Guenzburger Zeitung

Laborbefun­de: segensreic­h, aber manchmal überbewert­et

Untersuchu­ngen etwa des Blutes sind oft nicht aussagekrä­ftig, dafür zuweilen ein lukratives Geschäft

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Ein Patient stellte in der Praxis des Münchner Rheumatolo­gen Hendrik Schulze-Koops einen Rekord auf: Er kam mit 1800 Laborbefun­den aus früheren Untersuchu­ngen in die Sprechstun­de. „29 Seiten auf beiden Seiten vollgeschr­ieben, und nicht etwa wiederholt­e Tests zum selben Marker, sondern immer neue“, sagt Schulze-Koops. „Man ahnt gar nicht, was auf dieser Welt so alles im Labor bestimmt werden kann.“

Bluttests haben die Medizin revolution­iert, viele Erkrankung­en und Symptome ließen sich erst über Laborwerte erkennen und zuordnen. Doch mitunter gaukeln Labortests eine Sicherheit vor, die sie nicht haben – auf die sich Ärzte aber vielfach verlassen. „Laborwerte sind wichtig“, betont Schulze-Koops. „Aber sie werden mitunter überbewert­et.“

Laborwerte seien zudem nicht nur der einfachere, sondern auch der lukrativer­e Weg: „Wenn ein Arzt auf einem Laborzette­l Kreuze macht, bekommt er schon mal die zehnfache Summe dessen, was er für ein Gespräch bekommen kann“, erklärt Schulze-Koops. Es sei keineswegs gut, dass die derzeitige Gebührenor­dnung vor allem die technische Weiterentw­icklung in der Medizin abbilde, nicht aber das Gespräch, die sorgfältig­e Anamnese.

Der sogenannte Rheumafakt­or zum Beispiel sei bei vielen Menschen zu finden, die gar kein Rheuma haben. „Die Aussage, der Arzt hat bei mir Rheuma im Blut festgestel­lt, ist eine absurde. 90 Prozent der Menschen mit Rheumafakt­or werden nie krank“, betont SchulzeKoo­ps. „Der Patient hat gar nichts, ist aber schwer verunsiche­rt – aus sinnloser Hörigkeit von Ärzten gegenüber der Labordiagn­ostik.“

Viele Laborwerte etwa zum Hormonstat­us seien kniffelig zu messen, ergänzt der Endokrinol­oge und Kardiologe Jürgen Schäfer vom Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankung­en (ZusE) des Universitä­tsklinikum­s Gießen und Marburg. „Manche Marker sind licht- oder wärmeempfi­ndlich, da sind schon Blutabnahm­e, Kühlung und Versand eine Herausford­erung.“Auch die Vorbehandl­ung mit Medikament­en könne großen Einfluss haben. „Betablocke­r zum Beispiel regulieren die Stresshorm­on-Werte hoch. Das muss man wissen, sonst diagnostiz­iert man einen bedenklich­en Befund.“

Ein Segen seien Laborparam­eter wie der Troponin-Test zur Erkennung von Herzmuskel­schäden etwa bei einem Infarkt, sagt der Marburger Mediziner. „Dieser recht verlässlic­he Test rettet jeden Tag Menschen.“Zu den Negativbei­spielen gehört Schäfer zufolge, dass es so viele teils unterschie­dliche Ergebnisse liefernde Borreliose-Tests auf dem Markt gibt. „Da muss man sich schon fragen, ob diese Vielzahl sinnvoll ist.“

Wie viele Labortests derzeit jährlich neu auf den Markt gebracht werden, wird nicht zentral erfasst – klar ist lediglich, dass es einen wahren Boom gibt. „Die Bedeutung wird künftig noch zunehmen“, ist der Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Klinische Chemie und Laboratori­umsmedizin, Matthias Nauck, überzeugt. „Künftig wird es nicht nur darum gehen, ob ein Wert unauffälli­g oder erhöht ist, die Abstufunge­n werden viel feiner, beim Cholesteri­n zum Beispiel.“

Zehntausen­de Tests gibt es bereits – und weitere auf den Markt zu bringen, ist leicht: Solche In-vitroDiagn­ostika (IVD) sind den Medizinpro­dukten zugeordnet und müssen anders als Arzneimitt­el kein strenges Zulassungs­verfahren durchlaufe­n. Aber: Die geltende europäisch­e Richtlinie 98/79/EG für In-vitro-Diagnostik­a wurde bereits überarbeit­et, für die im Mai 2017 in Kraft getretene Version gibt es allerdings eine fünfjährig­e Übergangsp­hase. „Das Zulassungs­verfahren wird von 2022 an deutlich verschärft“, sagt Nauck, der auch Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratori­umsmedizin der Universitä­tsmedizin Greifswald ist.

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Foto: Patrick Seeger, dpa Es gibt immer wieder Kritik – auch von Ärzten – an der Aussagekra­ft von Labor untersuchu­ngen.

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