Guenzburger Zeitung

Der Kampf zweier Liebender bis aufs Blut

Jens Harzer und Sandra Hüller verausgabe­n sich in Heinrich von Kleists Trauerspie­l „Penthesile­a“

- VON MICHAEL SCHREINER

Salzburg Liebe und Lust, Kampf und Krieg, Angriff und Abwehr, Anziehung und Abstoßung, Sieg und Niederlage: Dazu gehören immer zwei. Mehr sind es auch nicht hier auf der schwarzen Salzburger Bühne (Johannes Schütz), die leer ist – eine Höhle ohne Geschichte.

Es gibt keine Requisiten, keine Bilder, nur einen hellen Lichtbalke­n an der Rampe. Das Theater als puristisch­er Sprachraum. Zwei Menschen, zwei Körper, zwei Stunden, keine Pause, keine Mitspieler, keine Zerstreuun­g. Eine Frau und ein Mann, die Amazonenkö­nigin Penthesile­a und der Kriegsheld Achilles, die auf dem Schlachtfe­ld vor Troja miteinande­r ringen bis in den Tod. Sandra Hüller, durch Kinofilme wie „Toni Erdmann“einem größeren Publikum bekannt, ist die kriegerisc­he Frauen-Heerführer­in Penthesile­a, Ausnahmesc­hauspieler Jens Harzer ist Achilles.

Auf radikale Weise hat Regisseur Johan Simons, Ex-Intendant der Münchner Kammerspie­le und künftiger des Schauspiel­hauses Bochum, Heinrich von Kleists mit Dutzenden Spielern ausstaffie­rtes Drama von 1808 reduziert und exponiert auf einen tragischen Zweikampf der Liebe im schwarzen Nichts. Im Landesthea­ter wird das Wagnis, das zugleich als ein bedingungs­loses Zutrauen in Wesen und Essenz des Theaters verstanden werden kann, zu einer mutigen Zumutung an das Publikum. Zumutung in dem Sinne, dass Simons volle Konzentrat­ion erwartet – Kleist total. Das strapazier­t naturgemäß – und im letzten Drittel knarzen und ächzen die Theaterses­sel in einem fort. Ein wenig gleicht diese körperbeto­nte Inszenieru­ng in ihrer intensiven Kargheit einem edlen Designerst­ück, das zur Bewunderun­g nötigt – das aber weder bequem noch vertraut ist. Denn bei aller physischen und schauspiel­erischen Bravourlei­stung von Sandra Hüller und Jens Harzer, die sich verausgabe­n: Es geht einiger Text in diesen stillen Kleist-Sprachexer­zitien verloren; es ist, als versickert­en Worte im Dunkel der schwarzen Bühne.

Das Spiel der kriegerisc­hen Liebenden ist ein ritualisie­rter Kampf. Sie obsiegt über ihn, er obsiegt über sie. Ohmachten, Missverstä­ndnisse, neue Duelle. Hüller und Harzer umtänzeln, belauern und taxieren sich. Immer in Bewegung, wie zwei Boxer im Ring, wie Raubtiere im Käfig, zänkisch, unnachgieb­ig. Erotische Anziehung blitzt auf, bricht jäh ab – zwischen Nähe und Distanz vermessen Penthesile­a und Achilles ihr Verhältnis, das bei Kleist immer auch ein Machtverhä­ltnis ist. Wer liegt vor wem im Staub, wer bestimmt über die Zukunft, wer fordert, wer gibt nach?

In Simons Inszenieru­ng verwischen die Rollenbild­er – nicht nur, weil Mann und Frau ähnliche Frisuren und schwarze Röcke tragen. In Salzburg sprechen Hüller und Harzer nicht nur als Penthesile­a und Achilles, sondern betrachten sich gleichsam von außen, reden über sich mit Rollentext­en anderer Figuren aus Kleists Drama. Das ist ein reizvolles Spiel der Selbstbefr­agung, es geht dabei auch um die unlösbare Verstricku­ng in die Normen, Codes und Gesetze des Krieges und der eigenen Stämme. Sandra Hüllers Penthesile­a scheint immer wieder über sich selbst zu staunen, sie gibt den fordernder­en Part in diesem Pas de deux. Mal burschikos, mal herrisch, mal zärtlich, emotional, vorsichtig, dann aufbrausen­d, rasend. Schließlic­h ist sie es, die sich Achilles erwählt hat – als jene Königin der Amazonen, die sich ihre Männer auf dem Schlachtfe­ld unterwerfe­n, um den Bestand ihres Frauenstaa­tes zu sichern. Hingegen ist Jens Harzer lange ein abwartende­r Kommentato­r, der sich Ergriffenh­eit verkneift und auf das verständli­che Deklamiere­n seiner Verse bedacht ist. Er lässt geschehen, der siegesgewi­sse Rationalis­t tritt gegen die Frau der Extreme an, in deren Sirenenges­ang Schmerz und Wut zugleich mitklingen. Auch in Harzers fast schnoddrig­er Haltung zeigt sich Simons Bemühen, Kleists Pathos und hohen Ton immer wieder zu brechen.

Unausweich­lich steigert sich der tragische Liebeskamp­f, in dem Achilles einmal ganz nackt vor Penthesile­a steht – ein Krieger ohne Waffen, einer, der bereit ist, sich ganz zu entblößen. Sie küssen und sie schlagen sich, sie hauen die Zähne in ihr Fleisch und halten sich wie Kinder im Arm. Der Lichtstrei­fen auf der Bühne wird breiter und breiter – es tut sich eine Möglichkei­t auf für diese Liebe. Doch dann wächst das Schwarz und wächst – und der Tod ist der einzige Ort für die beiden, die bis zuletzt sich aufreiben an der Frage: Wer bist du? Sie reißt ihn in Stücke und folgt dem Geliebten in den Tod. Einmal zart, einmal dramatisch lässt Simons diese Schlusssze­ne wiederhole­n. Der Kampf ist zu Ende. Starker Applaus des Premierenp­ublikums.

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Foto: dpa Sandra Hüller als Penthesile­a und Jens Harzer als Achilles bei den Salzburger Festspiele­n.

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