Das Zauberwort in Höselhurst heißt Zusammenhalt
Höselhurst hat nicht nur eine sehenswerte Kirche, einen besonderen Verein und an Sylvester manchmal eine Eisbar. Warum die etwa 50 Einwohner ihren zur Gemeinde Neuburg gehörenden Ort so gerne mögen und stolz auf ihn sind
Höselhurst Alleinstehende, kinderlose Ehepaare, betagte Menschen – so wurde vor 30 Jahren ein Großteil der Einwohner von Höselhurst beschrieben. Pessimisten prophezeiten das Aussterben des Dorfes. Zu Unrecht, denn das 1315 urkundlich erstmals erwähnte Höselhurst ist, obgleich von der B16 in der Mitte durchschnitten, ein blühender Ort: Die Dorfgemeinschaft lebt! Die Bevölkerungszahl liegt übrigens nach wie vor bei um die 50 Höselhurstern. Knapp die Hälfte von ihnen hat sich ziemlich spontan mit der Heimatzeitung zu einem angeregten Gespräch getroffen, darunter auch junge Leute und Kinder.
„Die Jungen sind praktisch gezwungen, auszuwandern“, sagt Franz Konrad, denn Bauplätze gibt es nicht in dem zur Gemeinde Neuburg/Kammel gehörenden Ort, dessen Namen auf Hezlinhurst, ein Haseldickicht, zurückgeht. Wer nicht ans Elternhaus anbauen oder es umbauen kann oder sein Haus in den elterlichen Garten stellt, der muss sich woanders niederlassen.
Dennoch gibt es auch junge Familien, wie die des Bioland-Bauern Alexander Böller mit Ehefrau Tanja und den Kindern Marie, acht Jahre alt, und Quirin, fünf. Und obwohl er gerade alle Hände voll zu tun hatte, Futter für seine elf Mutterkühe zu silieren, wollte er beim Treffen mit unserer Zeitung doch wenigstens kurz vorbei schauen. „Es war schon ein Risiko, aufs Dorf zu gehen“, sagt er und meint damit nicht seine Masthähnchenzucht, sondern den Friseursalon, den seine Frau Tanja nach jahrelanger Selbstständigkeit in Krumbach mittlerweile am Bauernhof in Höselhurst angesiedelt hat. Ab September will sie den Salon an zwei Tagen in der Woche als Natur-Friseur mit Bioprodukten führen. Außerdem wollen die Böllers im Herbst einen Hofladen eröffnen.
Für solche Vorhaben mag die Lage des Hofes direkt an der B16 ein Vorteil sein, vielleicht auch für das Gasthaus Traube, das 2017 sein 100-jähriges Bestehen gefeiert hat. Wirtin Hildegard Mayer war jetzt zwar verreist, aber ihre Tochter Karin Mayer erzählt gerne davon, wie es denn damals war, als es im Wirtshaus nicht nur eine Poststation, sondern auch das seinerzeit einzige Telefon im Ort gab.
Die Zeiten haben sich geändert, aber ein Ort der Kommunikation ist die Traube nach wie vor. Regelmäßig sind die Kartler und der Kirchenchor vom Nachbarort Wattenweiler zu Gast, Imker und Jäger aus der Umgebung und Hungrige, die den Mittagstisch schätzen, außerdem die Literaten.
Letztere beschreibt Anton Böller als losen Zusammenschluss von Literaturbegeisterten, die sich alle zwei Monate am zweiten Dienstag des Monats treffen. „Die Hälfte davon schreibt“, sagt er, „manche auch in Mundart.“Die Treffen im Gasthaus sind nicht nur Gelegenheit, eigene Werke vorzutragen, die Literaten organisieren immer wieder auch Fachvorträge. Die Fahrerfreunde treffen sich ebenfalls regelmäßig im Wirtshaus. „Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zur Wirtin“, sagt Vorsitzender Johann Bisle, schließlich war die Traube am 2. Februar 1996 nicht nur das Gründungslokal der Fahrerfreunde, sondern man ergänzt sich gegenseitig. Wenn in der Traube Urlaub ist, dann öffnen die Fahrerfreunde ihr Vereinsheim an der Günzstraße mittwochs hauptsächlich für die Kartler und den Kirchenchor und am Sonntag für alle. 50 Sitzplätze gibt es drinnen, 250 außen. Daneben ist das etwa zwei Hektar große Areal, das das verstorbene Ehepaar Hans und Klara Schlosser dem Verein langfristig überlassen hat.
Das große Areal mit den umliegenden Wiesen ist ideal für den Ver- ein der Fahrerfreunde, der nicht nur 120 Mitglieder aus sechs Landkreisen von Ulm bis Landsberg, sondern 2012 als Austragungsort der deutschen Meisterschaft die Stadt Nürnberg glatt ausgestochen hat. Kein Wunder, denn die Turnierteilnehmer können in Höselhurst ihr Lager direkt beim Turnierplatz aufschlagen, es hat genug Platz für Zelte, Fahrzeuge, Pferde und Kutschen, weil die Besitzer ihre Wiesen unkompliziert zur Verfügung stellen. Wasser und Strom gibt es auch von den Höselhurstern, so gut wie jede Familie hilft bei derart großen Veranstaltungen mit. Dafür gibt’s von den Auswärtigen viel Bewunderung, sagt Franz Konrad und erzählt schmunzelnd von einem „DankPäckle“aus Hannover, das drei Flaschen Jägermeister enthielt.
Den Zusammenhalt in ihrem kleinen Dorf schreiben die Höselhurster groß. Jeder kennt jeden, man hilft sich selbstverständlich gegenseitig und kommt offenbar bestens miteinander aus. Blumen oder Tiere versorgen in der Urlaubszeit? Kein Problem. Daniela Altstetter hat keine Sorge um ihre Schweine, wenn sie mal ein paar Tage weg ist. Umgekehrt kümmert sie sich auch. Und es gibt viele Tiere im Dorf. Viele Familien haben Hühner, Schafe, Kühe, Pferde, Hunde, Katzen, Hasen, Meerschweinchen, Schildkröten. „Jeder hat Garten, Hof und Haus und Viecher“, sagt Daniela Altstetter, „es ist ein Nehmen und ein Geben.“Aber es ist wohl nicht nur die Tatsache, dass sich die Höselhurster aufeinander verlassen können, sondern auch der Stolz auf ihren Ort, der sie über die Generationen und den oft gar nicht vorhandenen Gartenzaun hinweg zusammenschweißt. Die Kirche im Dorf, auch wenn nicht mehr oft Gottesdienst gehalten wird, ist ihnen wichtig. Immerhin gibt es in der spätgotischen Höselhurster Nikolauskirche im barocken Hochaltar ein Relief der Beweinung Christi, das aus der Zeit vor 1500 stammt und einem Ulmer Meister, vielleicht dem begnadeten Bildhauer Niklaus Weckmann, zuzuschreiben ist.
Dass die Höselhurster sich dieses wertvolle Kunstwerk nicht von den Augsburgern haben abkaufen lassen und es im dortigen Hohen Dom lediglich eine Kopie gibt, mag ein Zeichen vom Selbstbewusstsein der Höselhurster sein. Mesnerin Lidwina Seidl sorgt jedenfalls mit viel Liebe für die Kirche und wird sie auch schmücken und alles vorbereiten für die Taufe von Hannes, dem jüngsten Enkel von Sabine Anwander, an diesem Sonntag.
Zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, jeweils am zweiten Feiertag, erfreuen die Turmbläser, die Brüder Georg und Andreas Altstetter, Hans-Jürgen Pflaum, Markus Keller und Markus Abold, mit ihrem Spiel vom Kirchturm herab. Dass sie auch schon im Fernsehen zu hören und zu sehen waren und nicht nur da gefragt sind, macht die Höselhurster stolz. Der Volksgesang der Geschwister Georg, Andreas und Marianne Altstetter findet ebenfalls bis weit in die Region Bewunderung.
Ach, dieses kleine Dorf, durch das eine enge und kurvenreiche, aber viel befahrene Straße führt, es hat noch so viel mehr zu bieten! Da wäre zum Beispiel die um das Jahr 1820 in Oberammergau geschnitzte Barockkrippe mit etwa 120 Figuren, eine der ältesten der Region, die der jetzige Besitzer Alexander Böller, 44, jedes Jahr aufbaut und Interessierten gern zeigt. „Gloriawasser gibt es auch“, verspricht er.
Oder der von Mai bis September auf Anfrage geöffnete, etwa 1000 Quadratmeter große Energie-Garten von Caroline Seybold, in dem es Trommelmeditationen, Vorträge und spirituelle Treffen gibt. Oder das schmucke Häuschen von Christina Böck mit den kunstvollen Mosaikarbeiten, die man auch auf der Durchfahrt nach Krumbach oder Günzburg sieht. Es ist das erste Haus, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Höselhurst gebaut worden ist, berichtet Gertrud Lachenmaier. Trotz einer schweren Kriegsversehrung habe ihr Vater Alois Groß fast die ganze Arbeit am Bau allein erledigt, sagt sie. Jetzt gehört das Haus auf dem Grundstück der ehemals zwei Armenhäuser in Höselhurst Christina Böck, die es nach 60 Jahren Leerstand wieder belebt.
Freude an Altertümern haben auch Sabine Anwander und ihr Ehemann Georg – wobei die Begeisterung bei Sabine Anwander erst wachsen musste. „Maa, wie kannsch du Geld ausgeba für so an Haufa Schrott!“, habe sie gerufen, als Georg den ersten alten Hanomag-Bulldog heimbrachte. Inzwischen gibt es bei den Anwanders eine beachtliche Sammlung von historischen Traktoren und landwirtschaftlichen Maschinen. In seiner vorbildlich geordneten und mit altem Werkzeug wunderbar geschmückten Werkstatt richtet Georg Anwander gerade einen 1958 in Weißenhorn bei der Firma Gutter gebauten Traktor her.
Alte Traktoren, schöne Gärten, eine wertvolle Krippe, eine nicht nur wegen des Kunstwerks am Hochaltar bewundernswerte Kirche, ein belebtes Gasthaus, ein über die Region hinaus bekannter Fahrverein, die von den Kindern zu Silvester gebaute Eisbar und die gemeinsame Feier vieler Dorfbewohner in das neue Jahr hinein, die Schönheit des Günztals, all das ist bemerkenswert. Aber es macht nicht allein den Charme des Dörfleins aus. Es sind vielmehr der Zusammenhalt und das feste Wissen darum – nicht nur bei den Erwachsenen in Höselhurst.
Als Anna, zehn Jahre alt, sagt, dass sie dem Schulwechsel von Neuburg nach Krumbach nach den Sommerferien schon ein wenig skeptisch entgegen sieht, zerstreut die ein Jahr ältere Leonie diese Bedenken spontan mit einem einzigen Satz: „Wir zwei sind ja auch da.“Mitgemeint ist der 13-jährige Sebastian, Bruder von Anna. Er nickt. Klar doch, dass man aufeinander schaut und sich kümmert, in- und außerhalb der Familie und auch über die Generationen hinweg. So lebt es sich gut in Höselhurst, immer noch und gerade heute.