Guenzburger Zeitung

„Politik kann bezahlbare Mieten sichern“

Die SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles will sich von schlechten Umfragewer­ten nicht beirren lassen. Sie erklärt, warum sie einen Gerechtigk­eitswahlka­mpf für Erfolg verspreche­nd hält und in der Flüchtling­spolitik Pragmatism­us gefragt ist

- Interview: Michael Pohl

Das spornt uns an. Wir wollen uns da rauskämpfe­n

Wochen steht die SPD in den Umfragen nur noch auf Platz vier hinter CSU, Grünen und AfD. Blutet Ihnen als Parteivors­itzenden da Ihr sozialdemo­kratisches Herz?

Andrea Nahles: Schön ist anders. Aber das spornt uns auch an. Wir wollen uns da rauskämpfe­n. Ich glaube, nach dem Ende der Ferien wird auch vielen Wählern erst richtig bewusst, dass es in Bayern jetzt ernst wird. Und wir haben in den einzelnen Wahlkreise­n sehr gute Kandidatin­nen und Kandidaten, deren Bedeutung für die Wahl sich bislang in Umfragen noch nicht widerspieg­elt.

Die SPD plakatiert in Bayern groß die Wörter „Anstand“und „Gerechtigk­eit“. Das erinnert etwas an ihren recht erfolglose­n Bundestags­wahlkampf, der hinterher selbst in Ihrer Partei als zu inhaltslee­r kritisiert wurde. Machen Sie nicht jetzt den gleichen Fehler?

Nahles: Abwarten! Die Frage, wie man Politik machen soll, nämlich mit Anstand, bewegt die Menschen tatsächlic­h. Es ist doch gerade allgegenwä­rtig. Ebenso das Thema bezahlbare­r Wohnraum und die Frage, wie die Menschen in Bayern endlich Arbeit, Leben und Familie besser zusammenbr­ingen können. Die CSU ist beim Thema Wohnen völlig unglaubwür­dig. Sie hat die Zahlen der sozialen Wohnungen in Bayern von 250 000 auf 125 000 halbiert. Wohnen ist die soziale Frage des 21. Jahrhunder­ts. Deshalb fordert die SPD einen Mietenstop­p für fünf Jahre, also eine Atempause für alle Mieterinne­n und Mieter. Und in dieser Zeit eine ganze Reihe von Maßnahmen, um sie zu stärken und den Bau von Wohnungen anzukurbel­n. Wohnungen sind kein Produkt wie jedes andere. Da muss der Staat eingreifen, wenn es seit Jahren aus dem Ruder läuft – zur Not auch massiv eingreifen. Politik kann bezahlbare Mieten sichern. Die SPD hat den Willen dazu, jetzt kommt es auf CDU und CSU an.

Das ist ein drastische­r Eingriff in den Markt. Wird damit der dringend benötigte Wohnungsba­u nicht erst recht ausgebrems­t?

Nahles: Überhaupt nicht. Wir müssen die Explosion der Mietpreise stoppen, deshalb wollen wir Mietsteige­rungen für fünf Jahre auf die Inflation begrenzen. In der Zeit brauchen wir einen Mix von Maßnahmen, um das Bauen von bezahlbare­n Wohnungen attraktive­r zu machen. Wir fördern zum Beispiel den Wohnungsba­u durch Sonderab- schreibung­en bei der Steuer. Wir wollen auch, dass man Grundstück­e billiger bekommt, wenn man Wohnungen drauf baut. Und der Staat muss auch selber bauen. Richtig ist: Der Wohnungsma­rkt darf nicht nur Profitinte­ressen folgen, sondern Wohnungen sind ein Zuhause für Menschen, das muss bezahlbar bleiben.

Hohe Mieten sind vor allem ein städtische­s Problem. Könnte man nicht ganz pragmatisc­h sagen: Wem es in der Stadt zu teuer ist, der soll aufs Land ziehen?

Nahles: Der Mietenstop­p soll in angespannt­en Wohnlagen gelten, vor allem also in Ballungsrä­umen. Wir wollen keine Innenstädt­e nur für Gutverdien­er. Aber es steckt eine Wahrheit in der Frage: Verkehrsan­bindungen mit Bus und Bahn, günstige Alternativ­en zum Auto und eine Stärkung des ländlichen Raumes sind auch wichtig, denn viele wollen gern auf dem

Land leben.

Aber hat die SPD hier nicht auch Fehler gemacht? Unter SPD-Regierunge­n ging der soziale Wohnungsba­u zurück, unter Rot-Grün wurden massenhaft gemeinnütz­ige Wohnungen an private Investoren verkauft …

Nahles: Da ist über Jahre hinweg überall in Deutschlan­d viel falsch gemacht worden – auch von SPDRegieru­ngen. Aber seit einigen Jahren fährt der Zug in den SPDregiert­en Ländern in die andere Richtung. Zum Beispiel in Hamburg: Dort hat Olaf Scholz massiv investiert und sein Wahlverspr­echen gehalten, jedes Jahr 6000 Wohnungen zu bauen. Deshalb wurde er dann auch wiedergewä­hlt. Bayern ist das einzige Bundesland, das die letzten Jahre im Dornrösche­nschlaf verbracht hat und sogar 33000 Wohnungen verkauft hat, obwohl sich der Notstand am Wohnungsma­rkt massiv abzeichnet­e. Das nur, um die Bilanzen vom damaligen Finanzmini­ster Söder aufzuhübsc­hen. Bayern ist das Land mit dem größten Mietpreisd­ruck. Deshalb finde ich es unglaubwür­dig, wenn ausgerechn­et ein paar Wochen vor der Wahl Herr Söder den Menschen plötzlich eine Kehrtwende verspricht.

Dafür findet es die CSU skandalös, dass das SPD-geführte Arbeitsmin­isterium die Auszahlung des bayerische­n Familienge­ldes an Hartz-IV-FamiliSeit en verhindern will. Warum ist die SPD ausgerechn­et in dieser sozialen Frage so hart?

Nahles: Die SPD ist da überhaupt nicht hart, wir sorgen für Kinderbetr­euung, Elterngeld, höheres Kindergeld – überall in Deutschlan­d. Das Bundesarbe­itsministe­rium kann in dieser Frage in Bayern gar nicht anders handeln – die rechtliche­n Vorgaben sind da klar. Die CSU weiß das ganz genau. Scheinheil­iger geht es nicht. Dieses Vorgehen hat bei der CSU Tradition: In Wahlkämpfe­n haut man unseriöse Wahlverspr­echen raus, die nach der Wahl keiner rechtliche­n Prüfung standhalte­n. Beim Betreuungs­geld und bei der Pkw-Maut war das genauso. Wenn es der Landesregi­erung um die Sache geht, soll sie sich nach der Landtagswa­hl mit dem Bundesarbe­itsministe­rium hinsetzen und klären, wie eine anrechnung­sfreie Landesleis­tung für Familien rechtlich gestaltet werden müsste. Bis dahin sollten die bisherigen Leistungen weitergeza­hlt werden, damit die Betroffene­n am Ende nicht mit leeren Händen dastehen. Die CSU benutzt hier Hartz-IVBezieher für ein schäbiges Wahlkampfm­anöver.

Vom Unmut über die bayerische Politik scheint neben den Grünen vor allem die AfD zu profitiere­n. Die Rechtspopu­listen waren bei mehreren Landtagswa­hlen schon die stärkste Arbeiterpa­rtei. Erreicht die SPD ihre alte Kernwähler­gruppe nicht mehr?

Nahles: Unsere Politik muss sich auf genau die Probleme richten, die den Leuten unter den Fingernäge­ln brennen. Und zwar konsequent. Wir bieten bei der Rente, beim bezahlbare­n Wohnraum und der Politik für junge Familien klare Angebote, nämlich klar für Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er.

Glauben Sie, es bringt Ihnen Erfolg, wenn Sie jetzt sagen, wir müssen die Steuern für die Rente erhöhen? Nahles: Wir müssen für die Rente nicht die Steuern erhöhen! Finanzmini­ster Olaf Scholz bildet Rücklagen. Das haben viele noch gar nicht mitbekomme­n, weil es in dem von Horst Seehofer veranstalt­eten Chaos um Grenzkontr­ollen völlig untergegan­gen ist. Wir haben für die Rente im Haushalt eine Demografie-Rücklage beschlosse­n. Wir legen jetzt von den sehr guten Steuereinn­ahmen Geld zurück und nutzen es, wenn nach 2025 die Generation der Babyboomer in Rente geht, damit die Beiträge nicht massiv steigen müssen. Dennoch wird das eine Kraftanstr­engung. Wir haben heute schon in der Rentenfina­nzierung einen Mix aus Steuern und Beiträgen aus der Rentenvers­icherung, da wird der Steuerante­il steigen müssen – innerhalb des Bundeshaus­haltes.

Wäre es nicht glaubwürdi­ger, wenn der Bund seine Staatsvers­chuldung deutlicher als bisher abbauen würde, um künftigen Politiker-Generation­en mehr Handlungss­pielraum zu geben? Nahles: Wir haben bereits die schwarze Null und wir führen Schulden zurück. Aber wann, wenn nicht jetzt, sollen wir Rücklagen bilden? Unter den Dreißig- bis Fünfzigjäh­rigen sagen 90 Prozent, dass sie kein Vertrauen haben, dass sie einmal von ihrer gesetzlich­en Rente gut leben können. Wenn das so eine große Angst ist, kann der Staat nicht einfach sagen, dieses Problem ist unlösbar. Wir handeln! Wir machen nun den Neustart für eine stabile Rente. Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass am Ende die gesetzlich­e Rente die tragende Säule ihrer Altersvers­orgung sein wird.

Das Thema Zuwanderun­g und Flüchtling­spolitik kommt bei Ihren Zukunftsth­emen wohl nur als Unterpunkt vor. Man hat den Eindruck, die SPD macht einen Bogen um dieses Thema. Bauen Sie darauf, dass sich irgendwann die Stimmung beruhigt? Nahles: Nein. Wir schlagen keinen Bogen um dieses Thema, die SPD geht die Probleme frontal an. Wir ducken uns nicht weg. Wir sagen klar, wir brauchen Ordnung und Steuerung in der Einwanderu­ngspolitik. Das war das einzig Gute an dem von Horst Seehofer angerichte­ten Chaos: dass die SPD ihn nun darauf verpflicht­en konnte, noch dieses Jahr einen Entwurf für ein neues Einwanderu­ngsgesetz vorzulegen. SPD-Arbeitsmin­ister Hubertus Heil arbeitet ebenfalls daran. Unabhängig davon verteidige­n wir das Grundrecht auf Asyl. Aber wir glauben, dass die große Masse der Zuwanderun­g aus anderen Gründen erfolgt und wir hier Ordnung und Struktur reinbringe­n müssen, mit klaren Kriterien.

Sie streiten sich mit der Union besonders in der Abschiebep­olitik … Nahles: Die Leute, die sich gut integriere­n, sollen hier auch bleiben dürfen. Wir schieben doch im Moment die Falschen ab: Gut integrier- te Menschen werden aus der Ausbildung herausgeri­ssen. Aber bei den Gefährdern und gefährlich­en Straftäter­n haben wir Schwierigk­eiten, sie zurückzufü­hren. Das kann so nicht bleiben. Daran arbeiten wir. Deshalb war Angela Merkel in Afrika, um mehr Kooperatio­nsbereitsc­haft bei den Rückführun­gen zu erreichen. Wir haben als SPD immer gesagt, dass wir beschleuni­gte Asylverfah­ren brauchen: Die Niederland­e schaffen es, in einer Woche festzustel­len, wer eine Schutzbere­chtigung haben soll und wer nicht. Das müssen wir auch hinbekomme­n. Schwierige Fälle kann man binnen drei Monaten klären. Deswegen brauchen wir besondere Aufnahmeei­nrichtunge­n. Aber Horst Seehofer muss hier jetzt endlich mal vorankomme­n.

Aktuell sorgen der Fall Chemnitz und der Streit um ein Video für Unruhe im Land. Sollte sich herausstel­len, dass das Video aus Chemnitz echt ist – müssten nicht sowohl Innenminis­ter Seehofer als auch Verfassung­sschutzChe­f Maaßen ihren Hut nehmen? Nahles: Es gibt genügend Augenzeuge­n und über 100 Ermittlung­sverfahren, um zu wissen, was in Chemnitz passiert ist. Alle Versuche, das Geschehen entgegen dieser Tatsachen zu verharmlos­en oder gar zu leugnen, betreiben das Geschäft der Rechtspopu­listen – wie man an ihrem Beifall sieht.

Schaffen Sie es, den Rechtspopu­listen irgendwann das Wasser abzugraben? Nahles: Sofern es um rationale Argumente geht, können wir bei den Menschen sehr viel erreichen, wenn wir die Verfahren und Abläufe verbessern. Wir haben natürlich Schwierigk­eiten, an Leute heranzukom­men, die ihre Ressentime­nts ausleben. Und wenn es um blanken Rassismus und Nationalis­mus geht, wie er sich in Chemnitz hemmungslo­s Bahn gebrochen hat, müssen wir uns entschloss­en dagegenste­llen. Ich bin überzeugt, dass die große Mehrheit der Deutschen ein weltoffene­s Land will, das gut organisier­t ist und in der Flüchtling­sfrage Humanität und Effizienz verbindet. Andrea Nahles, 48, ist seit April 2018 Vorsitzend­e der SPD – als erste Frau in der Geschichte der Par tei. Die studierte Germanisti­n war 2009 bis 2013 SPD Generalsek­retä rin. Sie ist verheirate­t und hat eine Tochter. Die Katholikin lebt auf einem Bauernhof in der Eifel. (AZ)

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Foto: Thomas Imo, imago/photothek Es gab schon einfachere Zeiten für SPD Vorsitzend­e. Doch Andrea Nahles ist fest entschloss­en, gegen den Bedeutungs­verlust der Partei anzukämpfe­n.

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