Ermittlungen in der Leichenhalle
Seit einem Jahr wird in Bremen jeder Tote auf Mordspuren überprüft. Eine erste Bilanz
Bremen Rechtsmediziner schätzen, dass in Deutschland jedes zweite Tötungsdelikt unentdeckt bleibt, weil Ärzte wegen mangelnder Erfahrung nicht genau genug hinschauen. Selbst in Kliniken fallen Morde manchmal nicht auf, wie der Fall des Delmenhorster „Todespflegers“Niels H. zeigt.
Im rot-grün regierten Bremen ist das seit einem Jahr anders, zumindest in der Theorie. Denn der ZweiStädte-Staat hat zum 1. August 2017 als erstes Bundesland die verpflichtende qualifizierte Leichenschau eingeführt. Seitdem muss in Bremen und Bremerhaven jeder Verstorbene nach der ersten ärztlichen Todes- noch zusätzlich durch einen speziell ausgebildeten „Leichenschauarzt“begutachtet werden. Doch der Aufwand hat sich bisher nicht recht gelohnt: Im ersten Jahr mit flächendeckender Leichenschau wurde nicht ein einziges Tötungsdelikt aufgedeckt und das bei immerhin rund 8000 Sterbefällen pro Jahr im kleinsten Bundesland.
Malte Hinrichsen, stellvertretender Sprecher der Bremer Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD), findet dennoch, dass die Neuregelung sich bewährt habe. Keine vertuschten Tötungsdelikte: „Das ist ja auch bereits ein Ergebnis.“Die qualifizierte Leichenschau verbessere somit die Todesursachenforschung und -statistik.
Allerdings hat die neue Vorschrift gar nicht so viel verändert, wie zunächst gedacht. Denn auch schon vor der Reform von 2017 wurden Verstorbene immer dann genauer untersucht, wenn sie eingeäschert werden sollten. Und das betraf immerhin 80 Prozent der Sterbefälle, wie inzwischen bekannt wurde.
Bis zu zehn Mediziner vom Institut für Rechtsmedizin der Stadt und vom Gesundheitsamt in Bremerhaven sind für die Untersuchungen zuständig. Drei dieser Stellen wurden extra neu geschaffen. Das Geld dafür kommt von den Hinterbliebenen: Sie zahlen 187 Euro für die Untersuchung. Meist findet sie in der Leichenhalle des Bestatters statt, und laut Ressortsprecher Hinrichfeststellung sen entstehen dadurch nur geringe Verzögerungen: „Meldungen werden zumeist noch am selben Tag bearbeitet.“Zum Skalpell wie im Krimi greifen die Rechtsmediziner in der Regel nicht. Solange ihnen nichts Besonderes auffällt, reicht ihnen ein genauer Blick von außen auf den Leichnam und in dessen Körperöffnungen. Wäre es bei der Bremer Neuregelung nach dem Willen von Kriminologen gegangen, kämen die Leichenschauärzte direkt ins Trauerhaus, damit beim Abtransport zum Bestatter keine Spuren eines etwaigen Tötungsdelikts verwischt werden. Aber Gesundheitssenatorin Quante-Brandt fand, dass die Angehörigen damit einem Generalverdacht ausgesetzt würden.