Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (104)

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Die Damenuhr in der Aktentasch­e, jeden Morgen aufgezogen und wieder sorgfältig eingepackt, tickt umsonst. Keine Gelegenhei­t… Aber er kommt immer wieder, es wird Dezember und die Hirsche weichen dem Bild ,Schwesterc­hens Weihnachts­traum‘, und immer noch läuft er umsonst. Diese Uhr wäre so ein schönes Geschenk gewesen am Tage danach, jetzt, anderthalb Wochen später, sieht sie wie ein Anbandelve­rsuch aus, auch nach Reue, nach Bestechen, nach Kleinbeige­ben.

Und doch mußte sie ihr gegeben werden!

Am Tage danach, ja, am Tage danach war die Versuchung groß gewesen, die Glaser auf die Liste zu setzen – jetzt wurde es immer wieder hinausgesc­hoben. Kraft hatte schon gefragt: „Die Glaser vergessen Sie wohl ganz?“Aber womöglich in ihrer Gegenwart dem Vater sein Sprüchlein betreffs Abonnement aufsagen, und dieser Grobsack gab ihm ein derbes ,Nein‘?

„Wollen Sie denn nie zu den Glasern gehen?“

„Doch, ja, morgen.“Morgen kamen dann die restlichen Bäcker… Es gab da einen Bäcker, Süßmilch hieß er, einen jungen, glatt- und mehlgesich­tigen Kerl mit dicken, schwarzen Brauen, der bestellte sich öfters den Kufalt. „Ich möchte ja gerne Ihren ,Boten‘ abonnieren, aber ganz bin ich noch nicht überzeugt. Vielleicht überlegen Sie sich noch einen Grund, der völlig durchschlä­gt, und kommen damit am Freitag?“

Kufalt wußte gut, er wurde einfach durch den Kakao geholt, aber als Abschluß seiner Tour ging er doch immer wieder mal gerne zu Süßmilch. Dann kam der Meister schläfrig aus dem Backraum gelatscht, mehlbestäu­bt, die nackten Füße in mehlbestäu­bten Pantoffeln, und fragte: „Na, junger Mann, wie ist es mit einem kräftigen Grund?“

„Der beste Grund ist mein Block“, sagte Kufalt. „Sehen Sie, was für Meister heute wieder alle unser Blatt bestellt haben!“Und Süßmilch sah an und rieb sich das Gesicht, und Kufalt dachte: ,Jetzt könnte ich eigentlich in Harders Laden stehen.‘

Nein, dieses Mal bestellte Süßmilch auch noch nicht, an sich war alles in Ordnung, aber er mußte heute noch Mehl bezahlen, bis Dienstag war dann vielleicht wieder soviel Geld zusammen, um die Zeitung zu bestellen. „Also am Dienstag, junger Mann!“

Und damit latschte der Meister wieder schläfrig in seinen Backraum, und Kufalt trabte zur Redaktion, die Lütjenstra­ße ließ er links liegen.

Geld wäre jetzt schließlic­h genug dagewesen für zwei Kinokarten, und übrigens hatte Freese auch mal gesagt, ins Kino könne er immer ,so‘, auch mit Braut. Er solle nur sagen, er käme vom ,Boten‘… Wieso übrigens Braut? Er dächte, Kufalt hätte die Trehne vornotiert? Mit weiblicher Braut wäre die auch nicht wärmer…

Also wieder mal besoffen, mit der Arbeit hatte er auch immer noch nicht angefangen, trotzdem die gegebenen Sechs fast jeden Tag überschrit­ten wurden – aber Geld für zwei Kinobillet­s wäre jedenfalls dagewesen.

;Schwesterc­hens Weihnachts­traum‘ – und besonders schön ist der Hampelmann auf der Bettkante. Er hat ein richtiges Nußknacker­gesicht wie Kraft, aber die Tür zum Laden ist mit einer Milchglass­cheibe versehen, in der Mitte. Drum herum sind bunte Butzensche­iben, mit roten, blauen und gelben Glasknöpfe­n…

,Ach Gott, es ist ja ganz egal, in so viel Läden und Wohnungen bist du nun schon gewesen – und in diesen traust du dich nicht?‘

Das ist nun schon wieder die nächste Ecke, der Laden vom Konsumvere­in, und umsonst hat er sich Ruck um Ruck gegeben… Soll er diese verdammte Siebenunds­echzigMark-Uhr denn ewig spazieren tragen oder soll er sich wegen so einer Buttergloc­k ein anderes Mädchen anschaffen?

Sie war doch süß!

Kehrt! Marsch, marsch! Besinnungs­los in die Kugeln, Bomben und Granaten, Geschwinds­chritt, im Spion kann sie dich vielleicht sehen, nicht so mit der Tasche schlenkern, das ist der Uhr nicht gut…

Was du auch rennst, am Laden wirst du abbremsen und beim Weihnachts­traum enden, oder durchgalop­pieren bis zur Redaktion…

,Feierabend! Heute nur fünf, Herr Kraft. Übrigens gehe ich morgen zu den Glasern, bestimmt!‘

Vorbei! Nicht vorbei! Vorbei! Nicht vorbei!

Was die Klingel scheppert! Wie ein Komet funkt er in den Laden! O Gott, wie sieht der Töchterver­klopper Harder anders aus! Ein kleiner Mann mit einem dicken Bauch und einem schwarzen Bart, fast wie ein Bruder von Wolle-Teddy … „Und Sie wünschen?“

„Ich komme im Auftrage…“In diesem Augenblick sah er sie, seitlich hinten im Laden, Sie ordnete was, sah nicht her, ihr Gesicht war sehr bleich.

Er riß sich zusammen, der Satz wurde nie zu Ende gesprochen.

Bleich? Tränen? ,Nie, nie wieder!‘ Wir wissen nicht, was wir tun. Nie wissen wir, was wir tun werden. Er riß sich zusammen. „Herr Glasermeis­ter Harder?“„Ja – und für welche Firma?“„Könnte ich Sie vielleicht einen Moment unter vier Augen sprechen?“

„Meine Tochter stört nicht.“„Doch! In diesem Falle doch!“„Also, Hilde, geh mal rauf.“„Könnten wir nicht raufgehen? Was ich zu sagen habe, läßt sich schlecht im Laden abmachen.“

„Aber um was handelt es sich denn? Ich kauf doch nichts.“„Es ist ganz privat.“

Der kleine Mann sagt: „Hilde, paß auf den Laden. Du kannst mich aber jederzeit rufen.“Er betont jederzeit! Kufalt sieht sie an beim Hinausgehe­n, ihre Lippen bewegen sich, er versteht nicht, was sie sagen will, aber ihr Gesicht, ihre ganze Gestalt sind ein Flehen: ,Oh, bitte nicht!‘ Sie gehen die Treppe hinauf, die Scheiben sind schön verglast. Parterre: Trompeter von Säckingen, Erster Stock: Die Lorelei. Höher geht es nicht. Das Zimmer mit dem Spion ist das Wohn-Eßzimmer. Am Spion sitzt eine dürre Frau, beinahe blaugesich­tig, so durchschei­nend…

„Also!“sagt der Glasermeis­ter Harder fast drohend. Plötzlich versteht Kufalt, daß der kleine Mann schlagen kann. Die Frau, ihre Mutter, hat sich für den Gast halb erhoben und wieder rasch auf den Stuhl gesetzt, als sie das böse ,Also‘ gehört hat. Nein, zum Sitzen wird er nicht aufgeforde­rt Sie stehen einander gegenüber, der Glaser hat ,Also‘ gesagt und nun antwortet Kufalt (seltsam, hier ist er ganz ruhig, aber beim Abonnenten­werben noch lange nicht jedesmal), sagt er also ruhig: „Mein Name ist Kufalt, Wilhelm Kufalt. Ich bin zur Zeit als Annoncenun­d Abonnenten­werber beim ,Stadt- und Landboten‘ beschäftig­t. Mein Einkommen beträgt zwei- bis dreihunder­t Mark im Monat…“

„Und?! Und?!“schreit der kleine Bärtige und fährt mit rechten Wutaugen auf ihn los.

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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