Ronaldo sorgt für neuen Schwung
Dank des besten Kickers der Welt erfährt die kriselnde Serie A einen vorübergehenden Schub an Attraktivität. Doch die Altlasten wiegen in Italien schwer
Turin Am kommenden Samstag sollten sich Freunde des Gardasees in Norditalien nicht über erhöhtes Verkehrsaufkommen, aber auch nicht über plumpe Gesten der Euphorie auf der Autobahn wundern. Nein, weder irgendein Ferienende oder -beginn werden ursächlich sein für die kohlensäurehaltige Atmosphäre im Umkreis der Stadt Verona. Es ist ein alter Schuh, dass hier die Liebesgeschichte von Romeo und Julia beheimatet ist. Es passt deswegen, dass sich die Terminplaner der italienischen Fußballliga nun Verona für den Beginn einer neuen Affäre ausgesucht haben. Juventus Turin eröffnet am Samstag bei Chievo Verona im ausverkauften Bentegodi-Stadion die neue Serie-A-Saison. Das heißt, eigentlich ist es natürlich der von Real Madrid gekommene Superstar Cristiano Ronaldo, der gegen die einstigen Underdogs die neue Spielzeit in Italien einweiht. Nicht nur die Juventus-Tifosi, Italiens Fußballfans insgesamt fiebern mit. Das viele Jahre als defizitär eingestufte Turnier erfährt plötzlich einen Schub unerwarteten Selbstbewusstseins.
Am vergangenen Wochenende war bereits zu erkennen, was es bedeutet, wenn der 33 Jahre alte Ronaldo aus Portugal in der italienischen Provinz aufläuft. Vom Sondertransport mit einem Hubschrauber sahen die Organisatoren gerade noch ab. Aber es war immerhin eine Handvoll Bodyguards, die den Stürmer von Juventus Turin zum traditionellen Trainingsspiel gegen die B-Mannschaft von Juve im Dorf Villar Perosa bei Turin an den 5000 ekstatischen Tifosi vorbei eskortierten. Dort hat die Industriellenfamilie Agnelli ihren Familiensitz.
Ronaldo, der im Sommer für 100 Millionen Euro von Real Madrid nach Turin gewechselt war, erzielte seinen ersten Treffer für seinen neuen Klub, man sah nur glückliche Gesichter. Ja, es geht um den italienischen Rekordmeister, es geht um den mutmaßlich besten und exzentrischsten Fußballspieler des Planeten, der im Mai schon zum vierten Mal die Champions League gewinnen konnte. Aber es ist kaum zu übersehen, dass hier die berühmteste Unternehmerfamilie des Landes (Fiat-Chrysler, Ferrari) über den Umweg Fußball auch sich selbst gehörig feiert. Die Bilder, wie Vereinspräsident Andrea Agnelli Flugzeuge besteigt, um den begehrten Sportler mit viel Charme und Geld zum Hausklub zu lotsen, kleben fest im nationalen Familienalbum.
Hier wird Größe gezeigt, indem man sich den Größten einverleibt. Es ist ein bisschen wie bei kleinen Jungs, nur mit viel mehr Geld, Testosteron und Tamtam. Die Serie A glänzt plötzlich wieder. Es ist aber wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Altlasten hervorkommen: veraltete Stadien, Fangewalt, Munkeleien.
Juventus geht selbstverständlich als großer Favorit in das Rennen. Sieben Meistertitel und fünf Pokalsiege in Folge, dazu zwei Finalteilnahmen in der Champions League (2015, 2017) gelangen bereits ohne den Portugiesen. Manche erwarten deshalb eine eher einseitige Veranstaltung. Juventus hat zudem nicht nur Ronaldo verpflichtet, dem Italien wegen großer Probleme mit den spanischen Steuerbehörden sehr gelegen kam. Italien behandelt seit kurzem Großverdiener besonders fürsorglich. Wer große Summen im Ausland verdient, kann seine Schulden beim italienischen Fiskus mit einer Einzelzahlung von 100 000 Euro begleichen. Abwehrspieler Leonardo Bonucci ist nach einem Jahr beim AC Mailand zurückgekehrt und soll Ronaldo mit langen Pässen aus der Abwehr versorgen.
Kaum die Rede ist vom deutschen Nationalspieler Emre Can, der vom FC Liverpool kam. Zusammen mit Sami Khedira und dem französischen Weltmeister Blaise Matuidi soll er für Stabilität und Sicherheit im Juve-Mittelfeld sorgen. Der Fokus von Juventus richtet sich dabei weniger auf die Meisterschaft als auf den Titel in der Champions League.
Seit 22 Jahren hechelt die Alte Dame der wichtigsten Trophäe im europäischen Vereinsfußball hinterher. Ronaldo, ausgewiesener Spezialist zum Thema, machte den Turinern in den vergangenen Jahren höchstpersönlich mehrmals einen Strich durch die Rechnung. Der Job-Auftrag für Ronaldo ist klar. „Wir wollen die Champions Lea- gue“, sagt Coach Massimiliano Allegri und spricht damit eine Binsenweisheit im Juventus-Ambiente aus. Das ist keine schlechte Nachricht für die Konkurrenz. In den Genuss einer durch einen einzigen Spielertransfer aufgepeppten Meisterschaft kommt zum Beispiel auch KevinPrince Boateng, der bei Sassuolo Calcio angeheuert hat.
Sassuolo ist eine von einem anderen italienischen Industriellen, Giorgio Squinzi, unterhaltene Talentschmiede, die vermutlich nicht beim Kampf um die Meisterschaft mitmischen wird. Dafür liegt Sassuolo aber nur 200 Kilometer von Mailand entfernt, wo Boatengs Ehefrau, das Modell Melissa Satta, geschäftliche Interessen hat. Mailand könnte überhaupt der große Nutznießer des Ronaldo-Hypes sein.
Denn die beiden Klubs der Stadt unternehmen sichtbare Anstrengungen, um sich wieder Geltung zu verschaffen. Inter Mailand gelang am letzten Spieltag der Vorsaison noch der Sprung in die Champions League. Trainer Luciano Spalletti hat soeben seinen Vertrag bis 2021 verlängert, Torjäger Mauro Icardi gilt als einer der Top-Spieler der Serie A. Verpflichtet wurde auch der überaus tätowierte Belgier Radja Nainggolan vom AS Rom, dessen Dynamik in der Hauptstadt sehr geschätzt wurde. Allen Ernstes ist man bei Inter auch überzeugt, Luka Modric von Real Madrid bis zum Ende der Transferperiode am Freitag abwerben zu können. Auch wenn der Deal nicht zustande kommt, dürfte es sich bei den teuren Fantasien um einen Nebeneffekt der Ronaldo-Manie handeln.
Interessant geht es auch beim AC Mailand zu. Hier hat seit einem Monat nicht nur der US-Fonds Elliott zwangsweise das Ruder von ominösen chinesischen Eigentümern übernommen. Neben Trainer Gennaro Gattuso leiten die Ex-Größen Leonardo und Paolo Maldini nun die sportlichen Geschäfte und sollen für einen Schub ehrwürdiger MilanIdentität sorgen. Weil für Torjäger Gonzalo Higuaín kein Platz mehr bei Juventus ist, leiht der AC Mailand ihn nun aus. Das Ziel ist die Teilnahme an der Champions League im kommenden Jahr.
Bei diesen Umbrüchen gerät beinahe in Vergessenheit, dass es ein anderes Team war, das Juventus zuletzt in der Serie A Paroli bot. Der SSC Neapel wird mit beinahe derselben Mannschaft aus dem Vorjahr antreten und hat nur den Trainer ausgewechselt. Maurizio Sarri ging zum FC Chelsea, dafür kam ExBayern-Coach Carlo Ancelotti. Dass dieser Schritt einen Karriere-Abstieg bedeutet, ist nicht gesagt.
Man möchte nicht wissen, welche Verehrung Ancelotti zuteilwürde, wenn er in Neapel knapp 30 Jahre nach Maradona nun endlich das Scudetto-Wunder vollbringt, trotz oder wegen Cristiano Ronaldo.
Eine Handvoll Bodyguards beim Trainingsspiel
Sassuolo leistet sich Kevin Prince Boateng
ONach dem Einsturz einer Brücke in Genua mit vielen Toten hat die Serie A die Spiele der örtlichen Vereine Sampdoria Genau und CFC Genua am Wochenen de verschoben.