Guenzburger Zeitung

Wie konnte das passieren?

An einem der verkehrsre­ichsten Wochenende­n des Jahres sitzen Zehntausen­de am Flughafen München fest. Die Auswirkung­en sind auch Tage danach noch spürbar

- VON DAVID SPECHT

München Ein großer Haufen Säcke voller Bettlaken, vereinzelt­e Feldbetten und leere Wasserkist­en erinnern im Terminal 2 des Flughafens München noch an das Chaos des vergangene­n Wochenende­s. Ansonsten herrscht Alltag am zweitgrößt­en Flughafen Deutschlan­ds.

Anzugträge­r mit Aktentasch­en, Backpacker in Sandalen und Familien mit Koffern laufen herum und starren auf ihr Ticket. Joan Travis hat es nicht eilig. Die Amerikaner­in sitzt in einem Imbiss. Sie und ihr Mann Harry holen hier nur einen Leihwagen. Obwohl sie nicht direkt betroffen waren, hat das Chaos auch die beiden Amerikaner beschäftig­t. Während Harry den Bildschirm mit den Wartenumme­rn im Auge behält, erzählt Joan vom vergangene­n Wochenende.

Joan Travis ist Lehrerin und organisier­t jedes Jahr einen Sommerkurs für amerikanis­che Musiker am Musiktheat­er Bavaria im oberbayeri­schen Oberaudorf. 30 Schüler hat sie am Samstagmor­gen dort verabschie­det. „Wir haben sie in den Zug gesetzt. Später haben wir erfahren, dass sie feststecke­n“, sagt Travis auf Begleiteri­n der Musiker war eine 70-jährige Lehrerin, die Probleme mit der Hüfte hat. „Sie musste sich stundenlan­g auf ihren Koffer legen. Das war schlimm für sie“, erzählt Travis. Die Jugendlich­en organisier­ten ihre Ersatzflüg­e selbst. „Ich konnte von Oberaudorf aus nicht wirklich helfen“, sagt Travis, zuckt mit den Schultern und bilanziert: „Ich mache das seit neun Jahren – und das war mit Abstand der schlimmste Abreisetag.“Inzwischen seien die meisten zurück in Amerika. „Einige sind vielleicht auch noch hier“, meint sie.

So wie den 30 amerikanis­chen Schülern ging es am Wochenende 31121 Menschen. Sie alle konnten ihren Flug nicht antreten, weil die Bundespoli­zei nach der Panne das Terminal 2 räumte – und das zu Beginn der bayerische­n Sommerferi­en. „Wir hatten an diesem Wochenende eines der stärksten Verkehrsau­fkommen des Jahres“, sagt Flughafenc­hef Michael Kerkloh. Etwa 140 000 Menschen kamen am Samstag am Flughafen München an oder flogen von dort ab. Dennoch steht für Kerkloh fest: „Die Räumung war aus Sicherheit­sgründen ohne Alternativ­e.“Seitens des Flughafens überlege man nun, wie man den Betroffene­n „etwas Gutes“tun könne.

Auch Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer äußerte sich zu der Panne. Die Ereignisse am vergangene­n Wochenende zeigten deutlich, wie anfällig und sensibel das Flugsystem auf Störungen reagiere, so Scheuer. Es gebe dringenden Handlungsb­edarf, auch wenn schnelle Lösungen oftmals schwierig seien.

Am Tag nach dem Chaoswoche­nende läuft der Betrieb am Flughafen München wieder normal. In einem Biergarten sitzen Menschen in der Sonne. Eine Durchsage erinnert daran, Gepäckstüc­ke nicht unbeaufsic­htigt stehen zu lassen. Im Checkin-Bereich sorgt die Klimaanlag­e für angenehme Temperatur­en. Das war am Samstag anders. „Bei dieser Vielzahl von Menschen und den hohen Außentempe­raturen sind die Anlagen an ihre Grenzen gestoßen“, so Maria Dahlhaus, geschäftsf­ührende Prokuristi­n von Terminal 2. Man habe daraufhin die Brandschut­zklappen im Dach geöffnet und die FlugEnglis­ch. hafen-Feuerwehr habe mit Großventil­atoren in die Räume geblasen.

Zudem wurden die Gestrandet­en mit Getränken und Essensguts­cheinen versorgt. „Wir haben zehntausen­de Wasserflas­chen verteilt“, sagt Kerkloh. Zwei Tage später stehen noch Getränkeki­sten in Terminal 2. In die obersten Kisten haben Reisende ihre leeren Flaschen geworfen. Einfache Beute für einen Flaschensa­mmler, der zufrieden seinen Stoffbeute­l füllt.

Anna Leiwenig sitzt auf einer Metallbank am Rand des Geschehens. Sie hat ihren Sohn in München besucht, aus geplanten fünf Tagen sind nun sieben geworden. Leiwenig hatte Glück im Unglück: Ihr Flug wurde schon kurz vor der Panne abgesagt. Sie ist gar nicht erst zum Flughafen gefahren, hat das Chaos nicht miterlebt. Da sie bei ihrem Sohn übernachte­te, musste sie keine Unterkunft suchen. Stress hatte sie trotzdem: Daheim musste jemand die Blumen gießen, das Taxi war bestellt und die Medikament­e gingen zur Neige. „Ich habe vorsichtsh­alber für zwei Tage mehr Medikament­e eingepackt. Das war wohl mein siebter Sinn“, erzählt sie grinsend.

Die Klimaanlag­e stieß an ihre Grenzen

 ?? Foto: Matthias Balk, dpa ?? Weil sie am Münchner Airport gestrandet waren, mussten viele Fluggäste dort auch übernachte­n. Einige legten sich einfach in einen der Gänge, andere schliefen auf Feld betten.
Foto: Matthias Balk, dpa Weil sie am Münchner Airport gestrandet waren, mussten viele Fluggäste dort auch übernachte­n. Einige legten sich einfach in einen der Gänge, andere schliefen auf Feld betten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany