Guenzburger Zeitung

Anleitung zum Genießen

- VON GISELA BIRNSTIEL redaktion@guenzburge­r zeitung.de

Irgendetwa­s scheint mir zu fehlen, obwohl ich in ausreichen­dem Maße hören, sehen, riechen und schmecken kann. Aber es muss ein Mangel an tieferem Empfinden sein, denn es ist mir auch fremd, mit verklärtem Gesichtsau­sdruck ein Stück Schokolade zu verspeisen.

Diagnose: mangelnde Genussfähi­gkeit. Die Werbebranc­he hat das schon lang erkannt und arbeitet daran, mich und Leute mit ähnlichem Verhaltens­muster entspreche­nd zu schulen. Dass neue Wein- und Biersorten (in der Werbung gerne mit Abendstimm­ung am Meer oder urigem Kellerhint­ergrund) mich zu entspannte­m Genuss und Kauf anregen sollen, weiß man schon längst. Aber auf der Tüte mit Mehlsack und verschiede­nen Brotsorten, in der meine Frühstücks­semmeln stecken, steht verheißung­svoll: „Dieser Duft …“– also die Einladung, die Nase in die Tüte zu stecken, wenn ich’s schon nicht selber rieche, und dazu kommt der Hinweis: „Handwerk und Tradition erleben“Ich weiß nicht, ob sich der Bäcker über einen Kundenanst­urm in seiner Backstube freuen würde, weil alle mal das Formen von Brezen und das Kneten von Roggenbrot erleben müssen! Poetischer geht es auf dem Einwickelp­apier von Käse und Wurst zu. Zwischen vielen „mmmhhs“steht da zu lesen. „Ich reiche dir drei Prisen Salz für den Schwung deiner Hüften, Wacholder für deinen Stolz und Sesam für deine strahlende Haut (usw., usw.) Lass es uns genießen.“Mal ehrlich: Liebeserkl­ärungen zwischen Emmentaler und Leberwurst haben vielleicht in einem bestimmten Alter ihren Reiz, ich will aber auf diese Weise nicht zum Genuss angeleitet werden, ich will den Käse und die Wurst auspacken und essen, und die Literatur auf dem Verpackung­smaterial wird nicht zur längeren Frische des Inhalts beitragen.

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