Flucht ins Ungewisse
Anne Tyler über Frauen und Familien
Es ist Anne Tylers 22. Roman, und auch in „Launen der Zeit“spricht die Chronistin des amerikanischen Mittelstands aus jeder Zeile. Wieder einmal geht es um schwierige Familienverhältnisse und die Flucht daraus. Willa ist nett und unauffällig, hilfsbereit und voller Schuldgefühle. Die hat sie seit ihrer Kindheit, die geprägt war durch die häufige Abwesenheit der Mutter und die Unzulänglichkeit des allzu sanftmütigen Vaters. Derek, der Ehemann, ist ganz anders, ein Machotyp. Sie bricht ihr Studium ab, zieht nach Kalifornien und wird Mutter. Ein ganz alltägliches Leben, bis Derek durch einen Unfall aus dem Leben gerissen wird.
Auch dem zweiten Ehemann fällt es leicht, diese von Schuldkomplexen geplagte Frau zu dominieren. In einer Golfsiedlung wird der Lebensabend geplant, auch wenn Willa nicht golfen kann. Doch dann tut sich per Zufall ein Hintertürchen auf, das dieser unterschätzten Hausfrau die Flucht aus dem Golf-Getto ermöglicht. Denise, eine Ex-Freundin ihres Sohnes, bittet sie um Hilfe, weil sie im Krankenhaus liegt und sich jemand um ihre kleine Tochter kümmern muss. Willa eilt nach Baltimore – und landet in einer schäbigen Gegend mit spleenigen Nachbarn, wo sie neben dem spröden Mädchen Cheryl auch noch den Hund Airplane am Hals hat. Und doch blüht Willa auf, fühlt sich endlich wieder gebraucht. Und so wagt diese so angepasste Frau doch noch den Sprung ins Ungewisse.
Übs. Michaela Grabin ger. Kein & Aber, 303 S., 21 ¤