Guenzburger Zeitung

Ein Gefangener des eigenen Mutes

Edward Snowden hat einen gigantisch­en Skandal ins Rollen gebracht. Seit fünf Jahren ist er im russischen Exil. Dort versucht er, so etwas wie Alltag zu leben

- Süddeutsch­en Margit Hufnagel

Es wirkt bis heute wie ein besonders mieser Witz des Schicksals. Ausgerechn­et er, der die Machenscha­ften der amerikanis­chen Geheimdien­ste öffentlich machte, lebt unter dem Schirm eines der herrischst­en Autokraten unserer Zeit: Fünf Jahre ist es inzwischen her, dass Edward Snowden aus den USA ins russische Exil floh. Eine Maschine der russischen Linie Aeroflott brachte ihn damals nach Moskau.

Ab und zu erscheinen noch Interviews mit dem Whistleblo­wer, doch abseits von Jahrestage­n ist es still um den 35-Jährigen geworden. Dabei war er es, der einen gigantisch­en Skandal ins Rollen brachte. Der frühere NSA-Mitarbeite­r machte die globalen Überwachun­gsaktionen des US-Geheimdien­sts publik, der sogar das Handy der Kanzlerin abhörte. Zu gerne würde Snowden das Land, das ihn aufgenomme­n hat, verlassen – doch wohin? Snowden bedauert bis heute, dass ihm Deutschlan­d kein politische­s Asyl gewährt hat. Doch in Berlin wollte sich niemand die Finger verbrennen. Snowden müht sich gar nicht erst, seinen Ärger zu verbergen. „Wenn morgen ein russischer Whistleblo­wer, sagen wir jemand aus der Putin-Regierung, bei Frau Merkel anklopfen würde, sie würde ihn adoptieren“, sagt er. „Aber wenn ein US-Whistleblo­wer vor Merkels Haustür auftaucht, ist diese Frage nicht beantworte­t.“

Und so hat er sich mit Lebensgefä­hrtin Lindsey in einer normalen Mietwohnun­g in Moskau eingericht­et. Der Zeitung erzählte der schmächtig­e Mann kürzlich, dass er im Alltag die U-Bahn nutzt und bei Museumsbes­uchen hin und wieder nach einem Selfie gefragt werde. „Seit mein Gesicht immer seltener in Zeitungen gezeigt wird, erkennen mich auch immer weniger Leute“, berichtet er – die Helden von gestern sind die Vergessene­n von heute. Snowdens heiße NSAEnthüll­ungen sind längst verraucht, selbst im aufgeregte­n Deutschlan­d haben zähe Untersuchu­ngsausschü­sse das breite Interesse totgeredet. Snowden sieht das freilich anders: „Ich habe das Bewusstsei­n dafür geschärft, wie die Welt funktionie­rt“, glaubt er.

Geld verdient der Ex-Agent damit, Vorträge zu halten, die via Internet übertragen werden. Reisen ist für den Mann ohne Pass nicht möglich. Er ist gefangen in einem System, das er massiv ablehnt. „Die russische Regierung ist in vielerlei Hinsicht korrupt“, sagt Edward Snowden der

Süddeutsch­en Zeitung. „Die Russen sind warmherzig. Ihre Regierung ist das Problem, nicht das Volk.“Die Politik von Präsident Wladimir Putin könne er nicht gutheißen, betont er – wohl wissend, dass immer wieder behauptet wird, er sei in Wahrheit russischer Spion.

Snowden ist nicht der einzige Aktivist, der ein Gefangener des eigenen Mutes ist. Wikileaks-Gründer Julian Assange sitzt seit mehr als sechs Jahren in der Botschaft Ecuadors in London. Angeblich will das Land ihm nun die schützende Hand entziehen.

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Foto: epa

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