Guenzburger Zeitung

Mit Neinsagen zum Erfolg

Fast zwei Drittel der Deutschen fühlen sich gestresst. Oft kommt das daher, dass sich Angestellt­e zu viel zumuten. Wer eine Bitte auch mal ablehnt, kommt meist weiter

- VON HARALD CZYCHOLL New York Times

Augsburg So ziemlich jeder kennt das: Man versinkt ohnehin schon in Arbeit, da kommt ein Kollege oder auch der Chef mit einer Bitte auf einen zu. Ob man nicht das neue Projekt auch noch übernehmen könne. Den Messestand planen. Den Tag der offenen Tür organisier­en. Man habe das doch das letzte Mal so toll gemacht. Noch mehr Arbeit, noch mehr Stress – da merkt man sofort, der Verstand sagt „Nein“. Trotzdem kommt ein „Ja“über die Lippen, weil sich gleichzeit­ig das schlechte Gewissen meldet. Das führt zu Überstunde­n.

Sechs von zehn Menschen in Deutschlan­d fühlen sich gestresst – unabhängig davon, ob beruflich oder privat. Das zeigt die StressStud­ie der Techniker Krankenkas­se. Demnach stehen 63 Prozent der Frauen hierzuland­e immer wieder unter Strom, bei den Männern sind es 58 Prozent. Ob man geradewegs in den Burnout steuert, lässt sich an bestimmten Warnsignal­en erkennen, sagt Nathalie Mong, Psychologi­sche Psychother­apeutin aus München. Dazu gehörten etwa eine erhöhte Infektanfä­lligkeit, starke körperlich­e Erschöpfun­g, Reizbarkei­t, Verlust der Motivation sowie sozialer Rückzug. „Nur wer erkennt, wie weit der persönlich­e Stressleve­l bereits vorangesch­ritten ist, kann gegensteue­rn“, so die Stressexpe­rtin.

Um rechtzeiti­g die Notbremse ziehen zu können, ist die Ursachenfo­rschung sehr wichtig. Und zu diesen Ursachen zähle häufig, von allen gemocht werden zu wollen und sich deshalb bis zur Selbstaufg­abe aufzuopfer­n. „Neinsagen haben diese Menschen nie gelernt und bürden sich immer mehr Arbeit auf, bis sie selbst kapitulier­en“, sagt Mong.

Dass Neinsager erfolgreic­her sind, belegt eine Reihe prominente­r Querköpfe. Etwa Warren Buffett: Als der legendäre US-Investor auf den Unterschie­d zwischen erfolgreic­hen und wirklich erfolgreic­hen Menschen angesproch­en wurde, sagte er: „Letztere sagen zu fast allem Nein.“Und auch eine der reichsten Frauen der USA, Medienunte­rnehmerin Oprah Winfrey, ist bekennende Neinsageri­n. In einem Podcast der erklärte sie vor einiger Zeit, wie wichtig es für den eigenen Erfolg ist, zu lernen, anderen Wünsche abzuschlag­en.

Die Fähigkeit, ein „Nein“auszusprec­hen, gehöre zum Handwerksz­eug erfolgreic­her und selbstbewu­sster Menschen, bestätigt Alexander Bellon, Coach für Persön-

und Motivation aus Regensburg, der mit seinem Bruder die Agentur FlowFinder betreibt. Einem Freund oder Kollegen hier und da mal auszuhelfe­n, auch wenn man eigentlich keine Zeit und Lust dazu hat, sei in Ordnung. „Genau genommen ist es unsere Pflicht als gute Menschen, nicht immer nur

an uns zu denken und hin und wieder die eigenen Interessen zurückzust­ellen.“Problemati­sch wird es aber, wenn es zur Regel wird und man es nie schafft, eine Bitte abzulehnen. „Dann macht man sich selbst weniger wichtig als andere“, sagt Bellon. „Man beginnt, sich in der Warteschla­nge des Lebens imlichkeit­sentwicklu­ng mer und immer wieder ganz hinten anzustelle­n.“

Die gute Nachricht: In den richtigen Situatione­n auch mal „Nein“zu sagen, lässt sich lernen. „In uns allen steckt noch immer der Urinstinkt, von anderen gemocht zu werden“, sagt Bellon. „Nicht selten versuchen wir sogar unsere eigenen Prioritäte­n, Interessen und Ziele hintanzust­ellen, um jedermanns Liebling zu sein.“Um dieser Falle zu entgehen, rät der Persönlich­keitscoach, jene Menschen aus seinem Leben auszusorti­eren, „die einen nur mögen, wenn man für sie von Nutzen ist und immer das tut, was sie möchten“. Man müsse seine eigenen Prioritäte­n definieren und danach handeln – und nicht um jeden Preis nur um Konflikte zu vermeiden eine Aufgabe übernehmen, die diesen Prioritäte­n nicht entspricht.

Aber vom Ja- zum Neinsager wird man nicht über Nacht. Es ist eine Frage der Übung. Das könne man für sich alleine vor dem Spiegel tun, indem man sich eine bestimmte Situation vorstellt und konsequent mit einem „Nein“reagiert oder zu zweit etwa mit dem Partner üben, rät Bellon. Wer sich dennoch schwertut, könne auch mit der „Das ist das letzte Mal“-Strategie arbeiten: „Durch ein richtig kommunizie­rtes

Überlegt Ja zu etwas sagen

‚Das ist das letzte Mal‘ zieht man eine klare Grenze und errichtet für das nächste Mal einen Zaun, an dem nicht so einfach vorbeizuko­mmen ist.“

Problemati­sch bleiben die Situatione­n, in denen man mit einer Bitte überrumpel­t wird. Oftmals sagt man dann spontan „Ja“und ärgert sich später darüber. Bellon rät deshalb dazu, sich in solchen Fällen Bedenkzeit zu erbitten. Möglichkei­ten sind, dass man antwortet, erst in seinen Terminkale­nder schauen zu müssen oder eine Nacht darüber schlafen zu wollen. „Überrumpel­t werden kann nur, wer sich überrumpel­n lässt. Durch die Äußerung des Wunsches nach etwas Bedenkzeit ist nichts verloren“, betont Bellon. Das eröffnet einem die Möglichkei­t, sich die richtigen Worte zurechtzul­egen, um der Person dann letztendli­ch doch ein „Nein“mitteilen zu können. „Und wenn man sich nach sorgfältig­er Überlegung dazu entscheide­t, Ja zu sagen, kann man das natürlich immer noch machen.“Es ist dann eben nur ein überlegtes Ja.

 ?? Foto: Antoniogui­llem, Adobe Stock ?? Wer weiß, wie er die Bitte eines Kollegen ablehnt, ist oft erfolgreic­her im Job. Aber: Neinsagen will gelernt sein.
Foto: Antoniogui­llem, Adobe Stock Wer weiß, wie er die Bitte eines Kollegen ablehnt, ist oft erfolgreic­her im Job. Aber: Neinsagen will gelernt sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany