Ganz allein ins Kino gehen?
Millionen Menschen sitzen alltäglich allein zu Hause vor der Glotze – aber ohne Begleitung ins Kino zu gehen, das käme für die allermeisten dem Eingeständnis der eigenen Vereinsamung gleich, so traurig in etwa, wie solo ins Restaurant essen zu gehen. Und das Alleinsein hat in Zeiten der digitalen Vollverbindung in sogenannten „sozialen“Netzwerken ja ohnehin ein ganz schlechtes Image, macht krank, ist intransparent und asozial. Man muss doch alles Leben und Erleben teilen, dann gewinnt es an Bedeutung (und an ökonomischem Wert. Und Vereinzelung heißt ja auch sowieso immer: Achtung, Verdunklungsgefahr!
Der Kern des Problems steckt in der zwiespältigen Natur des KinoGangs. Wer den Film als Unterhaltungsprogramm und den Kinogang damit als Ausgehen, als soziales Event ansieht, der wird im Solo ein Defizit erkennen – am kauzigsten ist es vielleicht darum tatsächlich, allein in französische Komödchen oder Action aus Hollywood zu hocken. Wer den Kinogang aber als Begegnung mit Kultur begreift (und darum auch weniger wahrscheinlich in vollen Multiplex-Sälen samt Popkornmampfgeräuschen sitzt), für den ist der Alleingang sogar die deutlich leichtere Version.
Denn in der Reaktion auf Kunst offenbart sich ja gerade das Eigene, das Innerste des Menschen – wenn es denn den Raum dafür erhält. Wenn mal also nicht unmittelbar nach Filmende sein Geschmacksurteil fällen und begründen muss und jeden Funken an Inspiration, Rührung oder Gedanken in Worten zerpflücken. Wenn man also nicht womöglich bereits während des Films mit Reaktionen abgeglichen und mit Kommentaren behelligt wird. Man muss also eine Begleitung haben, neben der man bei sich selbst sein, mit der man vorbehaltlos schweigen kann. Oder ist das etwa bei den allermeisten eine Selbstverständlichkeit?