Wände sollen Gaffer abhalten
Die Autobahnmeisterei Ulm wird mit mobilen Schutzzäunen ausgestattet, die schwere Unfälle und ihre Opfer vor neugierigen Blicken verbergen sollen. Doch kann das funktionieren?
Ulm Ein Unfall auf der Autobahn. Feuerwehr und Polizei sind im Einsatz, der Rettungsdienst kümmert sich um Verletzte. Fahrer auf der Nachbarspur bremsen und schauen aus dem Fenster, manche zücken ein Handy für ein Bild oder ein Video. Schon lange beklagen Einsatzkräfte die Sensationsgier von Gaffern. Ihnen geht es nicht nur um die Würde der Unfallopfer, die den Blicken schutzlos ausgeliefert sind, sondern auch um die Sicherheit. Gaffer verursachen Staus und Auffahrunfälle, weil sie abgelenkt sind.
Sichtschutzzäune sollen mehr Sicherheit auf den Autobahnen bringen und die Unfallopfer vor der Sensationslust schützen. Alle 16 Autobahnmeistereien in Baden-Württemberg werden bis Ende 2019 damit ausgestattet. Die Autobahnmeisterei Ulm gehört zu den ersten, die einen Anhänger mit den 2,30 Meter breiten und rund zwei Meter hohen Stellwänden bekommen hat. Die sehen aus wie etwas stabilere Bauzäune, die mit einem blickdichten, grauen Überzug verkleidet sind. In Nordrhein-Westfalen sind ähnliche Schutzwände schon seit 2015 im Einsatz – allerdings mit Löchern, die den Wind durchlassen sollen. Die Zäune, die nahe der Ausfahrt Ulm-West an der A 8 auf ihren Einsatz warten, sollen auch ohne Löcher bis Windstärke fünf standhaft bleiben. Kostenpunkt für einen Anhänger mit Elementen für einen 100 Meter langen Zaun: 45 000 Euro.
Zehn bis 20 Mal im Jahr könnten die Wände zum Einsatz kommen, schätzt Georg Gotterbarm, der Leiter der Autobahnmeisterei. Das deckt sich mit den Erfahrungswerten aus Bayern, wo zwei Zaun-Sätze getestet wurden. Sie wurden in einem Jahr acht Mal aufgebaut, wie eine Sprecherin des Verkehrsministeriums in München im Juli bilanzierte. Theoretisch sollen die Wände von einer einzelnen Person aufgebaut werden können. Die Praxis aus Bayern zeigt aber, dass immer mindestens zwei Arbeiter nötig sind. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) stattete der Autobahnmeisterei Ulm jetzt einen Besuch ab und probierte das Aufbauen aus. Sein Fazit: „Einfache Technik, versteht selbst ein Minister.“Hermann erhofft sich von den Zäunen einen spürbaren Effekt. „Durch die Wände werden keine Bilder mit ShowCharakter mehr ins Internet gestellt“, sagte er. Zudem sinke das Risiko von Folgeunfällen. „Wir gehen davon aus, dass wir in 20 bis 30 Minuten vor Ort sein können.“Eine Zeit, die sich nachts oder am Wochenende allerdings kaum einhalten lassen wird. Denn die Autobahnmeisterei hat zwar eine 24-StundenRufbereitschaft. Aber bis die Mitarbeiter auf dem Hof der Meisterei ankommen, könne es je nach Wohnort bis zu einer Stunde dauern, sagte Dienststellenleiter Gotterbarm unserer Zeitung. Zweifel gibt es nicht nur an der Zeitvorgabe, sondern auch am Effekt. Denn Lastwagenfahrer und Fahrgäste in einem Bus können problemlos über den Zaun sehen. Verkehrsminister Hermann sieht keine andere Lösung: „Stellen Sie sich vor, die Wände wären doppelt so hoch. Dann wären sie immer weniger handhabbar.“
Die Polizei fordert den Zaun nach Bedarf an. Entscheidend ist die Frage, wie lange es dauert, bis alle Arbeiten und Rettungsmaßnahmen am Unfallort vorüber sind – und wie schnell die Wände dorthin gebracht und aufgebaut werden können. Anders als Fahrzeuge des Winterdiensts ist der Stellwandwagen nicht mit Blaulicht ausgestattet. Minister Hermann erkundigte sich bei Gotterbarm, ob Blaulicht bei dieser Arbeit helfen könnte. Nach dem klaren Ja des Chefs der Meisterei versprach der Politiker, diese Möglichkeit prüfen zu lassen.