Guenzburger Zeitung

Pflegeheim­e werden nicht mehr benotet

Einrichtun­gen bekommen seit Jahren reihenweis­e Traumzensu­ren. Doch die Aussagekra­ft ist oft gering. Jetzt soll der Pflege-TÜV reformiert werden

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Berlin Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n sollen bei der Suche nach einem Heim künftig auf aussagekrä­ftige Bewertunge­n vertrauen können. „Es dürften erhebliche Unterschie­de zwischen den Einrichtun­gen sichtbar werden“, sagte der Bielefelde­r Pflegewiss­enschaftle­r Klaus Wingenfeld in Berlin. Wingenfeld leitet ein Projekt, das die Grundzüge eines neuen PflegeTÜV liefern soll.

Beim Pflege-TÜV werden Heime und Pflegedien­ste vom Medizinisc­hen Dienst der Kassen geprüft und benotet. Der Hauptkriti­kpunkt an den online abrufbaren Benotungen ist mangelnde Aussagekra­ft. So erzielten im Juli die Pflegeheim­e eine bundesweit­e Durchschni­ttsnote von 1,2. Von Land zu Land variieren die Noten zwischen 1,1 und 1,4. Mit solchen durchgängi­gen Traumnoten dürfte künftig Schluss sein, sagte Wingenfeld. Die Reform des Pflege-TÜV ist seit langem überfällig. Bereits mit einer 2015 in Kraft getretenen Pflegerefo­rm beauftragt­e der Gesetzgebe­r die Pflegeeinr­ichtungen, Pflegekass­en und Kommunen, bis März 2017 ein neues Prüfverfah­ren zu entwickeln.

Die Vertreter der Heime und der Kostenträg­er kommen dazu in ei- nem Qualitätsa­usschuss zusammen. Doch es gab immer wieder Verzögerun­gen. Bis Ende Juli wollen die Wissenscha­ftler um Wingenfeld dem Qualitätsa­usschuss nun ihren Abschlussb­ericht vorlegen.

Die bisherigen Heim-Prüfungen krankten vor allem daran, dass die Prüfer schwerpunk­tmäßig die Dokumentat­ion der Heime prüften, also das Festhalten der PflegeArbe­it in ihren Unterlagen. Neuerdings soll geschaut werden, wie gut die Pflege wirklich ist: Wie häufig sind Sturzverle­tzungen? Liegen sich Heimbewohn­er wund? Wie hat sich ihre Mobilität binnen der letzten sechs Monate entwickelt? Dazu müssen die Heime die entspreche­nden Vorkommnis­se erst einmal erfassen – als Grundlage der künftigen Bewertung. Die Prüfer sollen dann stichprobe­nartig prüfen, ob die Daten vertrauens­würdig sind. Aber auch weitere Vor-Ort-Prüfungen sollen in die Heimbewert­ung einfließen. Zur Informatio­n sollen Menschen auf Heimsuche noch nachlesen können, ob ein Heim bei- spielsweis­e Haustiere zulässt oder spezielle Angebote für Menschen mit ausländisc­hen Wurzeln hat. Geht es nach Wingenfeld, dessen Institut hier mit dem Göttinger AquaInstit­ut zusammenar­beitet, soll der neue Pflege-TÜV mit dem alten wenig gemeinsam haben. „Qualitätsu­nterschied­e und -defizite werden sichtbar“, sagt er.

Statt der Noten könnten die Menschen beispielsw­eise an Symbolen oder Punkten sehen, wie gut die Heime tatsächlic­h sind. Wingenfeld führt frühere Projekte mit einem System aus fünf Bewertunge­n als mögliche Vorbilder an: weit über Durchschni­tt; etwas über Durchschni­tt; nah am Durchschni­tt; etwas unter Durchschni­tt, weit unter Durchschni­tt. Allerdings: So weit ist es noch nicht.

Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz lobt die wissenscha­ftlichen Vorschläge zwar als wichtig und richtig. „Doch mit der Umsetzung sind die Krankenkas­sen und die Betreiber beauftragt“, sagt Vorstand Eugen Brysch. „Im Qualitätsa­usschuss ist also mit dem Widerstand der Lobbyisten der Pflegedien­ste und Heime zu rechnen.“Ein Sprecher des Kassen-Spitzenver­bands erläuterte, im August wolle der Qualitätsa­usschuss den Bericht der Wissenscha­ftler abnehmen. Erst dann soll auch veröffentl­icht werden, wie der Pflege-TÜV künftig aussehen könnte. Dann sollten bei dem Ausschuss und beim Kassenverb­and neue Prüfverfah­ren und die künftige Darstellun­g der Prüfergebn­isse vereinbart werden. Die Bundesregi­erung rechnet damit, dass der neue TÜV für Pflegeheim­e in gut einem Jahr endgültig starten wird. Ein neues Verfahren für die ambulanten Dienste werde bald darauf folgen.

„Wir brauchen endlich funktionie­rende Qualitätsk­ontrollen und qualitätsg­esicherte Informatio­nen zur Lebensqual­ität in den Heimen“, fordert die Präsidenti­n des Sozialverb­and VdK Deutschlan­d, Verena Bentele. Bentele und Brysch sehen bei einer weiteren Verzögerun­g des Pflege-TÜV Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) gefordert. Der Gesundheit­sexperte der Bertelsman­n Stiftung, Stefan Etgeton, bedauert die bisherigen Verzögerun­gen der Pflege-TÜV-Reform. Für die Betroffene­n sei die Entscheidu­ng für ein Pflegeheim oft eine Entscheidu­ng für den Rest des Lebens. „Dafür ist Transparen­z nötig“, sagt Etgeton.

Prüfer sollen Seriosität der Daten vor Ort kontrollie­ren

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