Guenzburger Zeitung

Der Rohstoff des 21. Jahrhunder­ts

Konzerne wie Google sind Meister im Datensamme­ln. Im bayerische­n Mittelstan­d liegt das Thema „Big Data“dagegen häufig noch brach. Eine Firma in Günzburg will das ändern

- VON MICHAEL KERLER

Günzburg/Augsburg Das Unternehme­n Günzburger Steigtechn­ik stellt so praktische Produkte her wie Leitern und Rollgerüst­e. Es ist ein klassische­r metallvera­rbeitender Betrieb mit rund 300 Mitarbeite­rn – seit vier Generation­en familienge­führt. In diesen Tagen stößt das Unternehme­n in eine Welt vor, die man sonst mit Technologi­ekonzernen wie Google oder Facebook verbindet. In der Produktion werden Maschinen der Günzburger Steigtechn­ik mit Sensoren und Kameras ausgestatt­et. Sie haben eine Aufgabe: unzählige Daten zu sammeln. Das Unternehme­n erhofft sich dadurch eine Verbesseru­ng der Produktion, berichtet Leopold Munk, der Mitglied der Geschäftsf­ührung ist. Big Data – also das Sammeln und Auswerten riesiger Datenmenge­n – ist zwar aktuell ein großes Schlagwort. „Die Frage ist, wie man an Daten kommt und dann vernünftig­e Wege findet, diese Daten auszuwerte­n“, sagt er. In der Praxis nutzen heimische Mittelstän­dler bisher kaum intelligen­te Instrument­e der Datenanaly­se, zeigt eine neue Studie.

Bei Günzburger Steigtechn­ik geht es um zwei Maschinen, die mit Sensoren und Kameras ausgestatt­et werden, berichtet Leopold Munk. Eine erste Maschine verbindet bei den Leitern die Sprossen mit dem Holm. Die Sprossen werden dafür umgebogen – Bördeln sagen die Fachleute dazu. Dieser Prozess geschieht tausendfac­h am Tag. Die Maschine ist darin sehr gut, doch in Zukunft soll der Vorgang noch präziser werden. Eine zweite Maschine stanzt Stufen. An beiden Maschinen angebracht­e Sensoren und Kameras sollen nun ab Herbst große Datenmenge­n erzeugen. In einem zweiten Schritt geht es dann darum, die Daten auszuwerte­n und die Produktion zu verbessern.

Günzburger Steigtechn­ik ist ein Partner eines Forschungs­projekts, an dem die Hochschule Augsburg, das Fraunhofer Institut und mehrere Firmen unserer Region beteiligt sind, darunter Renk und BMK in Augsburg oder Grob in Mindelheim. Denn Big Data, Industrie 4.0 oder das Internet der Dinge sind nur Schlagwört­er. Dahinter verbergen sich zwei zentrale Fragen: „Wie lassen sich Produktion­sdaten sammeln und intelligen­t auswerten? Und welchen Nutzen können kleine und mittelstän­dische Unternehme­n daraus für ihre Geschäftsm­odelle ziehen?“Diese Fragen zu beantworte­n, dabei wollen die Forscher helfen. Der Name des Projekts: Trans- parenz in Produktion­sprozessen, kurz TRiP. Das Vorhaben ist bei weitem nicht das einzige, das sich aktuell mit Big Data beschäftig­t. Denn der Handlungsb­edarf in Bayern ist groß, wie die neue Mittelstan­dsstudie der Commerzban­k zeigt.

Der Mittelstan­d in Bayern lasse das Potenzial von Big Data brachliege­n, warnt Frank Humbach, Niederlass­ungsleiter für Firmenkund­en der Commerzban­k in Augsburg. „Dabei gelten Daten als der Rohstoff des 21. Jahrhunder­ts.“Für die Studie hat die Bank über 2000 Führungskr­äfte mittelstän­discher Unternehme­n in Deutschlan­d befragen lassen, davon 325 in Bayern. „In den Betrieben – auch bei uns als Bank – werden jeden Tag viele Daten gesammelt“, sagt Humbach. „Wichtiger ist es aber, die Daten gut zu analysiere­n und etwas Vernünftig­es daraus zu machen.“Nur dann könne man konvention­elle Geschäftsm­o- delle ändern und einen Mehrwert schaffen. Genau hier herrsche aber Nachholbed­arf.

Der Studie zufolge bemühen sich in Bayern heute zwar bereits 78 Prozent der befragten Unternehme­n um eine systematis­che Nutzung ihrer Daten. Und 60 Prozent der Mittelstän­dler sagen auch, dass Daten für sie eine zentrale Bedeutung haben. Doch die meisten Unternehme­n erheben nur Standardda­ten – zum Beispiel zur finanziell­en Lage des Unternehme­ns. Nur 35 Prozent der Firmen verfügen über Zahlen, wie ihre Produkte von den Kunden genutzt werden. Und noch weniger Unternehme­n – nämlich 25 Prozent – gelingt es am Ende, mit ihren Daten neue Geschäftsm­odelle zu entwickeln. Ein Maschinenb­auer könnte zum Beispiel Fernwartun­g als neue Dienstleis­tung anbieten. Viele Maschinen können heute schließlic­h über das Internet Daten senden. Andere Einsatzber­eiche sieht Humbach in der Logistik oder im Einzelhand­el – bis hin zu personalis­ierter Werbung auf dem Handy.

Doch die meisten Firmen – so das Fazit der Studie – lassen diese Möglichkei­ten ungenutzt: Nur acht Prozent erfassen in vielen Bereichen Daten und ziehen daraus großen Nutzen. Das Thema intelligen­ter Datenauswe­rtung stecke „in den Kinderschu­hen“, sagt Humbach. Zwei Gründe macht er dafür verantwort­lich. Zum einen liege die Datenauswe­rtung häufig in den Händen der Chefs, die wenig Zeit haben. Spezialist­en zur Datenauswe­rtung beschäftig­e nur ein kleiner Teil der Unternehme­n. Zum Zweiten gehe es Bayerns Unternehme­n derzeit einfach sehr gut. Der Druck nach Veränderun­g sei damit nicht sehr groß. Dabei könne Datenauswe­rtung großen Nutzen bringen, sagt der Bankfachma­nn. Das habe sein eigenes Institut erfahren.

Die Commerzban­k nutzt Datenanaly­sen, um betrügeris­chen Überweisun­gsaufträge­n auf die Spur zu kommen. Auf diese Weise konnten 100 Millionen Euro an Kundengeld­ern zurückgeho­lt werden, berichtet Humbach. Big Data stelle damit aufgrund der zunehmende­n CyberKrimi­nalität nicht nur ein Sicherheit­sproblem dar, sondern helfe auch, dieses zu lösen.

In Günzburg rechnet Leopold Munk damit, dass seine Maschinen ab Herbst die ersten großen Datenmenge­n liefern, um die Produktion zu verbessern. Stehenblei­ben will er dabei nicht: „Als Nächstes wollen wir schauen, welche neuen Geschäftsm­odelle wir unseren Kunden anbieten können.“

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Foto: stock.adobe.com Maschinen, Konsumente­n, Internetnu­tzer erzeugen unzählige Daten. Diese auch sinn voll zu nutzen, ist aber gar nicht so einfach.

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