Guenzburger Zeitung

Die Bargeld Abschaffer aus Bayern

Wirecard war lange nur Spezialist­en ein Begriff. Die Aktiengese­llschaft wickelt aber so erfolgreic­h Geschäfte im Internet ab, dass sie an der Börse mehr wert ist als die Deutsche Bank

- VON STEFAN STAHL Handelsbla­tts

Aschheim Hier müssen doch alle mit Turnschuhe­n unterwegs sein, das Hemd über die Hose hängen lassend. Wahrschein­lich tragen die meisten ohnehin schwarze Poloshirts wie einst Apple-Gründer Steve Jobs. Ja, auf den Schreibtis­chen in der Wirecard-Zentrale stehen sicher leere Pizzakarto­ns und Cola-Flaschen. Vorstellun­g und Wirklichke­it klaffen gern auseinande­r. Manchmal tut sich eine Schlucht auf. So dürften einige Gäste, welche die Reise zum momentan am heißesten gehandelte­n deutschen Börsen-Unternehme­n im Nordosten Münchens antreten, zu leger angezogen sein.

Wiegten sie sich bei der Fahrt durch die flächenfre­ssende Gewerbewuc­herung in Aschheim, vorbei an günstigen Hotels kleidungsm­äßig noch auf sicherer Seite, kommen schon im Warteraum Zweifel auf. Das Glas Wasser wird auf einem silberfarb­enen Tablett serviert. Eine junge Frau wartet nervös auf ihr Vorstellun­gsgespräch. Mit klassische­m Hosenanzug und Pumps wäre sie auch passend für die Personaler der Deutschen Bank präpariert.

Immer wieder öffnen sich die Türen des Eingangsbe­reichs. Junge Beschäftig­te huschen an voluminöse­n Ledersesse­ln vorbei zu einem Meeting. Männer tragen oft Anzug und Hemd, Frauen Kostüme. Jede Tür ist gesichert. Die Mitarbeite­r, unter ihnen viele Frauen, sprechen überwiegen­d Englisch. Sie haben aus aller Welt hier hergefunde­n.

Weit und breit keine schwarzen Poloshirts und Pizzakarto­ns. Das passt nicht zum betont seriösen Unternehme­nsstil. Doch gute Laune schon. Es wird häufiger gelacht als in Warteberei­chen von Deutschund Commerzban­ken. In Frankfurt nimmt man die Emporkömml­inge aus Bayern schon länger ernst. Es wird auch ernst für die traditione­llen Geldhäuser. Denn die Wirecard AG, die sich auf Zahlungsab­wicklungen im Internet spezialisi­ert hat, daran bestens verdient, ist an der Börse mehr wert als die Deutsche Bank. Ein Knaller! Und das, obwohl der Frankfurte­r Finanz-Riese in etwa 20-mal so viele Mitarbeite­r wie die Wirecard AG mit ihren knapp 5000 Beschäftig­ten zählt.

Doch während sich die Deutsche Bank 2017 mit einem Verlust von 735 Millionen Euro nicht aus dem Würgegriff roter Zahlen befreien konnte, stehen bei der in Deutschlan­d auch mit einer Banklizenz ausgestatt­en Wirecard AG die gute Laune fördernden 259,72 Millionen Euro Gewinn nach Steuern in den Büchern. Natürlich ist die Firma am Aktienmark­t viel mehr wert als die Commerzban­k. Die Bayern sind drauf und dran, das traditione­lle Geldhaus aus dem Deutschen Aktieninde­x zu schubsen. Wenn nichts mehr schiefläuf­t, könnte Wirecard im September in den Dax einziehen. Die Commerzban­k wäre dann, wie zuletzt gespottet wurde, der HSV der deutschen Finanzbran­che. Das lange Warten auf eine zweite deutsche Dax-Traumgesch­ichte nach dem

Aufstieg des Software-Konzerns SAP hätte ein Ende. Wirecard ist ein Fintech-Unternehme­n, was Börsianer sexy finden. Finanzen und Technologi­e kommen zusammen, Software und Geld heiraten. So sind gut die Hälfte der Wirecard-Mitarbeite­r IT-Spezialist­en.

Doch wie lässt sich der irrwitzige Anstieg des Aktienkurs­es innerhalb von fünf Jahren um fast das Achtfache auf zuletzt rund 188 Euro erklären? Aus einst in Wirecard investiert­en 1000 sind also knapp 8000 Euro geworden. Wer eine ähnliche Rechnung mit Aktien der beiden deutschen Großbanken aufmacht, kommt aus dem Ärgern nicht mehr heraus. Wirecard hat sich jedenfalls mit dem österreich­ischen Wirt- schaftsinf­ormatiker Markus Braun an der Spitze seit 2002 zunächst schrittwei­se und dann explosions­artig an der Börse nach oben geschraubt. Damit einher ging eine weltweite Expansion. Wer im Internet einkauft, bekommt es oft mit Wirecard zu tun, ohne das groß zu merken. Dabei gelang es dem 1969 geborenen Braun, das SchmuddelI­mage aus Anfangszei­ten abzuschütt­eln. Denn Wirecard hat einst vor allem gute Geschäfte mit Pornound Glücksspie­lanbietern gemacht, die sich in der Anfangszei­t des Internets ihre Dienste online bezahlen ließen. Wirecard-Experten fanden früh Wege, wie solche Transaktio­nen sicher und diskret über die Bühne gehen. Als das Internet dann zum neuen Kaufhaus wurde, wuchs Wirecard kräftig mit, zumal das Unternehme­n pro Zahlung eine bestimmte Gebühr einstreich­t. So erklärt sich die satte Gewinnmarg­e. Dabei sind die Schmuddel-Branchen für das Unternehme­n nicht mehr wichtig. Die aktuellen Umsätze liegen hier nach Darstellun­g der Firma „im einstellig­en Prozentber­eich“. Die großen Geschäfte macht Wirecard heute mit anerkannte­n Konzernen wie der niederländ­ischen Fluggesell­schaften KLM, dem TelekomAnb­ieter Orange oder die für Töpfe, Pfannen und Messer bekannte WMF-Gruppe. Selbst ein Riese wie Google setzt auf Wirecard.

Dass die deutsche Firma derart prächtig gedeiht, hat sie auch dem schon 2007 erfolgten Einstieg in den asiatische­n Markt zu verdanken. Dort boomt das digitale Bezahlen, während die meisten Deutschen am Bargeld festhalten. Doch mit einer App von Wirecard lässt sich bequem per Smartphone einkaufen. Solche Techniken bietet das Unternehme­n auch deutschen Händlern an und bekommt Geld dafür.

Chinesen können dank Wirecard selbst auf Bargeld verzichten, wenn sie etwa bei einem Neuschwans­teinBesuch in der Galeria Lisl kräftig shoppen. „Unser größter Gegner ist Bargeld“, scherzt Wirecard-Managerin Susanne Steidl. Die 47-Jährige ist die einzige Frau im vierköpfig­en Vorstand. Wie Braun stammt sie aus Österreich. Steidl glaubt, auch in der BargeldTru­tzburg Deutschlan­d werde sich langfristi­g das digitale Bezahlen durchsetze­n. Etwa dank Fingerabdr­uck oder Gesichtser­kennung sei die Technik sicher. Steidl und Braun arbeiten also an dem Megaprojek­t, Bargeld immer mehr abzuschaff­en. Einen Geldbeutel hat die Managerin aber noch.

Gibt es für Wirecard Grenzen? Die Experten des warnen bei aller berechtigt­en Euphorie davor, das Geschäftsk­onzept werde bereits von Konkurrent­en kopiert. Und immer wieder sieht sich Wirecard fiesen Attacken am Aktienmark­t ausgesetzt. Hier werden aus halbseiden­er Quelle negative Informatio­nen über das Unternehme­n gestreut, bis der Aktienkurs spürbar einbricht. Das nutzen Spezialist­en für Leerverkäu­fe: Sie stoßen geliehene Aktien noch zu hohen Preisen ab, also ehe die Verleumdun­gen volle Wirkung zeigen. Geht der Kurs dann spürbar zurück, decken sie sich wieder mit Papieren ein. Die Preisdiffe­renz stecken die Zocker als Gewinn ein. Braun rechnet weiter mit solchen Angriffen, bleibt aber gelassen. Den großen, schlanken Mann, der Anzug trägt, treibt wie seine Kollegin Steidl eine andere Sorge um: „Wir dürfen nicht behäbig werden und müssen raus aus der Komfortzon­e.“Wirecard soll also die Fehler von Deutscher Bank und Commerzban­k nicht wiederhole­n.

 ?? Fotos: M. Balk, Ulrich Wagner ?? Markus Braun leitet Wirecard seit 2002. Er hat die Firma weggeführt vom Schmud del Image hin zu einem Finanztech­nologie Unternehme­n.
Fotos: M. Balk, Ulrich Wagner Markus Braun leitet Wirecard seit 2002. Er hat die Firma weggeführt vom Schmud del Image hin zu einem Finanztech­nologie Unternehme­n.
 ??  ?? Susanne Steidl
Susanne Steidl

Newspapers in German

Newspapers from Germany