Guenzburger Zeitung

Von Bits und Bytes zu den Bauern

Grünen-Politiker Jan Philipp Albrecht hat sich mit dem Thema Digitalisi­erung in Europa einen Namen gemacht. Jetzt beerbt er seinen Parteichef Habeck in Kiel

- Detlef Drewes

Als Jan Philipp Albrecht 2009 ins Europäisch­e Parlament gewählt wurde, war das iPhone erst eineinhalb Jahre alt. Twitter gab es nicht, Facebook hatte nicht einmal ein Zehntel der UserZahlen von heute. Das größte soziale Netzwerk in Deutschlan­d hieß StudiVZ. Albrecht, damals 26 Jahre jung, übernahm für die Grünen einen der Sitze im Innen-, Justiz- und Rechtsauss­chuss. Er ahnte die Bedeutung der Digitalisi­erung, die gravierend­en Herausford­erungen, die noch nicht einmal absehbar waren.

Heute, neun Jahre später, ist er 35. Und er verlässt Brüssel als Datenschut­z-Star, um in SchleswigH­olstein „einen unheimlich spannenden Job“als Minister für Umwelt, Landwirtsc­haft, Energiewen­de und Digitalisi­erung anzutreten. „Er ist ein sehr netter Kollege. Ich setze große Hoffnungen in ihn“, sagt seine Parteikoll­egin und EUParlamen­tarierin Helga Trüpel.

Dass die Datenschut­zgrundvero­rdnung, die mit seinem Namen häufig in Verbindung gebracht wird, nicht gerade ein Meisterwer­k volksnaher Politikver­mittlung ist, weiß der studierte Jurist Albrecht, der in Braunschwe­ig geboren wurde, selbst. Sie sei „zunächst einmal eine Zumutung“, räumt er ein. „Aber sie zwingt dazu, sich sofort tatsächlic­h an den Datenschut­z zu halten“. Auf Dauer sei sie „für die Gesellscha­ft ein großer Gewinn“. Albrecht: „Wichtig ist, dass wir uns an die Regeln, die wir gemeinsam demokratis­ch aufgestell­t haben, auch halten müssen.“

Albrecht ist in der Brüsseler Welt eine Ausnahmeer­scheinung. Schon optisch fällt der Freund von Ringel-Pullovern unter lässig-legeren, nicht selten verknitter­ten Jacketts auf. Es ist seine Form des Understate­ments. Viele Gesprächsp­artner aus den Regierunge­n der Mitgliedst­aaten, aus den Führungset­agen der großen InternetKo­nzerne dürften ihn unterschät­zt haben – seinen Sachversta­nd, seine kraftvolle­n Argumente, seine Kenntnisse sowohl der Politik als auch der Netzwelt. Warum geht so einer von der großen EU-Bühne zum Kieler „Landesthea­ter“? Er schwärmt von den Zukunftsth­emen, bei denen die Digitalisi­erung wichtiger wird. Von einer Landwirtsc­haft, bei der Programme helfen können, „Düngemitte­l viel gezielter einzusetze­n“. Dass Albrecht auch schon mal als künftiger deutscher EU-Kommissar gehandelt wird, weiß er. Und lacht darüber – noch.

Der Grünen-Politiker ersetzt ab September in Kiel Grünen-Bundeschef Robert Habeck – und muss seinen Weg innerhalb der CDU-geführten schleswig-holsteinis­chen Koalition mit FDP und Grünen finden. Es ist eine neue Welt für den verheirate­ten Vater eines zweieinhal­b Jahre alten Sohnes. Während er in Brüssel ab und zu eine Beratungsp­ause nutzen konnte, um ein paar Jogging-Runden in einem Park nahe des EU-Parlamente­s zu drehen, dürfte ihm in Kiel die Zeit dafür fehlen. Anderersei­ts kommt Albrecht seinem geliebten Fußball-Verein, dem Zweitligis­ten FC St. Pauli, ein großes Stück näher.

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Foto: dpa

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