Streit ums Kind beschäftigt Jugendamt und Gerichte Eine Frau zeigt ihren Mann wegen Gewalt an. Warum man sie vom Verdacht des Vortäuschens einer Straftat freispricht
Günzburg Gewaltszenen in einer Beziehung sind keine Seltenheit. Zumeist mit gravierenden Folgen für den Mann. Doch in einem Fall, den das Günzburger Amtsgericht jetzt verhandelte, war die Ehefrau angeklagt. Die 30-Jährige hatte ihren Mann angezeigt, weil er sie misshandelt habe. Hintergrund ist der Sorgerechtsstreit um den gemeinsamen zweieinhalbjährigen Sohn, der schon bis zum Oberlandesgericht ging. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft waren zum Ergebnis gekommen, dass die Anzeige der 30-jährigen Türkin im Februar dieses Jahres unbegründet gewesen sei.
Sie hatte die Anschuldigung mit einer eidesstattlichen Versicherung beim Familiengericht noch bekräftigt. Wegen falscher Verdächtigung und falscher Versicherung an Eides statt hatte die Frau einen Strafbefehl erhalten, gegen den ihre Anwältin Esra Aykut Einspruch einlegte. Deshalb kam es nun zur Verhandlung bei Amtsrichter Walter Henle. Der wies insbesondere den Ehemann und dessen Bruder eindringlich auf die Wahrheitspflicht ihrer Aussagen als Zeugen hin, weil ihnen sonst gravierende strafrechtliche Folgen drohten. Der 31-jährige Ehemann hatte am 16. Februar den Sohn von der getrennt lebenden Angeklagten abholen wollen. Dabei soll es laut der Frau zu einer Gewaltszene gekommen sein: „Er hat mich am Hals gepackt und nach hinten geschubst“, ließ die 30-Jährige von ihrer Dolmetscherin übersetzen. Sie sei gegen eine Wand geprallt und zu Boden gestürzt. Eine Sachbearbeiterin für häusliche Gewalt der Polizeiinspektion Krumbach legte als Zeugin Fotos von der Frau vor, die eine Schwellung an der Stirn und ein Hämatom am Arm dokumentierten.
Nachdem der Ehemann und dessen Bruder mit dem zweieinhalbjährigen Sohn gegangen waren, meldete die Türkin die Gewalttat bei der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West in Kempten. Der Fall wurde von einer Streife aufgenommen, als Folge wurden dem Mann ein Platzverweis und ein Kontaktverbot ausgesprochen. Parallel dazu wurde beim Günzburger Familiengericht zunächst eine einstweilige Anordnung gegen den Mann wegen des Kontaktverbots und des Sorgerechts erlassen.
Doch der Fall nahm eine völlig andere Wendung: Aufgrund der Aussagen des Mannes und seines Bruders wurden die Ermittlungen wegen Körperverletzung eingestellt und richteten sich stattdessen gegen die 30-Jährige. Der wurde nun das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn abgesprochen. Dagegen legte sie Widerspruch ein. Bei Familiensachen geht das Verfahren dann vom Amtsgericht in die nächste Instanz, und zwar gleich zum Oberlandesgericht nach München, wie Richter Henle informierte. Der zuständige Zivilsenat empfahl der Türkin jedoch, die Beschwerde zurückzunehmen, da ihre Angaben zur Gewalt des Mannes „höchstwahrscheinlich nicht zutreffend“seien.
Die 30-Jährige, die in der Türkei ein Sozialstudium absolviert hatte, blieb in der Verhandlung bei ihrer Version der Gewaltszene. Der Ehemann bestritt dagegen, dass er die Wohnung der Frau betreten habe. Er habe sie nur über einen Termin beim Jugendamt wegen des Sorgerechts um den Sohn informiert. Als er den Bub an dem Freitag im Februar mitnahm, habe sie mit der Polizei gedroht. Der Bruder bestätigte, dass er keine körperliche Auseinandersetzung bemerkt habe. Wegen der Anzeige hatte der Ehemann den Jungen nicht wie vereinbart drei Tage später zurückgebracht. Dazu kam es erst durch Intervention des Jugendamts. Weil das Verfahren auf der Stelle trat, regte Richter Henle eine Einstellung an, nachdem er gegenüber der Angeklagten feststellte: „Sie wirken recht glaubwürdig.“Das sah die Staatsanwältin ähnlich. Sie hielt es für ziemlich unwahrscheinlich, dass die Angeklagte sich die Verletzungen selbst zugefügt habe. Die beiden männlichen Zeugen erschienen ihr „einen Tick unglaubwürdiger“. Aufgrund dessen beantragte sie einen Freispruch.
Die Verteidigerin meinte, dass die falsche eidesstattliche Versicherung nicht erwiesen sei und schloss sich dem Antrag der Staatsanwältin an. Im Rechtsstaat könne ein Angeklagter nur verurteilt werden, wenn das Gericht zweifelsfrei von dessen Schuld überzeugt sei, dozierte Henle. Da es bei der Tat nicht dabei war, müsse es sich auf die Aktenlage und Aussagen von Zeugen verlassen, doch genau die seien oft unzuverlässig, wie viele Prozesse zeigten. Immerhin hätten die beiden Zeugen ein „erhebliches Interesse am Ausgang des Verfahrens“. Das würde aufs Familiengericht „ausstrahlen“, wenn es dort um die Scheidung und das Sorgerecht für den Sohn geht. Da er erhebliche Zweifel an der Schuld der Angeklagten habe, bleibe nur der Freispruch.