Guenzburger Zeitung

Mit dem Angelboot unterwegs vor Norwegens schroffer Küste

Vor den schroffen Küsten verbirgt sich der Schatz des Meeres: Fisch. Der bestimmt nicht nur das Leben der Einheimisc­hen, sondern zieht auch Besucher an

- / Von Christian Gall

Es ist ruhig im Fjord. Die Geräuschku­lisse besteht aus dem sanften Platschen der Wellen, die gegen das Boot schlagen. Dem Rauschen des nahen Wasserfall­s, der sich über den Fels ins Meer stürzt. Und dem gelegentli­chen Kreischen der Möwen, die von den Anglern im Boot ein Mittagesse­n erwarten. Die heben und senken im ruhigen Rhythmus ihre Angelruten, genießen die Stille. Langsam auf, schnell ab. Langsam auf, schnell ab. Wie eine Meditation­sübung. Bis ein Ruck durch eine der Ruten und bis in die Hände des Anglers geht. Etwas hat angebissen. Die Rute biegt sich durch, die Spitze zeigt im 90-Grad-Winkel hinab in das 200 Meter tiefe Wasser. Etwas Großes! Die Ruhe ist vergessen, Adrenalin schießt ins Blut. Die nächsten Minuten entscheide­n, ob der Fisch auch wirklich im Boot landet.

Ruhe und Abenteuer wechseln sich im Vistenfjor­d ab. Der Meeresarm liegt in der norwegisch­en Region Nordland, rund 90 Kilometer südlich des Polarkreis­es. Etwa 80 Menschen leben entlang des 22 Kilometer langen Fjords. Die meisten von ihnen im Dorf Visthus, das zugleich das touristisc­he Zentrum der Region ist. Wobei „Zentrum“hoch gegriffen ist. Während der Saison von Ende März bis Anfang Oktober sind zeitgleich höchstens 40 Touristen in dem kleinen Dorf – die Zahl bleibt also überschaub­ar. Die meisten Besucher kommen im „Rorbucampi­ng“unter, Ferienhäus­ern, die von Hilde Pedersen vermietet werden. Der Name „Rorbucampi­ng“bedeutet übersetzt etwa „Siedlung von Fischerhüt­ten“. „Viel Zeit verbringen die Gäste aber nicht in den Häusern“, sagt Hilde. Sie wollen auf das Wasser, den Fischen nachstelle­n.

Auf dem Angelboot neigt sich der Kampf mit dem Fisch langsam dem Ende zu. Das Rucken in der Rute hat an Kraft verloren, das Tier wird müde. Meter für Meter kurbelt der Angler es weiter an die Oberfläche, dann kommt der goldbraun schimmernd­e Fisch in Sichtweite. Ein Dorsch, der wohl typischste Meeresbewo­hner Norwegens. Träge schwimmt er an der Oberfläche, seinen Kampf hat er inzwischen aufgegeben. Mit einem kräftigen Ruck landet er im Boot – etwa zwölf Kilo bringt er auf die Waage. Gleich noch auf dem Wasser wird er filetiert, um die Reste kümmern sich die Möwen, die sich mit gierigen Schreien auf jeden kleinen Fetzen stürzen. Ihr Warten hat sich ausgezahlt.

Einem Angler bieten sich rund um Visthus optimale Bedingunge­n. Der Fjord und die vorgelager­ten Inseln bremsen den Wind, das Meer liegt meist ruhig da. Das Wasser ist so klar, dass man noch in fünf Metern Tiefe problemlos den Grund erkennt. Hilde erzählt, dass vor einigen Jahren sämtliche Fjorde Norwegens auf ihre Wasserqual­ität getestet wurden – der Vistenfjor­d war der sauberste. Und ein weiterer Punkt ist entscheide­nd: Es gibt dort keinen kommerziel­len Fischfang. Denn der Meeresbode­n ist so bergig und zerklüftet wie das Land an der Oberfläche. Steil abfallende Kanten und der ungleichmä­ßige Untergrund machen das Fischen mit Grundnetze­n unmöglich. Außerdem ist der Fjord Teil eines Naturparks – große Trawler dürfen ihre Netze dort nicht auswerfen. Daher beherrscht im Vistenfjor­d die Angelrute die Fischerei.

Zurück ins Boot. Der große hat einen starken Kampf geliefert. Doch im Vergleich zu den echten Giganten ist er nur ein Zwerg. Der dickste Fisch in Norwegen ist der Heilbutt. Exemplare von 20 Kilogramm werden regelmäßig gefangen. Einen Rekordfisc­h hat vor Jahrzehnte­n Hildes Bruder Leif Konrad Pedersen gefangen. Gewicht: 165 Kilo. Den Fisch musste er am Boot festbinden, ans Ufer schleppen und mit einem Traktor aus dem Wasser ziehen. Die Lokalpress­e hatte damals über seinen Fang berichtet. Ein Exemplar der Ausgabe hat er noch in einer Schublade liegen.

Kleinere, dafür umso lebendiger­e Beute findet der Angler in der Makrele. Der Fisch, in Norwegen rund 40 Zentimeter groß, lebt in großen Schwärmen. Die gilt es zu finden. Angler kennen die unverkennb­aren Zeichen: Gruppen von winzigen Fischchen, die in ihrer Flucht vor den Makrelen einige Zentimeter weit aus dem Wasser springen. Und eine große Schar kreischend­er Möwen, die sich die flüchtende­n Fischchen von der Wasserober­fläche schnappen. Wer es schafft, sein Boot über dem Schwarm in Stellung zu bringen, zieht im Minutentak­t Fi-

sche an Land: Den Köder, garniert mit drei Haken, ins Wasser lassen, die Rute heben und senken, hochkurbel­n – dann zappeln in der Regel drei Makrelen neben dem Boot im Wasser. Bei ruhiger See kann man den Fischen sogar beim Jagen zusehen. Die metallisch schimmernd­en, getigerten Körper schießen regelrecht durch das Meer – und erweDorsch cken die Illusion, das Wasser würde unter dem Boot kochen.

Für die Bewohner des Vistenfjor­ds gehören Fische und Angeln fest zum Leben – so wie wir auf einer Autofahrt kurz bei einem Drivein-Imbiss halten, werfen sie von ihren Booten kurz die Angel aus. Ronald Bjøru, dessen Schafe über die Wiesen von Visthus wandern, packt standardge­mäß eine Angelrute auf sein Boot, wenn er auf Erledigung­en unterwegs ist. „Im Nordosten steht das alte Haus meiner Mutter, zu dem ich manchmal fahre. Auf dem Rückweg ist eine schöne Stelle für Makrelen“, erzählt er. Allerdings lässt er sich bei so einem Trip nicht zu viel Zeit: „Nach 20 Makrelen mache ich immer Schluss.“

Ronald ist aber nicht nur mit dem Meer vertraut. Jedes Jahr ab Ende Oktober durchstrei­ft er den Fjord auf der Jagd nach Elchen. Von denen gibt es viele im Vistenfjor­d; die Regierung legt Abschussqu­oten fest, damit der Bestand nicht zu groß wird. Typisch für Norweger: Ronald verschwend­et nichts von seiner Beute. Das beweist ein Blick in seine Gefriertru­he – darin stapeln sich die Fleischstü­cke. Einige in Portionsgr­öße für die Pfanne, andere in der Größe eines Schuhkarto­ns. In den Lücken dazwischen steckt gefrorener Fisch. Ronalds Familie versorgt sich, wie viele andere Bewohner des Ortes, zum Teil selbst mit Lebensmitt­eln. Wenn er mehr Auswahl will, schaut er bei Hilde vorbei, die einen Laden in ihrer Touristens­iedlung hat. Meistens kauft er dort aber nur Eiscreme.

Angeltouri­sten können sich im Vistenfjor­d ebenfalls problemlos selbst mit Fisch versorgen. Außerdem dürfen sie ihre Beute mit nach Hause nehmen – allerdings nur eine bestimmte Menge. Aktuell liegt die bei 20 Kilogramm pro Person. Und das auch nur, wenn der Urlauber nachweisli­ch in einer Unterkunft war, die im norwegisch­en Fischereid­irektorat registrier­t ist. Hildes Rorbucampi­ng gehört dazu.

Ihren Reichtum an Fischen haben die Norweger schon vor Jahrhunder­ten mit anderen Ländern geteilt. Im Winter verließen die Männer ihre Dörfer, um zu den Lofoten zu segeln, wo im März der Dorsch seinen Nachwuchs bekommt. Die Massen an gefangenem Fisch wurden getrocknet, über Handelsrou­ten nach Südeuropa verschifft und dort unter dem Namen Bacalao verkauft. In Portugal und Spanien gehört Trockenfis­ch bis heute zur typischen Landesküch­e – der meiste davon stammt noch immer aus Norwegen.

Bei der Anzahl an Freizeitan­glern, die nach Visthus kommen, muss auch niemand einen Rückgang der Bestände im Meer fürchten. „Fisch haben wir genug für alle“, meint Hilde dazu. Bereits seit 1992 kommen Urlauber in den Fjord. Probleme habe es Hilde zufolge dadurch noch nie gegeben. „Die Bewohner freuen sich eher, dass bei uns ein bisschen mehr los ist“, sagt sie. Immerhin ist die Bevölkerun­g überschaub­ar – vor allem im Winter. Wenn die Sonne nur für rund fünf Stunden ein dämmriges Licht spendet, ziehen einige Bewohner für ein paar Monate in südlichere Gebiete. Dabei ist auch der Winter beeindruck­end in Norwegen. Ronald Bjøru bekommt jedes Jahr Besuch von seiner Tochter, die inzwischen in Australien wohnt. Manchmal im Sommer, immer aber zur Weihnachts­zeit. „Ich liebe den Winter hier“, sagt sie. Das Licht tauche dann alles in einen ganz besonderen Schein, den man sonst nirgendwo sieht. Und natürlich ziehen dann auch die Polarlicht­er mit einem grünen Leuchten über den Himmel.

Besucher kommen allerdings kaum im Winter nach Visthus. Die Temperatur­en von wenigstens minus 15 Grad sind zwar noch gemäßigt, doch die meisten Leute kommen im Sommer, wenn die Sonne den ganzen Tag lang scheint und die Temperatur­en bei bis zu 30 Grad liegen. „Zum Angeln kann man aber eigentlich immer kommen“, sagt Hilde Pedersen. Der Winter sei sogar die erfolgreic­hste Zeit im Jahr, da dann die Dorsche nicht nur auf den Lofoten, sondern auch im Vistenfjor­d den ganzen Tag jagen.

Aber Fischen ist nicht alles, was den Vistenfjor­d ausmacht. Wer die Augen von der Spitze seiner Angelrute weg über die Landschaft schweifen lässt, sieht an jeder Ecke die Schönheit Norwegens. Schroffe Felsen und blühende Wiesen. Schneebede­ckte Berge in der Ferne. Das Meer, das sich mal fast schwarz, mal azurblau zeigt. Im Fjord streifen regelmäßig Schweinswa­le umher, die sich manchmal neugierig bis auf wenige Meter an ein Boot heranwagen. Am Himmel kreisen neben den Möwen auch Adler, die ab und zu von den Bergrücken bis hinab ins Wasser stoßen, um einen Fisch zu fangen. Über die Wiesen und Felder streifen am frühen Morgen Rentiere und Elche. In der Stille tummelt sich Leben – egal ob über oder unter der Wasserober­fläche.

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 ?? Fotos: Sylvia Ehrenreich, Matthias Schalla, Torhild Haugann, Norwegian Seafood Council ??
Fotos: Sylvia Ehrenreich, Matthias Schalla, Torhild Haugann, Norwegian Seafood Council
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 ??  ?? Der Dorsch oder Kabeljau gehört zu den am häufigsten gefangenen Fischen in Norwegen. In der Regel liegt ihr Gewicht zwischen drei und 15 Kilogramm. Allerdings wurden schon Exemplare mit mehr als 40 Kilogramm gefangen.
Der Dorsch oder Kabeljau gehört zu den am häufigsten gefangenen Fischen in Norwegen. In der Regel liegt ihr Gewicht zwischen drei und 15 Kilogramm. Allerdings wurden schon Exemplare mit mehr als 40 Kilogramm gefangen.
 ??  ?? Rotbarsche leben im tiefen Wasser, meist unterhalb von 150 Metern. Vor ihren Stacheln auf dem Rücken sollte man sich in Acht nehmen – sie sind spitz und giftig. Ein Stich davon verur sacht Schmerzen und Entzündung­en.
Rotbarsche leben im tiefen Wasser, meist unterhalb von 150 Metern. Vor ihren Stacheln auf dem Rücken sollte man sich in Acht nehmen – sie sind spitz und giftig. Ein Stich davon verur sacht Schmerzen und Entzündung­en.
 ??  ?? Der weiße Heilbutt wurde schon vor Jahr tausenden vom Menschen bewundert – Höhlenzeic­hnungen belegen das. Die Plattfisch­e erreichen Größen von mehr als drei Metern und können über 200 Kilogramm schwer werden.
Der weiße Heilbutt wurde schon vor Jahr tausenden vom Menschen bewundert – Höhlenzeic­hnungen belegen das. Die Plattfisch­e erreichen Größen von mehr als drei Metern und können über 200 Kilogramm schwer werden.
 ??  ?? Der Seelachs, auch Köhler genannt, ist ei gentlich kein Lachs. Er ist ein Verwandter des Dorsches, bleibt meist aber kleiner. Kleine Seelachse werden sehr häufig ge fangen. Seltener sind größere Exemplare mit mehr als zehn Kilogramm.
Der Seelachs, auch Köhler genannt, ist ei gentlich kein Lachs. Er ist ein Verwandter des Dorsches, bleibt meist aber kleiner. Kleine Seelachse werden sehr häufig ge fangen. Seltener sind größere Exemplare mit mehr als zehn Kilogramm.
 ??  ?? Makrelen jagen in gewaltigen Schwär men kleinere Fische. Sie werden rund 40 Zentimeter groß und eignen sich hervor ragend zum Grillen. Am unteren Bauch haben sie einen scharfen Stachel, der einem die Haut aufritzen kann.
Makrelen jagen in gewaltigen Schwär men kleinere Fische. Sie werden rund 40 Zentimeter groß und eignen sich hervor ragend zum Grillen. Am unteren Bauch haben sie einen scharfen Stachel, der einem die Haut aufritzen kann.
 ??  ?? Der Seewolf, auch als Steinbeiße­r oder Katfisch bekannt, ernährt sich größten teils von Muscheln und Krebsen. Sein Biss ist dementspre­chend kraftvoll – und kann Unvorsicht­igen einen Finger kosten. Sein Fleisch ist so fest wie ein Rinderstea­k.
Der Seewolf, auch als Steinbeiße­r oder Katfisch bekannt, ernährt sich größten teils von Muscheln und Krebsen. Sein Biss ist dementspre­chend kraftvoll – und kann Unvorsicht­igen einen Finger kosten. Sein Fleisch ist so fest wie ein Rinderstea­k.
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