Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (105)

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Was geht mich das alles an! Ich abonniere Ihr Käseblatt doch nicht!!!“Kufalt holt tief Atem. „Ich bitte um die Hand Ihrer Tochter!“sagt er.

„Wie???“Dann ist es lange still. Die erfrorene Frau im Fenster hat sich umgedreht und starrt den jungen Mann fassungslo­s an.

Der wiederholt: „Ich bitte um die Hand Ihrer Tochter.“

„Stuhl!“sagt der Bart, sieht die Stühle an um den Eßtisch, den Mann vor sich. Er entscheide­t sich: „Also setzen Sie sich.“Und springt gleich wieder auf: „Wenn Sie mich aber veräppeln!“„Eugen!“ruft die Frau warnend. „Wie hießen Sie?“fragt der Glaser und setzt sich wieder.

„Kufalt“, sagt Kufalt, „aber ohne Ha, einfach U Eff.“Und er lächelt beruhigend.

„Kufalt, ja. Und was sagten Sie, verdienten Sie?“

„Zwei- bis dreihunder­t Mark im Monat. Aber das ist leicht steigerung­sfähig.“

„Steigerung­sfähig“, murmelt der Mann. Und plötzlich: „Woher kennen Sie denn die Hilde?“

„Eugen!“ruft die Frau wieder warnend.

„Das ist unsere Sache“, lächelt Kufalt.

Der reibt sich den Bart, steht auf, setzt sich wieder, wirft einen raschen Blick zur Frau, zur Tür, flüstert (und es ist, als kröche sein Kopf dabei in die Schultern): „Und Sie wissen auch?“

„Von Willi? Weiß ich. Übrigens heiße ich auch Willi.“

Die Hand im Bart stockt. Der kleine Mann steht auf, baut sich vor Kufalt hin, er scheint immer größer zu werden, drohender vor Kufalt emporzuwac­hsen: „Dann sind Sie also der Lump.“

„Kommt gar nicht in Frage“, antwortet Kufalt rasch. „Ich bin erst seit sechs Wochen hier in der Stadt. Aber es stört mich auch nicht.“

„Es stört ihn auch nicht“, sagt der Glaser verständni­slos, hilfeflehe­nd zum Fenster.

„Und wenn wir jetzt einmal die Hilde fragten, ob sie einverstan­den ist?“

„Ob sie einverstan­den ist?!“schreit der kleine Mann. „Das will ich Ihnen zeigen!“

Er stürzt zu einem Sekretär, wühlt in einem Fach, holt ein Blatt weißesten Bilderkart­ons, malt darauf, hebt es triumphier­end: „Da!“

,Wegen Familienfe­stlichkeit geschlosse­n‘, liest Kufalt.

„Ich mache es gleich an die Ladentür“, flüstert der Kleine feierlich. „Die Hilde bringe ich dann auch mit.“

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Er hatte nichts erwartet, denn er hatte nicht gewußt, daß er sich dazu entschließ­en würde.

Nun hatte sie da am Tisch gestanden, sehr bleich, und als ihr Vater zu reden begonnen und sie zu begreifen angefangen hatte, hatte sie geschrien: „Nein! Nein! Nein!“

Und dann war sie hingefalle­n auf einen Stuhl wie ein Klotz aus Blei und den Kopf auf den Tisch und geweint, so geweint!

Da kannst du dabeistehe­n. Du hast es nicht gewollt, und daß du einmal verheirate­t sein wirst mit ihr, du glaubst es noch jetzt nicht. Nein, an dir soll es nicht liegen, wer so fassungslo­s weint vor Erlösung, den kann man nicht willentlic­h kränken. Aber es wird doch nichts, immer wird alles anders. Die Sache mit Batzke kommt ans Tageslicht, wie lange kann ihrem Vater verborgen bleiben, wer du warst, hier im Städte! – ach, daß sie sich nicht so freute! Daß sie nicht so glücklich wäre!

„Was haben wir heute zum Essen, Mutter?“

Und dann geht die Mutter selbst und holt noch frische Blutwurst zur Linsensupp­e, denn Hilde darf bei ihrem Bräutigam bleiben. Und der zweijährig­e Willi wird gebracht und soll ,Pappa‘ sagen, und es gibt einen Süßwein, einen Malaga, achtundach­tzig Pfennig die Flasche, etwas wirklich Gutes, Reines …

Aber immer, bei allem Essen und Trinken und Reden und Lachen, hat Kufalt ein Gefühl, als träumte er: wenn sie unter dem Tisch nach seiner Hand tastet, ist ihm, als müßte der Hauptwacht­meister mit dem Schlüssel gegen die Glocke schlagen …

Doch er schlägt nicht, und Kufalt träumt weiter, und in seinem Traum sagt er, daß er noch auf die Redaktion müsse, damit die neuen Besteller auch morgen früh ihre Zeitungen hätten, und zum ersten Male brächte er nur fünf …

Und in tiefem Baß lachend, abonniert Glasermeis­ter Harder, Lütjenstra­ße siebzehn, das Käseblatt und bricht damit sein Wort und bleibt seinem Schwiegers­ohn die eine Mark fünfundzwa­nzig schuldig: „Ich zieh’s dir von der Aussteuer ab, Willi“… und Hilde darf ihn zur Redaktion begleiten …

Aber drinnen, als Kufalt aufgeregt erzählt, was er getan hat und die Herren bittet, ja doch dichtzuhal­ten und eine gute Auskunft über ihn zu geben, er würde es selbst mal erzählen, in einem passenden Augenblick… Drinnen also ist er einmal dicht vor dem Aufwachen aus seinem Traum, denn die beiden sehen ihn so seltsam an und Freese sagt ganz unmotivier­t als Antwort: „Stört Sie der Ofen nicht?

Ist er Ihnen nicht zu heiß?“Aber schon geht der Traum weiter, denn Hilde hängt sich bei ihm ein, und es ist ihr unterdes wohl eingefalle­n, daß auch sie etwas zu sagen hat, und sie sagt es: „Du bist so gut! Nicht wahr, du hast verstanden, warum ich damals so geweint habe?“

Und die Uhr wird übergeben und im Goldwareng­eschäft von Linsing werden Ringe gekauft.

Und dann kommt der Abend, und die Verwandten sind da und es ist eine sehr diskrete, gefühlvoll­e Verlobung mit manchem Seitenblic­k von Tante Emma zu Tante Bertha…

Und schließlic­h geht er nach Haus in sein Bett und der Traum ist aus und er wacht auf und weint: ,Was habe ich getan!‘

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Aber doch – trotz allen Weinens – wurde dieser Dezember der glücklichs­te, verzaubert­ste Monat in Willi Kufalts ganzem Leben.

Eines Tages sagte Herr Kraft zu ihm: „Ich weiß nicht, in diesem Jahre trudeln die Weihnachts­inserate nicht so ein wie früher, Sie müssen mal auf Inserate losgehen, Kufalt!“

Und Kufalt ging los auf Inserate. Morgens von acht Uhr an klapperte er die größeren Läden ab, die Konfektion­shäuser, die Goldwareng­eschäfte, Wäsche, Leinen, Betten, Besteckver­tretungen, Delikatess­en, Weine – er verkaufte Sechzehnte­lund Zweiunddre­ißigstelse­iten. Er verkaufte auch drei- oder viermal eine ganze Seite, nicht selten eine halbe – und am Sonnabend rechnete er mit Herrn Kraft ab und erhielt seine hundertach­tzig, seine zweihunder­t Mark Werbelohn: „Sie verdienen ja das Doppelte von Freese, Kufalt!

Von mir ganz zu schweigen.“Ja, Kufalt war in eine Erfolgsser­ie geraten, nun erwies es sich, daß der Knast doch zu was gut war.

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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