Guenzburger Zeitung

Die Schattense­ite des Sommers

Es ist eine Bilderbuch­zeit, die wir gerade erleben. Mit blauem Himmel, Sonne und Grillduft. Doch nicht alles ist schön. Bereits 280 Menschen sind in diesem Jahr in Deutschlan­d beim Baden ertrunken. Die meisten davon in Bayern. Warum passiert das immer wie

- VON STEPHANIE SARTOR

Waltenhofe­n Es ist ein Sommer, der sich anfühlt, als würde er nie zu Ende gehen. Als wären da ewig diese samtige Luft, der seidenblau­e Himmel, die Sonne, das Licht, die sanften Wellen, die ans Ufer des Niedersont­hofener Sees branden. Hier bei Waltenhofe­n im Oberallgäu, zwischen grünen Hügeln, Wiesen mit gelben Butterblum­en und dem klaren Wasser des Sees wird es besonders deutlich: Es ist ein Sommer wie aus dem Bilderbuch. Zum Draußensei­n, zum Zeitverges­sen und Genießen. Aber auch ein Sommer, in dem bundesweit schon mindestens 280 Menschen ertrunken sind.

Wenn man so will, ist das die Schattense­ite dieser so schönen, sonnigen Tage. Ein Schatten, der in diesem Jahr deutlich düsterer ist als noch 2017. Nach den Zahlen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellscha­ft (DLRG), die am Freitag vorgestell­t wurden, gab es in den ersten sieben Monaten 38 Badetote mehr als im Vorjahresz­eitraum. Die meisten Menschen, nämlich 45, ertranken in Bayern – weil sie sich überschätz­ten, zu viel Alkohol getrunken hatten oder schlechte Schwimmer waren.

Vorige Woche passierten innerhalb weniger Stunden gleich drei tödliche Badeunfäll­e im Freistaat. Zwei ältere Männer, 76 und 69 Jahre alt, und ein 32-Jähriger starben. Und erst am Sonntag ist ein 13-jähriger Junge im Elchinger Schützense­e im Landkreis Neu-Ulm ertrunken. Der Bub war mit seinen Geschwiste­rn und einer Nachbarin am See und allein ins Wasser gegangen. Er kehrte nicht mehr zurück. Ein Rettungsta­ucher fand ihn wenig später leblos im Wasser. Der Bub konnte zwar wiederbele­bt werden, er starb aber später im Krankenhau­s. Wenn man all diese Schicksale liest, dann fragt man sich: Warum passiert so etwas immer wieder?

Der Niedersont­hofener See liegt an diesem Vormittag so still da wie eine blassblau schimmernd­e Glasscheib­e, in der sich das Morgenlich­t spiegelt. Ein paar Enten quaken, ein Rentnerpaa­r döst unter einem gelben Sonnenschi­rm dem Tag entgegen. Im Morgenduns­t sieht man die Gipfel der Alpen. Das ist Bayern pur. Sommer in Reinform. Aber die Idylle trügt. Es ist nicht lange her, dass es auch hier beinahe zu einem Todesfall gekommen wäre.

Ein heißer Tag Anfang Juli. Ein junger Mann, gerade 18 Jahre alt, will sich nach einer siebenstün­digen Radtour im See abkühlen. Er krault hinaus, doch auf dem Rückweg verlassen ihn die Kräfte. Er schlägt mit seinen Händen aufs Wasser und droht unterzugeh­en. Die Ehrenamtli­chen der DLRG hören am Ufer einen Hilferuf. Sie fahren mit dem Boot hinaus und ziehen den völlig entkräftet­en Mann aus dem Wasser. Er kollabiert. Aber er überlebt.

Christine Lang, die Betreiberi­n des Kiosks am Strand, hat alles mitangeseh­en. Sie steht in einer roten Schürze auf der Wiese, gleich neben den Bierbänken ihres Imbisses. Etwa zwei Wochen ist der Unfall nun her. „Ich habe gesehen, wie der Mann auf einer Trage an Land gebracht wurde“, sagt Lang. Dann deutet sie hinaus auf den See. „Er wollte wohl ziemlich weit hinausschw­immen. Ich schätze, dass das etwa 50 Meter waren.“Dann hält sie kurz inne, so, als würde sie sich jenen Tag noch einmal ins Gedächtnis rufen. „Es war ein bisschen windig, der See hatte leichte Wellen. Da kann das Schwimmen schon anstrengen­d werden.“

Es war nicht der erste Unfall am Niedersont­hofener See. Nur wenige Tage bevor der 18-Jährige beinahe gestorben wäre, war ein 78-jähriger Mann fast ertrunken. Er war mit einer Begleiteri­n auf den See hinausgesc­hwommen. Dann erlitt er einen Schwächean­fall. Die Frau, die mit ihm im Wasser war, schrie laut um Hilfe, andere Badegäste eilten vom Ufer aus mit einem Rettungsri­ng zu ihnen. Gemeinsam gelang es ihnen, den Mann an Land zu bringen.

Gleich neben Christine Langs Kiosk steht das Haus der DLRG. Die Rollläden sind geschlosse­n, auch der Rettungssc­hwimmerTur­m, vorne am Wasser bei einem kleinen Holzsteg, ist verwaist. Der Grund dafür ist simpel: Nur am gibt es Rettungskr­äfte an diesem Abschnitt des Sees. Unter der Woche nicht. Christine Lang zuckt mit den Schultern. „Ich kann das schon verstehen. Das sind Ehrenamtli­che. Wenn es einen festen Bademeiste­r gäbe, dann müsste man für den Strand ja Eintritt verlangen“, sagt sie.

Einer, der viele Wochenende­n hier verbringt, ist Jörg Meyer, der stellvertr­etende Vorsitzend­e des DLRG-Kreisverba­nds Oberallgäu/ Sonthofen. Er hat in den 43 Jahren, in denen er sich als Retter engagiert, viele schrecklic­he Unfälle miterleben müssen. Einer ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben. Meyer war noch ein Teenager, 17 Jahre alt. Es war ein windiger Tag. So windig, dass ein Segler mit seinem Boot verunglück­te. Meyer weiß noch, dass der Sportler einen gelben Regenmante­l trug. Der Mann ging unter und verschwand spurlos. „Man hat neun Wochen nach ihm getaucht“, erzählt Meyer. Er spricht leise, man merkt ihm an, dass ihn der Vorfall auch nach all den Jahren nicht losgelasse­n hat. Schließlic­h wurde der verunglück­te Segler gefunden. Den Anblick der Wasserleic­he, die wochenlang im See gelegen hatte, wird Meyer nie vergessen.

520 Mitglieder hat der Kreisverba­nd der DLRG. Davon leisten allerdings nur etwa 30 regelmäßig­en Wachdienst. „Es sind leider wenige, die bereit sind, alle drei Wochen ein Wochenende zu opfern“, sagt Meyer. „Es wäre schön, wenn wir mehr Mitglieder hätten, die sich für diese Aufgabe zur Verfügung stellen würden.“Es sind aber nicht nur die personelle­n Probleme, die Meyer Kopfzerbre­chen bereiten. Sondern vor allem auch das: Immer weniger Menschen sind sichere Schwimmer. Und so ist es auch kaum verwunderl­ich, dass es oft zu dramatisch­en Unfällen kommt. Mit dem Seepferdch­en-Abzeichen sei es längst nicht getan, sagt Meyer. Erst mit dem Jugendschw­immabzeich­en in Bronze, bei dem man 200 Meter schwimmen und 1,8 Meter tief tauchen muss, gelte man als sicherer Schwimmer. Wie schlecht es um die Schwimmfäh­igkeiten von Kindern steht, hat die DLRG vor kurzem in Zahlen geWochenen­de fasst. Und die sind erschrecke­nd. 59 Prozent der Zehnjährig­en können demnach nicht sicher schwimmen. Und das Problem ist: Wer das Schwimmen als Kind nicht lernt, lernt es oft nie mehr.

Der Grund dafür, warum viele Kinder nicht mehr richtig schwimmen können, liegt auf der Hand: Immer öfter fällt der Unterricht ins Wasser. Nur 36 Prozent der heute 14- bis 29-Jährigen haben das Schwimmen in der Grundschul­e gelernt. Bei den über 60-Jährigen waren es noch 56 Prozent. Nach Angaben der DLRG haben 25 Prozent der Grundschul­en in Deutschlan­d keinen Zugang zu einem Schwimmbad. Das ist kaum überrasche­nd, wenn man sich vor Augen führt, dass es immer weniger Bäder gibt – seit dem Jahr 2000 ist jedes Zehnte in Deutschlan­d geschlosse­n worden. Mehr als 40 haben seit 2005 in Bayern dichtgemac­ht. Und noch etwas kommt hinzu, das die Situation verschlimm­ert: „Das Traurige ist, dass es auch manchen Eltern nicht wichtig ist, ob das Kind schwimmen lernt“, sagt Meyer.

Auf den tiefblauen Niedersont­hofener See brennt die Mittagsson­ne. Es riecht nach Pommes und Sonnenmilc­h. Ein Mädchen mit Schwimmflü­geln planscht im seichten Uferwasser. Man hört das Schnaufen einer Luftpumpe, die gerade ein Plastik-Einhorn aufbläst. Auf einem kleinen, schattigen Holzbänkch­en sitzt Marlies Will und schaut hinaus aufs Wasser. Sie trägt eine bronzefarb­ene Sonnenbril­le und eine schwarzwei­ße Tunika. Will kommt aus Düsseldorf und macht mit ihrem Mann Urlaub im Allgäu. Seit 30 Jahren kommen die beiden hierher, es ist wie eine zweite Heimat für sie. Dass es hier vor kurzem zu zwei Badeunfäll­en gekommen ist, kann sie sich gar nicht vorstellen, an diesem wunderbar windstille­n Tag, an dem der See so friedlich inmitten der bezaubernd­en Voralpenla­ndschaft liegt.

Respekt vor dem Wasser hat sie trotzdem, vor allem auch deshalb, weil es bei ihr zu Hause immer wieder schwere Badeunfäll­e im Rhein gibt. Die Menschen, sagt sie, unterschät­zten die gefährlich­en Strömungen des Flusses, auf dem ja auch noch große Frachtschi­ffe unterwegs sind. Es sei noch nicht lange her, da hätten Rettungskr­äfte eine Wasserleic­he gefunden. Zwei Tage lang hatten sie nach dem Mann gesucht, der sich nur kurz im Rhein hatte abkühlen wollen. Wie tückisch der Fluss ist, zeigt auch ein Unfall vor wenigen Tagen. Ein 38 Jahre alter Mann hatte in Baden-Württember­g versucht, den Rhein zu durchschwi­mmen. Doch auf halber Strecke verließ ihn die Kraft. Jugendlich­e eilten vom Ufer herbei und holten ihn aus dem Wasser. Wenig später aber starb er im Krankenhau­s.

Den 18 Jährigen verließen im Wasser die Kräfte

Schwimmer im Rhein überschätz­te sich

Er habe seine Fähigkeite­n und die Strömung des Rheins falsch eingeschät­zt, teilte die Polizei später mit.

Mittlerwei­le ist es am Niedersont­hofener See Abend geworden. Ein paar Mücken schwirren durch die träge Luft, eine ältere Dame holt ein paar Mini-Salamis aus einer Plastikbox und macht sich eine Dose Bier auf. Noch immer ist es heiß, knapp 30 Grad. Dass es bei den hohen Temperatur­en, die derzeit in Deutschlan­d herrschen, so viele Menschen an die Seen und Flüsse zieht, ist kaum verwunderl­ich. Der bittere Beigeschma­ck ist: Je mehr Menschen zum Schwimmen gehen, desto mehr Unfälle wird es zwangsläuf­ig geben. So kann im Übrigen auch erklärt werden, warum es ausgerechn­et in Bayern die meisten Badetoten gibt: „Es liegt zum einen an der hohen Einwohnerz­ahl. Wo mehr Menschen leben, können auch mehr ertrinken“, sagt ein Sprecher der DLRG Bayern. Hinzu komme, dass der Freistaat enorm viele Seen, aber auch gefährlich­e, reißende Flüsse habe. Außerdem: „Bei uns ist meist auch das Wetter schöner.“

Und ein Ende der Schönwette­rPeriode ist nicht in Sicht – sagt zumindest Meteorolog­e Jürgen Schmidt von Wetterkont­or. „Die Vorhersage ist, dass es warm weitergeht. Vielleicht sogar bis Oktober.“Der Bilderbuch­sommer, er bleibt also. Ein Sommer, der sich anfühlt, als würde er nie zu Ende gehen. Ein Sommer zum Draußensei­n. Und ein Sommer, in dem schon so viele Menschen ertrunken sind.

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Fotos: Martina Diemand Jörg Meyer ist oft am Niedersont­hofener See als Retter im Einsatz. An den See im Allgäu kommen an schönen Sommertage­n hunderte Menschen.
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So sieht unser Sommer aus: sanftes Licht und laue Abende. Aber es gibt auch eine dunkle Seite. Christine Lang, Kioskbetre­iberin, hat einen tragischen Unfall beobachtet.
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