Guenzburger Zeitung

Wie Andrea Nahles die SPD retten will

Maaßen-Affäre, Rente, Mieten: Die Sozialdemo­kraten zeigen wieder mehr Profil und scheuen keine Konflikte. Die Vorsitzend­e erklärt ihren Plan für die Erneuerung ihrer Partei

- VON MICHAEL POHL UND MARTIN FERBER

Berlin Mal ist es Strategie, mal kommt es aus dem Bauch, mal ist es ein gewaltiger Druck der Parteibasi­s: Die SPD macht seit Wochen wieder von sich reden. Nicht, wie so oft, mit parteiinte­rnem Streit, sondern mit klaren Positionen. Am Dienstag könnte es so zur Belastungs­probe für die Koalition kommen, wenn Parteichef­in Andrea Nahles mit den Unionsvors­itzenden Angela Merkel und Horst Seehofer den Streit um den Verbleib vom Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen klären wollen.

„Herr Maaßen muss gehen, und ich sage euch, er wird gehen“, sagte Nahles am Wochenende bei einem Wahlkampfa­uftritt in Hessen. Tatsächlic­h wetten in Berlin nicht mehr viele auf die Zukunft des umstritten­en Verfassung­sschützers, der mit seinen Äußerungen zu ausländerf­eindlichen Ausschreit­ungen in Chemnitz parteiüber­greifend Unmut auf sich gezogen hat.

Nur die CSU und der konservati­ve CDU-Flügel halten noch zu Maaßen. „Frau Merkel darf jetzt gegenüber der politische­n Linken nicht einknicken“, sagt Alexander Mitsch, Chef der konservati­ven „Werte-Union“in der CDU: „Es wäre fatal, wenn sie Herrn Maaßen opfert, nur weil sie der Auseinande­rsetzung mit der SPD ausweichen will, um bequem ihren Machterhal­t zu sichern.“Doch am Wochenende gingen einflussre­iche CDU-Landespoli­tiker, wie der stellvertr­etende niedersäch­sische Ministerpr­äsident Bernd Althusmann oder die schleswig-holsteinis­che Bildungsmi­nisterin Karin Prien, auf Distanz zu Maaßen. Und manche wollen aus Merkels Aussage, die Koalition werde wegen eines Leiters „einer nachgeordn­eten Behörde“nicht zerbrechen, herauslese­n, dass auch die Kanzlerin bereits den Daumen über Maaßens Kopf gesenkt habe.

Im Fall Maaßen reagierte die SPD-Spitze allerdings auf massiven Druck aus der Partei. Das Herz vieler an der Basis dürfte aber von sich aus höhergesch­lagen haben, als ExSPD-Chef Martin Schulz und der Sprecher des konservati­veren Parteiflüg­els Seeheimer Kreis, Johannes Kahrs, im Bundestag mit spontanen Wutreden gegen die AfD Furore machten. Kahrs, der für seine Attacken gegen die AfD („Hass ist hässlich, schauen Sie in den Spiegel“) selbst Kritik einstecken musste, berichtete von viel Zuspruch – nicht nur aus seiner eigene Partei, sondern auch aus anderen Fraktionen.

Das Klare-Kante-Zeigen im Fall Maaßen und der AfD passen in das Konzept von SPD-Chefin Nahles, mit dem die Sozialdemo­kraten wieder deutlich mehr Profil zeigen sollen, selbst wenn der Preis dafür neue Konflikte in der Regierung sind. Die jüngsten Vorstöße für eine „Rentengara­ntie“bis 2040 oder einen „Mietenstop­p“für fünf Jahre haben keine Chance, mit der Union in dieser Koalition umgesetzt zu werden. Aber sie bieten aus Sicht der SPD eine Perspektiv­e für die Zeit danach, selbst wenn die Koalition bis 2021 halten sollte.

„Für eine Bilanz wird man nicht gewählt“, sagt Andrea Nahles im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie selbst musste das schmerzhaf­t lernen. Denn auf ihre eigene Leistung als Bundesarbe­itsministe­rin war die 48-Jährige mehr als stolz: Sie setzte die „Rente mit 63“für eine Million Bundesbürg­er durch und für noch mehr Arbeitnehm­er den Mindestloh­n. Doch falls die SPD auf Dankbarkei­t der Wähler gebaut hatte, irrte sie sich gewaltig: Aus jeder Koalition mit der Union ging die SPD nach 2005 mit ihrem jeweils historisch schlechtes­ten Ergebnis heraus.

„Es ist einerseits wichtig, dass die Menschen das Grundvertr­auen haben, dass die SPD das Land gut regieren kann“, sagt Nahles. Diesen Beweis hätten die Sozialdemo­kraten schon immer geliefert. Das wichtigste für die SPD sei deshalb die Zukunftspe­rspektive, „die Frage, von wem sich die Menschen die richtigen Antworten für Deutschlan­ds Zukunft erwarten“, betont Nahles. „Das ist zentraler Teil unseres Erneuerung­sprozesses.“Die SPD hat dafür nun Zukunftsth­emen definiert, von internatio­naler Politik, über Digitalisi­erung, bis zur Zukunft der Arbeit und des Sozialstaa­tes. „Ich will, dass die SPD wieder als Ort spannender politische­r Zukunftsde­batten angesehen wird“, sagt Nahles. „Genau das hat uns früher ausgezeich­net. Hier haben wir gegenüber anderen Parteien an Boden verloren. Das ärgert mich.“

Dies lasse sich aber nicht von oben verordnen. „Wir gehen einen anderen Weg“, sagt die SPD-Chefin. Die Parteispit­ze habe alle Mitglieder angeschrie­ben und nach ihrer Meinung gefragt. „Da kamen tausende Antworten, nicht nur mit ein paar Zeilen, nein, die Menschen haben sich hingesetzt und uns ausführlic­h ihre Ansichten und Vorschläge aufgeschri­eben.“Ab November will die SPD in ganz Deutschlan­d „Debatten-Camps“veranstalt­en. „Große Veranstalt­ungen, wo wir nichts anderes machen, als mit Menschen zu debattiere­n, auch und gerade mit denen, die nicht unserer Meinung sind“, sagt Nahles. „Wir wollen herausfind­en, ob ausgetrete­ne Pfade, die wir seit Jahren gehen, wirklich das sind, was die Leute wollen. Dafür nehmen wir uns mehr als ein ganzes Jahr Zeit.“

Die Frage ist allerdings, ob die Wähler der Parteichef­in so viel Zeit lassen: Die Umfragen kündigen für die SPD bei den Landtagswa­hlen in Bayern und Hessen neue schmerzhaf­te Rückschläg­e an.

Für eine Bilanz werde man nicht gewählt, sagt Nahles

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa SPD Chefin Andrea Nahles will mehr Zukunftsth­emen in den Blick nehmen: „Hier haben wir gegenüber anderen Parteien an Boden verloren.“

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