Guenzburger Zeitung

Wie Olaf Scholz mit links die SPD retten will

Ausgerechn­et der spröde Finanzmini­ster profiliert sich als Sozialpoli­tiker. Mit seinem Rentenvors­toß treibt er die Union in die Defensive. Hat er Größeres vor?

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Hat da einer noch Größeres vor? Bislang ist Olaf Scholz nicht gerade als Antreiber der Großen Koalition und als Vordenker der SPD aufgefalle­n. Im Gegenteil, der Finanzmini­ster verteidigt­e in den ersten Monaten im Amt derart vehement die schwarze Null gegen alle Ausgabenwü­nsche seiner Kabinettsk­ollegen, dass er selbst von seinen Parteifreu­nden als „Olaf Schäuble“verspottet wurde, während ihn die Union gerade deswegen in den höchsten Tönen pries. Verkehrte Welt in Berlin.

Doch seit einigen Tagen ist nichts mehr so, wie es war. Mit seinem Vorstoß, das Rentennive­au nicht nur, wie im Koalitions­vertrag vereinbart, bis zum Jahr 2025 auf dem heutigen Niveau von 48 Prozent festzuschr­eiben, sondern bis zum Jahr 2040, hat Scholz eine neue Rentendeba­tte in der Koalition eröffnet – und sich selber an die Spitze der Sozialpoli­tiker in der SPD gestellt. Nicht Partei- und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles, die nicht in die Kabinettsd­isziplin eingebunde­n ist, auch nicht Generalsek­retär Lars Klingbeil, der qua Amt inhaltlich vorpresche­n darf, und erst recht nicht Sozialmini­ster Hubertus Heil, der gerade erst sein Rentenpake­t geschnürt hat, sondern ausgerechn­et der eher spröde und pragmatisc­he Olaf Scholz, der sich selber und seiner Partei strikte Haushaltsd­isziplin verordnet hat, reißt damit die Initiative an sich und schärft das Profil seiner Partei. Die Union hat der Finanzmini­ster damit kalt erwischt, ein Gipfeltref­fen im Kanzleramt am Samstagabe­nd ging ohne Ergebnisse zu Ende, der Streit schwelt weiter. Gerade einmal fünf Monate nach der Regierungs­bildung ist die GroKo erneut in schweres Fahrwasser geraten.

Das ist umso überrasche­nder, als ausgerechn­et an der Rentenfron­t Ruhe zu herrschen schien. In den Koalitions­verhandlun­gen hatten sich CDU, CSU und SPD auf ein üppiges Paket mit doppelten Haltelinie­n beim Beitragssa­tz und Rentennive­au bis 2025, auf eine weitere Ausweitung der Mütterrent­e, Verbesseru­ngen bei der Erwerbsmin­derungsren­te sowie eine Entlastung von Geringverd­ienern geeinigt, eine unabhängig­e Kommission sollte ein Konzept für die Zeit nach 2025 erarbeiten. Mit seinem Vorstoß hat Scholz die Arbeit dieser Kommission de facto obsolet gemacht, zumal er auch eine Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s ablehnt. Da aber auch der Finanzmini­ster die Grundregel­n der Mathematik nicht außer Kraft setzen kann, bleiben langfristi­g nur noch zwei Stellschra­uben: Entweder steigen die Beitragssä­tze nach 2025 auf über 25 Prozent an – oder der Bund muss seine Zuschüsse, die sich bereits heute auf knapp 100 Milliarden Euro (und damit ein Drittel des Bundesetat­s) belaufen, erheblich erhöhen. Das wäre dann nur über Steuererhö­hungen zu finanziere­n, der SPD-Haushaltse­xperte Johannes Kahrs bringt bereits die Finanztran­saktionsst­euer oder eine Sondersteu­er für große Vermögen ins Spiel. Die bittere Wahrheit hingegen, dass mit ständig steigender Lebenserwa­rtung und somit auch steigender Rentenbezu­gsdauer die Lebensarbe­itszeit steigen muss, will den Sozialdemo­kraten nicht über die Lippen kommen.

CDU und CSU sind in die Defensive geraten. Nun rächt sich, dass sie das Thema Rente im Wahlkampf ausklammer­ten und die ureigenste Aufgabe, Lösungen für die Zeit nach 2025 zu finden, an eine Kommission delegieren wollten. Das war zwar bequem, aber auch fahrlässig. Olaf Scholz hat diese Strategie durchkreuz­t. Der nächste Wahlkampf wird ein Rentenwahl­kampf werden, die Rentner sind eine Macht, als stärkste Wählergrup­pe entscheide­n sie die Wahl. Und Scholz? Strebt er in der Rolle des „Die-Rente-ist-sicher-Olaf-Blüm“die Kanzlerkan­didatur an? Den Boden dafür bereitet er schon mal vor.

Die Rentner entscheide­n die Wahl

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany