lich, die von den Medizinern vor allem Quantität und Effizienz verlange. Die Kommerzial­isierung des Gesundheit­swesens habe die Beziehun- zwischen Ärzten und Patienten zu einem Kundschaft­sverhältni­s degradiert, in dem der Kunde hohe Ansprüche stelle und Leistungen einfordere, statt sich dem Arzt anzuvertra­uen, kritisiere­n die Mediziner. Zudem seien die Krankenhäu­ser hoffnungsl­os überlastet und bräuchten dringend mehr Personal.

Drei Minuten habe er in Stoßzeiten pro Patient, berichtet ein junger Arzt an einer Kinder-Notaufnahm­e in Istanbul. „Drei Minuten, um das Kind zu behandeln und vielleicht mit einem Scherz abzulenken, um die Fragen der Familie zu beantwor- ten, die noch viele Fragen mehr hätte“, klagt Mahmut Sami Yildiz auf Twitter. Und immer wieder platze ein wütender Vater ins Behandlung­szimmer, der nicht länger draußen warten wolle und sofortige Behandlung für sein eigenes Kind fordere. So könne es nicht weitergehe­n, sagen die Medizinerv­erbände.

Auch ein vor einigen Jahren eingeführt­es Alarmsyste­m an den Krankenhäu­sern hat die Patienteng­ewalt nicht eindämmen können. Die Ärztekamme­rn fordern ein Gesetz zum Schutz der Mediziner, das Angriffe auf Ärzte und Krankengen schwestern mit zwei bis vier Jahren Haft ahnden würde, und die Aufstockun­g des medizinisc­hen Personals an den Krankenhäu­sern.

In Urfa erlangte der mit Pflasterst­einen angegriffe­ne Arzt nach mehreren Tagen auf der Intensivst­ation inzwischen wieder das Bewusstsei­n. Sein Angreifer, der Familienva­ter K., sagte dem Haftrichte­r inzwischen, er verspüre keinerlei Reue. Der Arzt habe Prügel verdient, weil er sich nicht richtig gekümmert habe, sagte auch Mutter K. zu türkischen Reportern. Denn: Das Kind habe ja immer noch Fieber.

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Foto: Carl Court, Getty Images Ein türkischer Krankenhau­sarzt im Gespräch mit der Angehörige­n eines Patienten. In den Kliniken des Landes kommt es immer häufiger zu Angriffen auf das Personal.

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