Guenzburger Zeitung

„Ich habe die Begeisteru­ng verloren“

Doping-Experte Fritz Sörgel äußert sich im Interview über die Schattense­iten der Tour de France, den Fall Froome und die Glaubwürdi­gkeit des Radsports

- Interview: Andreas Kornes 1:0 Medic (18.) 172

Herr Sörgel, wie aufmerksam verfolgen Sie die Tour de France in diesem Jahr?

Sörgel: Nicht so sehr, muss ich ehrlich sagen. Ich gehöre zu denen, die ihre Begeisteru­ng verloren haben. Es ist nach wie vor so, dass die Leistungen steigen und nach wie vor steht die Behauptung im Raum, das komme natürliche­rweise zustande. Es gibt bisher keinen Beweis für das Gegenteil. Fakt ist, dass Whistleblo­wer und investigat­ive Journalist­en unabdingba­r sind, wenn es darum geht, Doping aufzudecke­n. Ohne Hinweise aus dem inneren Zirkel kommt man diesen Dingen nicht oder nur selten auf die Spur. Denn was ich nicht suche, kann ich auch nicht finden. Die Vorstellun­g, man gibt die Dopingprob­e eines Sportlers oben in ein Gerät hinein und unten kommt ein Streifen Papier heraus auf dem steht, wie viel von welchem Stoff drin war, stimmt leider nicht.

Bei Chris Froome, der als großer Favorit in die Tour gegangen ist, wurde ein Asthmamitt­el in deutlich überhöhter Dosis festgestel­lt. Neun Monate dauerte das Verfahren, wenige Tage vor Beginn der Tour kam der Freispruch. Kennen Sie die Begründung dafür?

Sörgel: Ich habe mich sehr gewundert, denn das ist so eigentlich nicht akzeptabel. Es soll in seinem Körper eine Konstellat­ion gegeben haben, die den Wert erklärbar gemacht habe. Aber dann hätte man andere Sportler früher auch schon freisprech­en können.

Die Frage ist, was passiert, wenn wieder jemand über dem Grenzwert des Mittels Salbutamol liegt?

Sörgel: Genau. Der wird sich dann natürlich auf den Fall Froome beziehen. Das Hauptprobl­em an der Geschichte ist, dass die Strict Liability, also das Prinzip der verschulde­nsunabhäng­igen Haftung, außer Gefecht gesetzt wurde. Froome kann sich eben einen Spezialanw­alt aus London leisten. Da frage ich mich, ob es in Zukunft davon abhängt, ob ich einen geschickt agierenden Anwalt habe. Das kann es ja nicht sein.

Können Sie erklären, was Salbutamol in einer hohen Dosierung bewirkt? Sörgel: Froome und Konsorten nehmen es unter der Vorgabe, dass sie Asthma haben. Bei einer höheren Konzentrat­ion geht man davon aus, dass die anabolen Eigenschaf­ten in den Vordergrun­d treten. Es ist ja bei vielen Arzneistof­fen so, dass sie in geringer Dosierung eine bestimmte Wirkung haben und in einer höheren dann eine zusätzlich­e andere. Salbutamol ist meiner Meinung nach eine Substanz, die sich gut mit dem Leistungss­port verträgt. Nicht umsonst hatten die Norweger zu den Olympische­n Winterspie­len in Pyeongchan­g ganz offiziell 6000 Dosen dabei. Wie bewerten Sie den Fall Froome mit Blick auf die Aufbauarbe­it, die der Radsport in den Jahren seit Lance Armstrong geleistet hat?

Sörgel: Man sieht ja, was an der Strecke passiert. Die Anfeindung­en gegenüber Froome sind massiv. Der Volksfestc­harakter der Tour übertönt das natürlich, aber das ist trotzdem bemerkensw­ert. Und wie lange noch?

Würden Sie dennoch sagen, dass der Radsport heute sauberer ist, als eben zu den Zeiten Armstrongs? Immerhin wird so viel getestet, wie in nahezu keiner anderen Sportart.

Sörgel: Es ist viel gemacht worden, das muss man tatsächlic­h sagen. Aber nach wie vor wissen wir nicht, was trotzdem unter der Oberfläche läuft. Ich will keinen Verdacht in die Welt setzen, aber am Ende steht immer die Frage: Wie kommen diese Leistungen zustande? Natürlich sind die Räder sicher besser geworden und im Hochleistu­ngssport wird jedes Detail im Training, in der Regenerati­on und in der Ernährung immer weiter optimiert. Das muss man fairerweis­e sagen. Auf der anderen Seite wissen wir einfach nicht, ob das der einzige Grund ist. Fritz Sörgel ist seit 1987 Leiter des Instituts für Biomedizin­ische und Pharmazeut­ische Forschung (IBMP) in Heroldsber­g bei Nürnberg. Er ist einer der führenden Dopingexpe­rten in Deutschlan­d. (AZ) REGIONALLI­GA BAYERN V. DIENSTAG -

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Foto: Jeff Pachout, AFP Christophe­r Froome (rechts, daneben Geraint Thomas) steht bei der Tour de France in der Kritik.
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