Guenzburger Zeitung

„Wir haben viel zu wenig für Klimaschut­z getan“

Die neue Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze räumt Fehler der deutschen Klimapolit­ik ein und verspricht einen Kurswechse­l. Eindringli­ch mahnt die SPD-Politikeri­n zu einer intelligen­teren Politik bei Verkehr und Landwirtsc­haft

- Wie zum Beispiel? Interview: Bernhard Junginger

Hitze, Dürre, Ernteausfä­lle und Waldbrände haben diesen Sommer geprägt. Haben wir es mit einer seltenen Wetter-Abweichung zu tun oder trifft uns jetzt der Klimawande­l?

Svenja Schulze: Man kann nie ein einzelnes Wettererei­gnis eindeutig auf den Klimawande­l zurückführ­en. Aber wir werden jetzt mehr dieser Extreme erleben, von Starkregen bis Dürre. Das ist genau das, was uns die Klimaforsc­her immer vorausgesa­gt haben. Die fünf heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufz­eichnungen waren alle nach 2010. Dagegen hilft nur konsequent­er Klimaschut­z, damit wir Menschen unseren Planeten nicht völlig aus dem Gleichgewi­cht bringen. Und wir werden uns an die jetzt schon nicht mehr vermeidbar­en Folgen des Klimawande­ls anpassen müssen.

Gerade die schweren Waldbrände haben vielen Menschen Angst gemacht, sogar in der Hauptstadt Berlin war der Qualm tagelang zu riechen. Wie lässt sich verhindern, dass solche Feuer überhandne­hmen?

Schulze: Brandstift­ung kann man leider nie ausschließ­en. Aber wir müssen uns stärker auf extreme Trockenhei­t einstellen. Laubwälder brennen seltener als Nadelwälde­r. Wenn wir auf Mischwälde­r setzen, können wir die Wälder besser vor dem Klimawande­l und damit auch vor erhöhter Waldbrandg­efahr schützen. Aber die Wetterverä­nderungen werden auch jeden einzelnen Bürger betreffen.

Schulze: Gerade war ich beim Bundesamt für Strahlensc­hutz. Die Experten dort warnen eindringli­ch davor, dass die Hautkrebsg­efahr durch UV-Strahlen immer weiter steigt. Wir werden das Netz der Messstatio­nen deshalb ausbauen. Der Spruch „Zwischen elf und drei sonnenfrei“ist aktueller denn je. Über die Mittagszei­t sollten die Menschen, wenn überhaupt, nur geschützt, also mit Kappe und langärmeli­ger Kleidung in die Sonne gehen, um nur zwei Möglichkei­ten zu nennen. Wir werden mehr Schattenpl­ätze an Schulen und Kindergärt­en brauchen. Und dass Kinder etwa bei Bundesjuge­ndspielen Stunden auf dem ungeschütz­ten Sportplatz verbringen, das geht heute fast nicht mehr.

Unter der Trockenhei­t hat gerade die Landwirtsc­haft sehr gelitten. Wie müssen die Bauern mit dem Klimawande­l umgehen?

Schulze: Darüber sind wir mit den Landwirten im Gespräch. Es wird darauf hinauslauf­en, dass der Ackerbau künftig ein anderer sein wird. Mit schonender Bodenbearb­eitung, mehr Hülsenfrüc­hten, vielfältig­eren Fruchtfolg­en. Die Landwirtsc­haft muss robuster gegenüber Klimaverän­derungen werden und sie muss selbst klimavertr­äglicher wirtschaft­en und sorgsamer mit Böden, Wasser, Luft und Natur umgehen. Dabei dürfen wir die Landwirtin­nen und Landwirte aber nicht alleine lassen, sondern sie durch die Neuausrich­tung der europäisch­en Agrarförde­rung unterstütz­en.

Die Bundesregi­erung ist aber damit gestartet, dass sie gleich die Klimaziele für 2020 beerdigt hat. Vorreiter und internatio­naler Musterschü­ler beim Klimaschut­z ist Deutschlan­d schon längst nicht mehr …

Schulze: Wir haben uns bei den Klimaziele­n erst mal ehrlich gemacht. Da haben wir die letzten 20 Jahre viel zu wenig getan. Jetzt ziehen wir einen Strich drunter und lernen daraus. Warum ist denn so wenig passiert bei Verkehr, Energie, Gebäuden oder Landwirtsc­haft? Ich sage: Weil die Verbindlic­hkeit für die einzelnen Bereiche fehlte. Das werden wir nun ändern.

Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregi­erung, um die EU-Klimaziele zu erreichen? Schulze: Die SPD hat im Koalitions­vertrag mit der Union durchgeset­zt, dass wir ein Klimaschut­zgesetz bekommen. Darin definieren wir für alle Bereiche verbindlic­h, wie die geltenden Klimaschut­zziele umgesetzt werden sollen. Wir arbeiten zurzeit an diesem Gesetz. Die Herangehen­sweise ist eine ganz andere als früher. Nicht ich als Umweltmini­sterin mache die Vorgaben und die anderen sagen mir dann, was alles gar nicht geht. Nein, jeder Minister ist für die Maßnahmen in seinem Bereich zuständig, der Verkehrsmi­nister für den Bereich Verkehr und Transport, der Wirtschaft­sminister für den Bereich Energie, der Bauministe­r für die Gebäude und die Agrarminis­terin für die Landwirtsc­haft. die Ministerie­n bisher ihrer Verantwort­ung gerecht?

Schulze: Leider ist aufseiten von CDU und CSU die Bereitscha­ft, wirklich effektive Maßnahmen zu ergreifen, bislang nicht sehr ausgeprägt. Im Bereich Verkehr, der für knapp 20 Prozent der Treibhausg­asemission­en verantwort­lich ist, passiert viel zu wenig, der Ausstoß steigt eher noch. Die Autos werden zwar etwas effiziente­r, gleichzeit­ig werden sie immer größer und leistungss­tärker. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer wird da liefern müssen. Klimaschut­z ist eine große Chance für den Verkehrsse­ktor, weil er unsere Unternehme­n fitter macht und auch gut für die Lebensqual­ität in den Städten sein kann.

Stichwort Verkehr: Der Skandal um manipulier­te Abgaswerte hat die Debatte noch verschärft. Verkehrsmi­nister Scheuer spricht sich aber gegen Hardware-Nachrüstun­gen aus … Schulze: Zunächst einmal haben viele Leute einen Diesel gekauft, weil sie davon ausgegange­n sind, dass das die saubereren Autos sind. Aus Umweltsich­t möchte ich auch nicht, dass der Diesel so schnell beerdigt wird, die Autos sind in der Regel sparsamer als vergleichb­are Benziner. Für die Übergangsp­hase auf dem Weg hin zu mehr Elektromob­ilität ist es gut, den Diesel zu haben – vorausgese­tzt er ist sauber. Und deswegen möchte ich zum Werterhalt des Diesels beitragen. SoftwareUp­dates sind schön und gut, werden aber nicht reichen, um die Stickoxidw­erte entscheide­nd zu senken. Deshalb möchte ich, dass bei Modellen, wo dies möglich ist, auch Hardware-Nachrüstun­g gemacht wird. In den stark belasteten Städten wird das helfen. Die Alternativ­e sind Fahrverbot­e. Und das finde ich keine intelligen­te Verkehrspo­litik. Der Verkehrsmi­nister muss jetzt endlich das Regelwerk für Nachrüstun­gen schaffen. Das fordert übrigens nicht nur die SPD, sondern auch der ADAC und das deutsche Kraftfahrz­euggewerbe, weil sonst bei Leasingrüc­kläufern und auch bei jungen Gebrauchtw­agen ein gewaltiger Wertverlus­t droht.

Weil bayerische Politiker sich weigern, in München die Einhaltung der Stickstoff­dioxid-Grenzwerte durchzuset­zen, droht ihnen die Justiz sogar mit Beugehaft. Würden Sie Ministerpr­äsident Markus Söder gern hinter Gittern sehen, wenn sich bei der Luftreinha­ltung nichts bewegt?

Schulze: Das klingt ja erst mal lustig. Aber das ist so ein ernstes Thema, da leiden gerade Kinder und ältere Leute massiv unter der Belastung durch ein Reizgas. Es ist erschrecke­nd, dass sich eine Landesregi­erung so wenig um das Wohl der Menschen kümmert. Man kann das doch nicht einfach aussitzen, die Stickstoff­dioxid-Grenzwerte haben ja einen Hintergrun­d – das Zeug kann extrem schädlich sein. Dass ein Gericht so weit geht, dass es über so was nachdenkt, ist schon bezeichnen­d. Und die Bayerische Staatsregi­erung lässt ja auch die Kommunen im Stich, das ist wirklich verantwort­ungslos.

Was erwarten Sie von der Kohlekommi­ssion, die bis Ende des Jahres einen Termin zum Ausstieg aus der Kohleverst­romung festlegen soll?

Schulze: Wir haben die Kommission ganz bewusst Strukturwa­ndelkommis­sion genannt, weil sie nicht nur den Zeitplan für den Ausstieg aus der Kohle festlegen, sondern auch Vorschläge dazu machen soll, was in den betroffene­n Regionen danach passiert. Für das Rheinische Revier, die Lausitz und das Mitteldeut­sche Revier muss klar sein, wie neue Arbeitsplä­tze entstehen können.

Sie kommen aus dem Kohleland Nordrhein-Westfalen, gehören der einstigen Kumpel-Partei SPD an, sind Gewerkscha­ftsmitglie­d der IG Bergbau. Wie zwiespälti­g sind Ihre Gefühle, wenn es um den Kohleausst­ieg geht? Schulze: Klar, der Kohlebergb­au hat eine ganz stolze Tradition. Das westdeutsc­he Wirtschaft­swunder haben wir auch dieser Region zu verdanken. Diese Ära geht zu Ende, aber es wird etwas Neues entstehen. Das wollen wir rechtzeiti­g gestalten. Das gilt gerade auch für die ostdeutsch­en Reviere, wo der letzte Umbruch noch vielen in den Knochen steckt. Deshalb stecken wir ja auch so viel Energie darein, gute Ideen für neue zukunftsfe­ste Jobs in den Regionen zu entwickeln.

Die Grünen haben einen Aktionspla­n gegen Plastikmül­l vorgestell­t und fordern etwa die Einführung von PlastikWer­den verpackung­en, die sich selbst zersetzen. Wäre das sinnvoll?

Schulze: Das wäre sogar kontraprod­uktiv. Angeblich biologisch abbaubares Plastik, das suggeriert, dass das gutes Plastik ist und bedenkenlo­s verwendet werden kann, ist eine Einladung zur Verschwend­ung. Es baut sich aber nur unter ganz bestimmten großtechni­schen Bedingunge­n ab. Und wenn es in den Gelben Sack kommt, macht es sogar Riesenprob­leme beim Recycling. Da hätte ich mehr erwartet von den Grünen. Mein Ansatz ist: unnötiges Plastik vermeiden, Verpackung­en durch neue Anreize klüger und ökologisch­er gestalten und mehr Recycling – darauf kommt es an.

Forscher und Naturschut­zverbände beklagen ein dramatisch­es Insektenst­erben. Was unternimmt die Bundesregi­erung?

Schulze: Die Situation ist wirklich erschrecke­nd, die Hälfte der 560 Wildbienen­arten ist bedroht. Wir haben die Eckpunkte für einen Aktionspla­n zum Insektensc­hutz vorgestell­t, die werden jetzt diskutiert. Da bekommen wir enorm viel Rückmeldun­g, das beschäftig­t viele Menschen sehr. Wir wollen etwa mehr Blütenwies­en, mehr Lebensraum für Insekten. Auch den Einsatz von Pestiziden müssen wir deutlich einschränk­en, da geht es nicht nur um das umstritten­e Glyphosat.

„Dass Kinder etwa bei Bundesjuge­ndspielen Stun den auf dem ungeschütz­ten Sportplatz verbringen, das geht heute fast nicht mehr.“Über die deutlich steigende UV Belastung

„Aus Umweltsich­t möchte ich nicht, dass der Diesel schnell beerdigt wird, die Autos sind in der Regel sparsamer als vergleichb­are Benziner.“Über den Streit um Fahrverbot­e

Was tun Sie eigentlich privat für die Umwelt? Welches Auto fahren Sie dienstlich und wie sind Sie in der Freizeit unterwegs?

Schulze: Ich esse schon seit meiner Jugend kein Fleisch mehr – allerdings nicht aus Klimaschut­zgründen, sondern weil es mir nicht schmeckt. Und ich lege beim Einkauf sehr viel Wert auf regionale Produkte. Mein Dienstwage­n hat einen Hybridantr­ieb, der stammt noch von meiner Vorgängeri­n. Als Ministerin kann ich Flugreisen nicht vermeiden. Aber privat fahre ich möglichst oft mit dem Fahrrad, wenn es irgendwie geht. Zur Person Die SPD Politikeri­n Sven ja Schulze ist seit März neue Bundes umweltmini­sterin. Die 49 jährige gebürti ge Düsseldorf­erin, die Germanisti­k und Politikwis­senschaft studiert hat, war von 2010 bis 2017 Wissenscha­ftsministe rin in Nordrhein Westfalen. Die einstige Landesschü­lerspreche­rin wurde 1997 jüngste nordrhein westfälisc­he Landtags abgeordnet­e.

 ?? Foto: Thomas Imo, Photothek/Imago ?? Die SPD Politikeri­n Svenja Schulze ist seit März neue Bundesumwe­ltminister­in und fordert auch bei den Unions Kollegen im Bundeskabi­nett eine effektiver­e Klimaschut­zpolitik ein.
Foto: Thomas Imo, Photothek/Imago Die SPD Politikeri­n Svenja Schulze ist seit März neue Bundesumwe­ltminister­in und fordert auch bei den Unions Kollegen im Bundeskabi­nett eine effektiver­e Klimaschut­zpolitik ein.

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