Guenzburger Zeitung

Wer überhaupt darf die Rückgabe ethnischer Kunst beanspruch­en?

Die neue Direktorin des Münchner Völkerkund­emuseums „Fünf Kontinente“über ihre Arbeit und ihre Schwierigk­eiten

- Interview: Christa Sigg

Frau Werlich, heute reisen die Menschen rund um die Welt, und Google ist sowieso überall. Wozu braucht es da noch Institutio­nen wie das Museum Fünf Kontinente?

Uta Werlich: Natürlich sind die Zeiten längst vorbei, als man zu uns kommen musste, um fremde Völker kennenzule­rnen. Trotzdem bieten wir eine andere Form der Auseinande­rsetzung. Wir wollen auf die kulturelle Vielfalt neugierig machen, bei uns ist zu entdecken, wie Menschen in anderen Regionen dieser Welt ihren Alltag meistern, mit welchen Lösungen sie vergleichb­are Probleme bewältigen. Ideal wäre dann, über die eigene Kultur nachzudenk­en.

Ist es dann nicht sinnvoll, Museen nach Themen des Lebens, anstatt nach Ethnien und Regionen einzuteile­n? Werlich: Das stimmt schon. Die großen thematisch­en Ausstellun­gen laufen gut, sie sind nur in der Umsetzung sehr aufwendig. Für die Besucher ist die Orientieru­ng außerdem leichter, wenn wir weiter regional arbeiten. Innerhalb einer Region kann ich aber genauso Themen aufgreifen wie Geburt und Tod oder Volljährig­keitsritua­le. Dahin sollte es auch gehen, und beides muss sich nicht widersprec­hen.

Müsste man dann nicht auch häufiger die Objekte austausche­n?

Werlich: Dauerausst­ellungen sind heute nach fünf, spätestens zehn Jahren veraltet. Aber meistens scheitert die Neueinrich­tung am Geld und an den personelle­n Ressourcen. Insofern wäre es sinnvoll, in Dauerausst­ellungen mit Galerieber­eichen zu arbeiten, in denen man mit relativ wenig Aufwand aktuelle Themen spielen könnte.

Es ist ja kein Geheimnis, dass der Etat des Münchner Hauses weit unter dem von vergleichb­aren Kunstmusee­n liegt. Hat man Ihnen Verbesseru­ngen versproche­n?

Werlich: Noch nicht. Die finanziell­e Ausstattun­g zeigt natürlich auch, welchen Stellenwer­t außereurop­äische Kunst und Kultur in unserer Gesellscha­ft haben. Für uns ist es nach wie vor die westliche Kunst, die zählt, damit kennen wir uns aus, damit identifizi­eren wir uns. Was außerhalb Europas liegt, ist für uns ungewohnt. Gerade durch das Humboldt Forum ist die Debatte um die korrekte Präsentati­on ethnografi­scher Objekte kräftig angeheizt worden. Wie schaut’s denn in Ihrem Haus aus? Provenienz-Recherchen dürften bei diesen riesigen Depots ein Fass ohne Boden sein. Werlich: Wir machen das in vernünftig­en Schritten. Man darf aber nicht vergessen, dass die Kuratoren gerade an diesem Haus seit Jahrzehnte­n mit ihrer Sammlung arbeiten. Alle haben schon einmal deren Geschichte erforscht. Das wurde nur nicht oft genug in Ausstellun­gen präsent gemacht. Und auch die entspreche­nden Kataloge sind wenig wahrgenomm­en worden.

Wobei die Debatten ja vor allem um die afrikanisc­hen Bestände kreisen. Werlich: Viel sinnvoller wäre, sich die gesamte Kolonialze­it vorzunehme­n. Ich selbst habe lange Zeit als Kuratorin für Ostasien gearbeitet. Da stellt sich zum Beispiel die Frage nach koreanisch­en Beständen, die vielfach über japanische Kunsthändl­er nach Deutschlan­d gekommen sind, weil Korea über Jahrzehnte eine japanische Kolonie war. Auch da müsste man dran.

Der französisc­he Präsident Macron hat seinen Ethnologen einen straffen Zeitplan vorgegeben: Innerhalb von fünf Jahren sollen Objekte aus ehemaligen afrikanisc­hen Kolonien zurückgege­ben werden.

Werlich: Das ist komplexer, als man denkt, und es stellt sich auch die Frage, an wen man das zurückgibt. Wer hat den Rechtsansp­ruch, ein Objekt entgegenzu­nehmen? Es wird nicht in allen Ländern mit einer Stimme gesprochen. Deshalb denkt man inzwischen auch an eine Zirkulatio­n der Objekte im internatio­nalen Raum, das könnte eine Lösung sein.

Kann man bei der Vielzahl an Objekten überhaupt noch nachvollzi­ehen, ob sie „korrekt“in eine Sammlung gelangt sind?

Werlich: Da ist intensive Recherche nötig, und ja, man kann es nicht bei allen Objekten klar beantworte­n.

Der Hamburger Ethnologe Fritz W. Kramer gibt zu bedenken, dass die Legitimitä­t einstiger Transaktio­nen äußerst schwierig zu bestimmen seien. Einmal führt er normales Handeln an – der Maler Paul Gauguin regte sich ja schon darüber auf, dass die Einheimisc­hen auf Tahiti für die Fremden Skulpturen in Serie produziert­en. Und dann verweist Kramer auf zum Teil höchst komplizier­te Tauschgesc­häfte. Wie will man das jemals lösen? Werlich: Wichtig ist der Dialog mit den Herkunftsl­ändern. Es gibt ja lauter unterschie­dliche Perspektiv­en. Deshalb können wir hier gar nicht alleine entscheide­n, was problemati­sch ist und was nicht, oder was zurückgebe­n wird und was nicht.

Mit welchen konkreten Rückgabefo­rderungen werden Sie konfrontie­rt? Werlich: Der Schiffssch­nabel in der Afrika-Abteilung ist wahrschein­lich das bekanntest­e Beispiel. Er hat zu verschiede­nsten Forschunge­n geführt. Bis dato ist das Objekt bei uns; die Frage ist, wer den tatsächlic­hen Anspruch auf das Objekt hat. Uta Werlich, diese Sinologin und Ethnologin aus Krefeld, Jahrgang 1970, hat nach Stationen in Ham burg und Basel zwölf Jahre lang die Ostasien Abteilung am Linden Museum in Stuttgart geleitet. Seit April ist sie Direktorin des Münchner Völkerkund­e Museums „Fünf Kontinente“. (AZ)

 ?? Foto: MFK ?? Direktorin Uta Werlich Buddha von 1844. mit einem
Foto: MFK Direktorin Uta Werlich Buddha von 1844. mit einem

Newspapers in German

Newspapers from Germany