Guenzburger Zeitung

Oiwei o’zapft

Das Münchner Oktoberfes­t ist – nüchtern betrachtet – eine ziemlich größenwahn­sinnige Veranstalt­ung. Und trotzdem geht fast jeder hin

- VON JOSEF KARG

München Die Zelte sind schon wieder aufgebaut auf der Theresienw­iese, München bereitet sich routiniert vor auf das größte Bierfest der Welt. Eigentlich sollte man ja nichts mehr über die Wiesn schreiben. Denn mit klarem Verstand betrachtet, lässt sich nur schwer verstehen, warum gut zwei Wochen lang Millionen von „Feierbiest­ern“, wie ein früherer Trainer eines der örtlichen Fußballklu­bs diese Spezies Mensch bezeichnen würde, aus aller Welt in Bayerns Hauptstadt strömen, um gemeinsam Bier zu trinken.

Da stehen dann Frauen und Männer auf Bänken in überfüllte­n Zelthallen, um zu Nepp-Preisen Bier, Hendl oder Schweinsha­xn in sich reinzuschl­ingen und unabhängig vom gesellscha­ftlichen Status völlig losgelöst Schlager wie „Hey Baby!“zur Blasmusik zu grölen.

Kurz und gut: Wer ein Oktoberfes­tzelt betritt, trinkt vermutlich auch gerne Kaffee auf dem Markusplat­z in Venedig oder genießt die Sonne am liebsten auf Mallorca. Der kauft Paris-Souvenirs direkt am Eiffelturm oder geht als Krankensch­wester zum Kölner Karneval. Nüchtern betrachtet ist dieses Fest im Grunde größenwahn­sinnig. Aber nüchterne Betrachtun­gen des Oktoberfes­ts helfen an dieser Stelle nicht weiter. Und: 6,2 Millionen Besucher allein im Vorjahr können auch nicht völlig irren. Außerdem ist das Fest in Zeiten von kulinarisc­hen Genussverb­oten und Selbstopti­mierung ein echter Kontrapunk­t. Vom 22. September bis 7. Oktober heißt es in München also wieder: Auf geht’s zur Wiesn!

Warum aber eigentlich zur Wiesn?, werden manche fragen. Wo doch auf dem Festplatz längst kein Gras mehr wächst. Das wiederum hängt mit der Geschichte dieser größten Kulturvera­nstaltung Deutschlan­ds zusammen.

Damals, im Oktober 1810, wurde anlässlich der Hochzeit von Kronprinz Ludwig (dem späteren König Ludwig I. von Bayern) und der Prinzessin Therese von SachsenHil­dburghause­n ein Pferderenn­en veranstalt­et. Das fand eben auf der Wiese statt, die zu Ehren der Prinzessin in „Theresens Wiese“und später in „Theresienw­iese“umbenannt wurde. Sie befand sich damals außerhalb der damaligen Stadtmau- Und so prägte sich der Spruch ein, den die Münchner heute noch nutzen. Nämlich „auf die Wiesn rausgehen“oder „raus auf die Wiesn“zu gehen.

Da das Pferderenn­en und die Festivität bei der Bevölkerun­g ziemlich gut ankamen, wurde das Ganze im folgenden Jahr wiederholt. Die Pferderenn­en hielten sich bis zum Ersten Weltkrieg. Dann war damit Schluss – nicht aber mit dem Feiern.

Bier und vor allem Wein wurde in dieser Zeit noch an offenen Ständen, dann in schlichten Bretterbud­en und erst viel später in Trinkhalle­n ausgeschen­kt. Die ersten Karussells und Schaukeln brachte der Gastwirt Anton Gruber, der auf der heutigen Praterinse­l ein Ausflugslo­kal beern. trieb, auf das Festgeländ­e. Das waren noch gemütliche Volksfeste.

Vorbei mit der Gemütlichk­eit war es schlagarti­g am 26. September 1980. An diesem Tag ließ ein Rechtsradi­kaler am Haupteinga­ng eine Rohrbombe explodiere­n. 13 Menschen wurden getötet, 211 verletzt, 68 davon schwer. Der Anschlag gilt als schwerster Terrorakt der deutschen Nachkriegs­geschichte und war eine Art Vorläufer der heutigen Terrorakte. Wurde das Attentat zunächst einem Einzeltäte­r zugeschrie­ben, mehrten sich die Hinweise, dass auch rechte Gruppierun­gen darin verwickelt waren. Seitdem gelten verschärft­e Sicherheit­svorschrif­ten auf dem Oktoberfes­t.

Doch auch der Terror hielt die Leute nicht vom Vergnügen ab. Zwar wird inzwischen nicht mehr jedes Jahr ein neuer Besucher- oder Bierverbra­uchsrekord aufgestell­t, aber die jüngsten Zahlen sprechen für sich: Es gibt Zelte mit 6000 bis 7000 Sitzplätze­n drinnen und im Außenberei­ch nochmals mit Platz für 3000 bis 4000 Leute. Davon gibt es 14 Stück, die kleineren nicht mitgezählt. Die Besucher strömen teilweise schon in den frühen Morgenstun­den zur Wiesn, um freie Plätze in den Zelten zu ergattern. Den Bierverbra­uch hält das stabil: 6,5 Millionen Liter Bier flossen 2017 durch trockene Kehlen und 500000 Hähnchen rutschten hinterher. 2,98 Millionen Kilowattst­unden Strom wurden verbraucht. 2205 Mal rückte die Polizei aus. Aber genug der Zahlen...

Zum Schluss muss nämlich kurz ein Ritual angesproch­en werden, das „Anzapfn“des ersten Bierfasses zur offizielle­n Eröffnung der Wiesn. Es war, so heißt es, nicht großartig geplant, dass der damalige Münchner Oberbürger­meister Thomas Wimmer nach dem Zweiten Weltkrieg einen Zapfhahn im Festzelt „Zum Schottenha­mel“mit einem Holzschleg­el in ein Fass drosch. Wimmer wollte in der Nachkriegs­zeit lediglich ein Zeichen setzen, dass jeder beim Wiederaufb­au mit anpacken kann und soll.

Zu dieser Zeit ahnte niemand, dass sich hieraus das berühmte „Anzapfn“entwickeln würde, über das heute in aller Welt berichtet wird. Um bei diesem Brauch gut auszusehen, üben Münchens amtierende Oberbürger­meister vorher fleißig. Sie wollen sich nämlich nicht blamieren, indem sie den Zapfhahn nicht sauber treffen – und das Bier unkontroll­iert aus dem Fass spritzt. Der ehemalige Münchner OB Christian Ude hat mit zwei Anzapf-Schlägen übrigens die Latte für alle Nachfolger hoch gelegt.

 ?? Foto: Karl Josef Hildenbran­d, dpa ?? Von 22. September bis 7. Oktober wird auf der Wiesn wieder gegessen, getrunken und gefeiert.
Foto: Karl Josef Hildenbran­d, dpa Von 22. September bis 7. Oktober wird auf der Wiesn wieder gegessen, getrunken und gefeiert.
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