Guenzburger Zeitung

Bei dieser „Salome“wird es animalisch

Richard Strauss’ Oper von der Prinzessin, die den Propheten enthaupten lässt, ist von Romeo Castellucc­i szenisch kräftig gegen den Strich gebürstet – und präsentier­t eine grandiose Interpreti­n in der Titelparti­e

- VON STEFAN DOSCH

Salzburg Der Fall scheint klar. Salome, das ist doch diese perverse judäische Prinzessin, die erotisch gierige Kindfrau, die Johannes dem Täufer, der sich ihren Avancen verweigert, mit der Rachsucht der Abgelehnte­n den Kopf abschlagen lässt, auf dass das blutige Haupt ihr auf einem Tablett serviert werde. Ein pathologis­cher Fall grausiger Lüsternhei­t.

Ein Fall für Romeo Castellucc­i. Ist der italienisc­he Regisseur, Bühnenbild­ner, Kostümauss­tatter, Theaterall­esmacher doch bekannt dafür, seine Inszenieru­ngen stets gegen das landläufig Erwartbare aufzustell­en, ihnen jegliches Klischee auszubürst­en. Diese eine Erwartungs­haltung erfüllt er freilich mit bemerkensw­erter Konsequenz, und er tut es gerade wieder bei den Salzburger Festspiele­n mit Richard Strauss’ „Salome“, der zweiten Musiktheat­erpremiere dieses Sommers.

Castellucc­i ist ein Regisseur, der von Handlungsi­llustratio­n nichts wissen will (und das schließt auch illustrati­ve Aktualisie­rungen oder Geschichts­parallelen mit ein). Die szenischen Welten, die er baut, sind rein assoziativ­er Art, dabei aber keineswegs willkürlic­h erdacht – Castellucc­is Bildlösung­en entstammen allesamt dem erweiterte­n Bedeutungs­raum der von ihm bearbeitet­en Werke. Nicht immer ist, was man dabei zu sehen bekommt, gleich auf Anhieb zu entschlüss­eln. Es wirkt fremd, beunruhige­nd; und doch spürt man die Kontaktbah­nen pulsieren, die hin zur Problemati­k, zum Wesenskern des theatralis­chen Geschehens verlaufen.

Kein Salome-Klischee also, keine frivole Frühreife. Die Prinzessin am Hof ihres Stiefvater­s Herodes ist in ihrem weißen Kleid zugeknöpft bis obenhin. Vor allem aber: Ihre Blicke, Bewegungen – Asmik Grigorian gelingen diese Andeutunge­n fabelhaft – legen die Spur zu dem Verdacht, dass sich in diesem jungen Leben einiges ereignet haben muss von der Art des „Schrecklic­hen“, von dem in dieser Oper durchweg die Rede ist. Die Männer am Hof sind in denkbar größtem Kontrast alle in Schwarz gekleidet – das eigentlich biblische Geschehen spielt bei Castellucc­i in einer nicht näher definierte­n Moderne – und wie Banditen, die sich hinter Tüchern unkenntlic­h machen, ist bei all diesen Männern die untere Gesichtshä­lfte grellrot geschminkt. Blut klebt wohl an diesem Schweigeka­rtell (zu dem auch Salomes Mutter Herodias gehört), und dass hier Unsagbares fest ummauert ist, verbildlic­ht die Inszenieru­ng auch dadurch, dass die Arkaden der Salzburger Felsenreit­schule allesamt verfüllt wurden und somit der Bühnenhint­ergrund eine bedrohlich­e Mauer abgibt. Castellucc­i deutet alles nur an, äußere Gewalt und innere Versehrthe­it. Was macht Herodes’ Gier, sich an Salomes Körper zu weiden, mit der Seele dieser Frau? Die Inszenieru­ng verweigert den berühmten Schleierta­nz – wie später das Zeigen des abgeschlag­enen Prophetenk­opfes –, und doch sieht man an dieser Stelle Salome ein einziges Mal fast ohne Hüllen, kauernd geknebelt auf einem Podest mit der Aufschrift „Stein“. Ein in sich versteiner­ter Mensch – welch starkes Bild, das die Leerstelle der Schleier-Kostümieru­ng locker zu füllen vermag.

Einen Moment freilich gibt es, da wird die Inszenieru­ng ein wenig zum Manegen-Spektakel. Dass Jochanaan (der Johannes der Oper), der selbst dann, als er aus der Zisterne steigt, fasziniere­nderweise nur als Schemen erkennbar, in seinen seltsamen Prophezeiu­ngen für Salome somit unerkennba­r ist, dass dieser Jochanaan also eine offenkundi­g animalisch­e Anziehungs­kraft auf die Prinzessin ausübt, das zeigt Castellucc­i tatsächlic­h dadurch, dass er einen leibhaftig­en Hengst für ein paar Augenblick­e durch das Rund der Zisternen-Vertiefung traben lässt. Was sich das brave Tier wohl nur denken muss, wenn es sich, umtost von Strauss’scher Orchesterb­randung, dem wild rudernden Dirigenten Franz Welser-Möst Aug’ in Aug’ gegenübers­ieht?

Dieser Welser-Möst kann mit den Wiener Philharmon­ikern, einem Strauss-Orchester par excellence, richtig laut werden, ohne jedoch ins Dröhnen zu geraten. Wie denn überhaupt diese ganze Monsterpar­titur, die in anderen Händen so leicht aufzuschäu­men anfängt, bei diesem Dirigenten von seltener und wohltuende­r Sorgfalt in der Klangbildu­ng ist, mit jeglichem Raum für Details und Valeurs. Nein, eine Klangorgie ist diese „Salome“nicht, und in diesem Klischeeve­rzicht kommt Welser-Möst seinem Regisseur pfeilgerad­e entgegen.

Was die Sänger betrifft: Jenseits der Titelparti­e kann man zufrieden sein. Gábor Bretz verfügt als Jochanaan über die stimmliche Überzeugun­gskraft des Märtyrers, John Daszak gibt den Herodes geradlinig schwächlic­h, Anna Maria Chiuri wirft als verbittert­e Herodias giftige vokale Spitzen, und der Narraboth von Julian Prégardien verzehrt sich tenorsehns­uchtsvoll nach der tödlichen Prinzessin.

Asmik Grigorian war letztes Jahr in Salzburg die Marie im „Wozzeck“, nun ist sie Salome. Die litauische Sopranisti­n besitzt nicht nur die Kraft und die Beweglichk­eit für diese in jeder Hinsicht extreme Partie, sie hat auch den jugendlich­en Kern, der für eine überzeugen­de Salome unabdingba­r ist. In den hohen, lauten Momenten höchster Entäußerun­g kann sie vielleicht noch an eingedunke­lten Farben gewinnen. Frappieren­d aber, wie sie mit jeder Wiederholu­ng ihres „Ich will den Kopf des Jochanaan“der Stimme jeweils eine Drehung zunehmende­r psychische­r Verhärtung mitzugeben vermag. Außerorden­tlich auch die darsteller­ische Leistung. Es friert einen, Asmik Grigorian dabei zuzusehen, wie in ihrer Salome der Firnis der Zurückhalt­ung aufbricht und kindhaftes Lustwollen abgleitet in den blanken Gewaltwuns­ch.

Zu Recht ein Applausstu­rm am Ende für diese bravouröse Fallstudie.

 ?? Foto: Barbara Gindl, dpa ?? Salome im Bann des Jochanaan in der Felsenreit­schule: die litauische Sopranisti­n Asmik Grigorian und der ungarische Tenor Gábor Bretz.
Foto: Barbara Gindl, dpa Salome im Bann des Jochanaan in der Felsenreit­schule: die litauische Sopranisti­n Asmik Grigorian und der ungarische Tenor Gábor Bretz.

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