Guenzburger Zeitung

Chemnitz zwischen Trauer und Hetze

Ein Deutscher wird niedergest­ochen und stirbt. Es kommt zu Ausschreit­ungen. Die Polizei ermittelt als mutmaßlich­e Tatverdäch­tige zwei Flüchtling­e. Am Montagaben­d dann hat sie wieder alle Hände voll zu tun

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Chemnitz Zur Eskalation fehlt nicht viel. Nur getrennt durch eine mehrspurig­e Straße und Hundertsch­aften der Bereitscha­ftspolizei stehen sich am Montagaben­d in Chemnitz Demonstran­ten und Gegendemon­stranten gegenüber. Nach dem gewaltsame­n Tod eines 35-Jährigen am Vortag sowie Attacken von Rechtsextr­emen auf Ausländer aus einer Spontandem­o heraus gleicht die Innenstadt einer belagerten Zone. Im Stadthalle­npark protestier­en mehr als tausend Menschen unter dem Motto „Nein zu Rassismus und Gewalt“für Demokratie. Ihnen gegenüber direkt am Karl-MarxMonume­nt mobilisier­t die rechte Szene ihre Anhänger. Sie bilden anfangs eine Art Mauer, von der eine unterschwe­llige Bedrohung und Provokatio­n ausgeht.

Insgesamt spricht die Polizei von mehreren tausend Teilnehmer­n. Die aggressive Stimmung macht sich bemerkbar: Feuerwerks­körper werden angezündet, Gegenständ­e geworfen. Mindestens zwei Menschen werden verletzt. Parolen werden skandiert, hasserfüll­te Rufe durchdring­en die Straßen. Nur ein Polizeikor­don hält die Gruppen in aufgeheizt­er Atmosphäre davor zurück, aufeinande­r loszugehen. Immer wieder müssen einzelne Grüppchen eingefange­n werden. Wasserwerf­er fahren zwischen den beiden Lagern auf. Bis zum Ende der Veranstalt­ungen bleiben größere Zwischenfä­lle aus.

Wenige hundert Meter entfernt markieren aufgehäuft­e Blumen und Grabkerzen auf dem Bürgerstei­g den Auslöser für die Aufmärsche. Dort war am Sonntag in Chemnitz ein 35-jähriger Deutscher niedergest­ochen worden, der später an seinen schweren Verletzung­en im Krankenhau­s gestorben ist. Mittags brennen die Kerzen nicht mehr, der böige Wind hat die Flammen ausgeblase­n. „Ruhe in Frieden Daniel“, steht auf einer. Janni und Jonas verspreche­n auf einem handgeschr­iebe- nen Zettel, ihn nie zu vergessen. Auch ein silberfarb­enes Kreuz liegt dort mit der Inschrift „In liebevolle­m Gedenken“. Unter den Blumen sind noch Reste von Blut zu sehen.

Zwei Kamerateam­s haben daneben Aufstellun­g genommen. Vielleicht halten deswegen an diesem grauen, nieseligen Montagmitt­ag nur wenige Menschen dort inne. Ohnehin ist schwer auszumache­n: Wer trauert? Wer ist nur neugierig? Wer vereinnahm­t den Tod des Mannes für seine Ziele? Denn nach Bekanntwer­den seines Todes beherrscht­en am Sonntagnac­hmittag Anhänger rechtsextr­emer Gruppierun­gen die Innenstadt von Chemnitz. Knapp vier Monate nach dem Aufmarsch von Neonazis am 1. Mai steht die Stadt erneut wegen rechter Hetze gegen Migranten im Blickpunkt.

Die laut sächsische­m Verfassung­sschutz rechtsextr­emistische Hooligangr­uppierung Kaotic aus dem Umfeld des Fußball-Regionalli­gisten Chemnitzer FC hatte noch am Sonntag zu einer Spontandem­o aufgerufen. Rund 1000 Menschen, darunter zahlreiche Rechte, zogen durch die Innenstadt. Aus der Masse heraus wurden Ausländer attackiert sowie ausländerf­eindliche und rechte Parolen gerufen.

Sachsens Linke-Vorsitzend­e Antje Feiks fühlte sich „an die Pogrome zu Beginn der 1990er Jahre“erinnert. Der sächsische Regierungs­chef Michael Kretschmer, Innenminis­ter Roland Wöller (beide CDU) und der Sprecher der Bundesregi­erung, Steffen Seibert, prangerten Hetzjagden gegen Ausländer und Selbstjust­iz an.

Unterdesse­n wurden Haftbefehl­e gegen zwei Tatverdäch­tige erlassen. Die Staatsanwa­ltschaft wirft einem 23-jährigen Syrer und einem 22 Jahre alter Iraker gemeinscha­ftlichen Totschlag vor. Sie sollen mehrfach ohne rechtferti­genden Grund wie zum Beispiel Notwehr auf den Deutschen eingestoch­en haben. Es seien verbale Auseinande­rsetzungen vorangegan­gen, hieß es. Die Ermittler kennen das Motiv für die Bluttat noch nicht. Am Montagaben­d dann marschiere­n die Rechten wieder

Die Stimmung in der Stadt ist aggressiv

auf. Die rechtspopu­listische Bürgerbewe­gung „Pro Chemnitz“hat zur Versammlun­g vor dem Karl-MarxMonume­nt aufgerufen. Dort wird ein Transparen­t mit dem Spruch „Deitsch un’ frei woll’n mer sei“des Dichters Anton Günther angebracht. Als Gegenpol fordert Die Linke in Sicht- und Hörweite ein „Nein zu Rassismus und Gewalt“. Die dazwischen liegende Brückenstr­aße ist noch vom Stadtfest gesperrt.

Stunden zuvor wirkte das Zentrum von Chemnitz auf den ersten Blick wie sonst auch. Letzte Buden und Bühnen des Stadtfeste­s, das am Sonntag wegen Sicherheit­sbedenken vorzeitig beendet worden war, wurden abgeräumt. Die Geschäfte hatten geöffnet, Passanten bummelten vor Schaufenst­ern. Aber es fiel auf: Es fehlten die Gruppen junger ausländisc­her Männer, die sich gewöhnlich rund um den Stadthalle­npark treffen. Auch die Mütter, die dort mit ihren Kindern spielen, waren nicht zu sehen.

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Foto: Odd Andersen, afp Bereits am Sonntagnac­hmittag hatten sich rund 800 Menschen in der Innenstadt versammelt. Am Montagaben­d sind tausende in Chemnitz unterwegs. Die Stimmung ist aufgeheizt, die Polizei mit einem Großaufgeb­ot vor Ort.

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