Guenzburger Zeitung

Der überrasche­nde Aufstieg der Grünen

Seit der Bundestags­wahl geht es für die Partei in den Umfragen stetig nach oben. Dafür gibt es gute Gründe. Einer liegt auch im Verhalten der CSU

- VON JÜRGEN MARKS mrk@augsburger allgemeine.de

Als im vergangene­n November die Sondierung­sverhandlu­ngen über eine JamaikaReg­ierung scheiterte­n, standen alle Teilnehmer blamiert da. Scheitern ist kein schöner Zug in der Politik.

Acht Monate später hat sich die Lage geändert. Die zerstritte­ne Union liegt in den Umfragen nur noch bei knapp 30 Prozent. Die FDP hat sich noch nicht davon erholt, dass sie das Projekt scheitern ließ („Lieber nicht regieren als schlecht regieren“).

Einziger Gewinner des Projektver­suchs sind die Grünen. Die Zustimmung für die kleinste Partei im Bundestag (8,9 Prozent) ist in den vergangene­n Monaten stetig gewachsen. Zuletzt lag sie zwischen 14 und 15 Prozent. Es wäre keine Überraschu­ng mehr, wenn sie in absehbarer Zeit sogar die SPD überholt. Denn die Genossen müssen in Berlin in einer Großen Koalition regieren, die bei den Menschen alles andere als beliebt ist.

Der Aufstieg der Grünen ist erklärbar und dennoch kommt er überrasche­nd. Das ist kein Widerspruc­h. Denn der einst als ÖkoTruppe verspottet­en Partei ist schon häufig eine erfolgreic­he Zukunft vorhergesa­gt worden. Schließlic­h steht sie für Themen, die den Zeitgeist einer ganzen Generation prägen: wachsendes Umweltbewu­sstsein und der Wunsch nach mehr Nachhaltig­keit.

Der Klimawande­l, die Luftversch­mutzung in den Städten und der wachsende Müllberg bewegen viele Menschen. Doch das ist schon länger so. Und immer wieder konnten die Grünen nicht wirklich davon profitiere­n. Obwohl sie die Öko-Positionen besetzten, wurden andere Parteien gewählt, die diese Themen eher am Rande spielten. Es gibt aber einige Gründe dafür, dass sich das nun ändern könnte.

In der Flüchtling­sdebatte nimmt vor allem die CSU aus Angst vor der rechtspopu­listischen AfD eine Haltung ein, die Teilen des bürgerlich­en Klientels zu weit geht.

Vielleicht war es Markus Söders kaltherzig­er Spruch über den „Flüchtling­stourismus“, vielleicht war es Horst Seehofers zynisches Bonmot zu den 69 Flüchtling­en, die an seinem 69. Geburtstag abgeschobe­n wurden. Irgendein Tropfen hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Im bürgerlich­en Lager ist jedenfalls eine Abkehr von der CSU spürbar.

Davon profitiere­n die Grünen, die in Bayern als heimatverb­unden und bodenständ­ig gelten, auch wenn sie keinen Winfried Kretschman­n haben. Es ist kein Zufall, dass sie in jüngsten Umfragen bayernweit sogar die zweitstärk­ste Partei sind. Und es ist nicht nachteilig, dass bereits über eine schwarz-grüne Landesregi­erung nach den Wahlen am 14. Oktober spekuliert wird.

Die Grünen mischen zwar auch in der Flüchtling­sdebatte mit. Vor allem die Augsburger Bundestags-Vizepräsid­entin Claudia Roth macht mit ihrer Fronthaltu­ng gegen die AfD von sich reden. Doch die Partei punktet zurzeit auch mit populären Forderunge­n nach mehr Datenschut­z und einer Steuer für Wegwerfpla­stik.

Und dann ist da noch Robert Habeck. Der Norddeutsc­he, gemeinsam mit Annalena Baerbock Parteichef, ist das Gesicht der neuen Grünen. Habeck versammelt die Partei hinter sich. Die jahrzehnte­langen Streiterei­en zwischen Fundis und Realos scheinen vergessen.

Und er strahlt ins bürgerlich­e Lager aus, weil er für einen grünen Politiksti­l steht, der nun weniger oberlehrer­haft und weltverbes­serisch wirkt. Habeck scheint verstanden zu haben, dass es in der Politik nicht nur um Wahrheiten geht, sondern um bessere Argumente. Diese Erkenntnis wird ihm helfen, wenn er ab September voll in der Bundespoli­tik mitmischt. Denn bis dahin ist er nebenberuf­lich noch Minister in Schleswig-Holstein.

Es geht um Argumente – nicht nur um Wahrheit

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