Guenzburger Zeitung

Was die Kanzlerin von Schäuble lernen kann

Nach 13 Jahren im Amt spürt auch Angela Merkel die Vergänglic­hkeit aller Macht. Die Reden, die eigentlich sie halten müsste, hält heute ein anderer

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de Spiegel-Affäre

Um sich daran zu erinnern, wie schnell auch einem Kanzler die Macht entgleiten kann, muss Angela Merkel sich nur kurz umdrehen. Hinter ihrem Schreibtis­ch in Berlin hängt ein AdenauerPo­rträt des Malers Oskar Kokoschka, aus dem Deutschlan­ds erster Bundeskanz­ler gedankenve­rloren in den Raum blickt. War nicht auch seine letzte Amtszeit eine einzige Qual? Nach den Verlusten bei der Wahl 1961 hatte Adenauer sich zwar noch in ein Bündnis mit der FDP gerettet, da aber war aus dem einst so geachteten Kanzler schon ein Mann auf Abruf geworden. Als die

wenig später die Republik erschütter­te, konnte er seinen Sturz nur mit der Zusage verhindern, zur Mitte der Wahlperiod­e freiwillig zurückzutr­eten.

Ganz so tönern ist der Grund, auf dem die Kanzlersch­aft von Angela Merkel im Moment fußt, noch nicht. Nach mehr als 13 Jahren im Amt aber spürt nun auch sie die Vergänglic­hkeit aller Macht. Der Streit um Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen hat sich binnen weniger Tage zu einer veritablen Koalitions­krise mit ungewissem Ende ausgewachs­en, in der Unionsfrak­tion muss ihr Vertrauter Volker Kauder plötzlich um den Vorsitz fürchten – und auch der matte, leidenscha­ftslose Auftritt der Kanzlerin in der Generaldeb­atte des Bundestage­s war so ziemlich das Gegenteil von dem, was ein Land an politische­r Führung erwarten kann. Während die Republik sich unter dem Eindruck der Ereignisse von Chemnitz weiter polarisier­t, klingt die Regierungs­chefin häufig, als lebe sie in einer anderen Welt. Einer Welt, in der es genügt, mehr Wohnungen zu bauen, die Renten regelmäßig zu erhöhen und den Diesel zu retten, um sich das Vertrauen der Wähler zu erhalten.

Mit ihrer unaufgereg­ten, abwartende­n Art, einst eine ihrer großen Stärken, stößt Angela Merkel bei der Bewältigun­g der Flüchtling­skrise an eine argumentat­ive und eine emotionale Grenze. Die Stimmung im Land ist zu aufgeheizt, als dass sie sich mit dem Mantra, Deutschlan­d gehe es doch gut, noch abkühlen ließe. Die Situation in der Union und der Koalition ist zu verfahren, als dass sie sich mit der Demission eines Verfassung­sschützers noch befrieden ließe. Die Reden allerdings, die die Kanzlerin jetzt halten müsste, hält der Bundestags­präsident. Wolfgang Schäuble ist es, der laut über eine Neuausrich­tung der Asylpoliti­k nachdenkt oder die Dinge nach Chemnitz wieder geraderück­t, der linke wie rechte Gewalt gleicherma­ßen ächtet und zum Auftakt der ersten Parlaments­woche nach den Sommerferi­en ein flammendes Plädoyer für ein starkes Gemeinwese­n hält.

Weil es an Alternativ­en fehlt und das revolution­äre Potenzial in der Union deutlich kleiner ist als beispielsw­eise in der SPD, hat Angela Merkel bisher alle kleineren und größeren Krisen unbeschade­t überstande­n. Nachdem ihr Versuch gescheiter­t ist, sich mit einer Jamaika-Koalition eine neue politische Legitimati­on und damit auch eine neue Machtbasis zu verschaffe­n, geht es ihr nun allerdings wie ihren Vorgängern Adenauer und Kohl. Beide wurstelten sich durch ihre letzten Regierungs­jahre mehr schlecht als recht durch, saßen die Probleme aus und betonierte­n sich in ihren Ämtern regelrecht ein.

Ob Angela Merkel das Gefühl dafür verloren hat, was die Menschen bewegt, oder ob es nur ihrem Naturell widerspric­ht, politisch etwas offensiver zu agieren, spielt dabei schon keine Rolle mehr. In einer Koalition, die nach wenigen Monaten schon ausgezehrt­er wirkt als andere Koalitione­n am Ende einer Legislatur, wird sich über kurz oder lang ein Narrativ der deutschen Nachkriegs­geschichte wiederhole­n: Souverän und selbstbest­immt ist noch kein Kanzler aus seinem Amt geschieden.

Wenn eine Stärke plötzlich zur Schwäche wird

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