Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (126)

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Dem Mann ist nicht mehr nach Pfeifen zumut, so langsam er geht, er schwitzt leicht, einmal faßt er nach seiner Gesäßtasch­e. Alles in Ordnung, aber – der Entschluß ist doch nicht leicht, wenn man auch noch so sehr vor den Mädels angibt.

Man könnte immer noch nach Haus gehen?

Er ist direkt vor Kugels Ort, er sieht schon den rötlichen Schein aus Lütts Kneipe.

Also nun los!

Zwei Schupos, baumstarke Kerls, den Sturmrieme­n des Tschakos unterm Kinn, gehen gerade auf ihn zu, feste umgeschnal­lt, und die Polizeiknü­ppel am Riemen wippen im gleichen Takt.

Sie mustern den späten Spaziergän­ger scharf.

„Guten Abend“, sagt der und lüftet höflich seinen schwarzen Steifen.

„Schlechte Nacht“, sagt der eine Schupo überrasche­nd sanft und leise. „Schlechtes Wetter. Schlechte Gegend.“

Der Mann, der an ihm vorüber

auf Kugels Ort wollte, muß stehenblei­ben. Die beiden Riesen halten vor ihm und sehen auf ihn hinunter wie auf eine Puppe.

„Kann man da rein?“fragt der Mann leicht und deutet mit dem Kopf auf den Lichtschei­n der Lüttchen Wirtschaft.

„Warum wollen Sie denn da rein?“fragt der Schupo mit der sachten holsteinis­chen Aussprache freundlich.

„Es würde mich interessie­ren“, sagt der Mann. „Ich habe so viel vom Gängeviert­el gehört.“

„Da gehen Sie man lieber nicht rein“, flüstert der Schupo sacht, aber mit Nachdruck. „Die könnten Ihren Brägen – verkleiste­rn!“Er lacht sich selbst Beifall. „Ach!“macht der Mann enttäuscht, „wo kann man denn noch hingehen?“

„Nach Haus!“brüllt überrasche­nd der andere Schupo. „Schleunigs­t nach Haus. Uns hier noch extra Schwierigk­eiten machen!“

Er will weiterrede­n, aber der Mann sagt hastig gute Nacht, lüftet wieder den Hut, überquert schnell Kugels Ort, läuft durch den Ebraergang, biegt sofort in den Amidammach­ergang, taucht zum drittenmal auf der Wexstraße auf. Das Mädchen ist nicht mehr da, er geht rasch die Wexstraße hinunter und ist nur vier Minuten später schon wieder auf Kugels Ort, jetzt von der anderen Seite kommend.

Kugels Ort ist leer, der Schein von Lütts Wirtschaft liegt ruhig und rötlich auf den Kopfsteine­n.

Einen Augenblick verpustet der Mann, wischt sich sein schwitzend­es Gesicht mit einem Taschentuc­h ab, faßt noch einmal nach dem Stahlklotz in der Gesäßtasch­e, steckt ihn in die Manteltasc­he und drückt dann entschloss­en auf die dünngegrif­fene Messingkli­nge zu Lütts Wirtschaft.

3

Eine Stimme rief schrill: „Achtung Schmiere!“

Tiefe Stille trat ein.

Der Mann hatte die Tür hinter sich zugezogen und sah mit blinzelnde­n Augen in den Dampf. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet.

Er nahm den Hut ab und sagte: „N’Abend!“

Der breite Wirt mit dem dicken, bläulichen Gesicht, das von einer tollen, blauroten, formlosen Nase entstellt war, sagte breit: „N’ Abend, Heidepriem“, und deutete kaum merklich in einen hinteren Winkel seiner Wirtschaft.

„N’Abend, Herr Kriminaler“, sagte ein Bursche. „Schenken Sie mir Ihre Kippe.“

„Selber Rabe!“sagte der Mann forsch und versuchte zu lächeln.

Hinter ihm – er stand nun an der Theke – waren zwei Burschen aufgestand­en und schoben sich gegen ihn.

„Hände weg von der Mutter!“befahl der Mann.

„Laßt den Jungen in Ruh’, ihr“, kommandier­t auch der Wirt „Der ist stiekum.“

Die Burschen standen zögernd. „Du Seelenverk­äufer“, sagte der eine. „Brauchen wir ’ne neue Fresse? Es gibt für die andern schon nichts zu tun.“

„Halt den Rand, setz dich! Sollst dich setzen oder ich schmeiß dich raus. Bin ich Wärmehalle?“

Die Burschen setzten sich, böse miteinande­r flüsternd.

Der Mann an der Theke hat einen großen Kognak getrunken. Und noch einen. Die jungen Burschen sahen ihm neidisch zu: der hat’s!

Aus dem Hintergrun­d des Lokals kam jetzt langsam ein großer, düsterer Mann mit schweren Knochen, mit Händen wie Waschhölze­r.

Er ging langsam auf den Mann an der Theke los, pflanzte sich vor ihm auf und sah ihn an. Es war ein böser, haßerfüllt­er Blick, die niedrige Stirn unter dem schwarzen Haar bucklig und faltig, der dicklippig­e Mund stand halb offen und ließ die schwarzen, verdorbene­n Zähne sehen.

„N’Abend, Batzke“, sagte der Mann an der Theke und tippte an seinen Steifen.

Batzke sah den Mann an, sein Mund bewegte sich. Dann hob er langsam die ungeheure Hand …

„Zwecklos“, sagte der Mann leichthin, aber seine Stimme zitterte etwas. „Kanone!“

Und die Hand in der Manteltasc­he hob sich an, daß der Lauf durch den Stoff trat.

Batzke lachte auf: »Jungeken – und mit ‘ner Kanone! Eh’ du schießt, biste bin.“

Seine Hand hob sich wieder. „Ich habe die vierhunder­t für dich“, sagte der Mann rasch.

Das Gesicht des andern veränderte sich, die Hand sank herunter. Noch einmal sah Batzke den Mann an. Dann ging er, die Hände fest in die Jackettasc­hen gebohrt, wortlos in seine Ecke zurück.

Der Mann sah ihm nach. Dann wischte er sich über die Stirn, die schweißnaß war, und sagte zum Wirt: „Noch ’nen Kognak, ja?“

Er fühlte, daß die Blicke aller vorne im Lokal auf ihm lagen, jetzt mit anderm Ausdruck. Er trank seinen Kognak und sah dabei den Wirt fragend an. Der bewegte verneinend den Kopf.

„Jetzt nicht“, flüsterte er. „Er hat jemanden da.“

Der Mann trank seinen Kognak aus, bezahlte, tippte an seinen schwarzen Hut und sagte wieder „N’Abend“.

„N’Abend, Heidepriem“, sagte der Wirt, und der Mann schob ab.

4

Draußen stand das Mädchen. „War er da?“fragte sie. „Hier hast du deine drei Mark“, sagte der Mann. „Du wartest, bis er rauskommt. Sag’ ihm keinen N“men, sag’ ihm, der Vierhunder­ter wartet auf ihn. Verstehst du das?“

„Ja“, sagte das Mädchen. „Der Vierhunder­ter wartet auf dich.“„Dann bring’ ihn zu mir.“„Und was krieg’ ich?“fragte das Mädchen. „Es ist kalt und meine Sohlen sind kaputt.“

„Noch mal drei Mark“, sagte der Mann. „Oder du läßt es.“„Gemacht“, sagte das Mädchen. Der Mann trat rasch in die Wexstraße, spähte nach beiden Seiten (er wäre ungerne jetzt den Schupos begegnet) und ging dann rasch die Wexstraße hinunter nach der Fuhlentwie­te. »127. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

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