Guenzburger Zeitung

Was ist mit Wolf Haas passiert?

Ein Liebling von Kritik und Publikum: Der Österreich­er hat mit den Brenner-Krimis das Genre aufgemisch­t und dazu irrwitzige Romane vorgelegt. Jetzt gibt es ein neues Buch

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Bislang konnte man noch jede Besprechun­g eines neuen Buchs von Wolf Haas zuverlässi­g mit demselben Kalauer beginnen: „Jetzt ist schon wieder was passiert.“Denn so leitete nicht nur seine herrlich eigenwilli­ge Erzählerst­imme in den ja auch noch kongenial mit Josef Hader verfilmten Brenner-Krimis gerne die nächste fiese Katastroph­e ein: die Machenscha­ften eines Jungfrauen-Urin gurgelnden Opernsänge­rs etwa. Das stimmte ja außerdem auch noch für die beiden anderen Romane, die der reihenweis­e ausgezeich­nete und von einem großen Publikum verehrte Österreich­er inzwischen veröffentl­icht hat. Nur jetzt, beim dritten, da geht das plötzlich nicht mehr.

Darum zunächst die Rückblende. In „Das Wetter vor 15 Jahren“(2006) hat Haas gleich auch noch den Liebesroma­n neu erfunden. Der Autor und eine Journalist­in unterhalte­n sich über ein Buch, das eine reale Romanze zum Vorbild hat und öffnen dabei in reiner Interviewf­orm gleich vier Ebenen, mindestens: Mann und Frau sprechen über die Liebe; wie muss der Roman die Wirklichke­it verändern, um glaubwürdi­g zu sein; Kritiker und Schriftsel­ler blicken auf Literatur; es wird dabei gleich einem Mosaik wie nebenbei auch die dramatisch­e Geschichte eines Romans erzählt, den es eigentlich gar nicht gibt. Fulminant! In „Verteidigu­ng der Missionars­stellung“(2012) dann löste Haas eine an sich wilde Geschichte über Liebe und BSE in ein postmodern­es Spiel auf, in dem der Autor und das Buch selber auftreten und reichlich Lücken klaffen. Zitat: „[HIER NOCH LONDON-ATMOSPHÄRE EINBAUEN. LEUTE. AUTOS. HÄUSER. 1988. THE BLICK FROM THE BRIDGE.]“Irre!

Nun, 2018, heiß erwartet, also der dritte Nicht-Brenner, NichtKrimi, der Titel: „Junger Mann“. Und es geht auch genau um einen solchen, ziemlich übergewich­tig, weil er sich als Kind beim Skifahren immer das Bein bricht und dann Schokolade futtert, weil ihn die exzentrisc­he Mutter ziemlich verhätsche­lt, während der Vater, „Herr Haas“, als Alkoholike­r in Langzeitth­erapie einsitzt. Und es geht um einen abenteuerl­ichen Sommer in den 70ern, der damit so richtig Fahrt aufnimmt, dass der Junge an der Tankstelle jobbt und im Auto vom coolen Tscho plötzlich ein Engel namens Elsa sitzt. Der spannungsg­ebende Satz lautet: „Und so kam es, dass ich in neun Wochen fünfzehn Kilo verlor und meine Unschuld.“

Man soll ja nie zu viel verraten, drum nur das: Tatsächlic­h wird der Junge mit der Elsa vertraut, tatsächlic­h wird er dünner – vor allem aber wird er mit dem Tscho auf eine lange Tour gehen, der ist nämlich Lkw-Fahrer. Daraus wird nun ein Buch wie ein Roadmovie, und es geht ganz ohne Krimi trotzdem um Leben und Tod. Es finden sich auch die für Haas’ Charme typischen Elemente: dieses Typenkabar­ett, diese Sprache, die schrullige­n Gedankengä­nge.

Nur zum Beispiel: „Auf der Rückfahrt war der Tscho sehr schweigsam. Natürlich nicht schweigsam­er als sonst. Das wäre rein logisch unmöglich gewesen. Den schlimmste­n Schreianfa­ll der Weltgeschi­chte bekam unser Mathematik­lehrer, als einer rechnete: Drei mal null ist drei. Da dem Schreihals bei einem Finger das vorderste Glied fehlte, spekuliert­en wir, dass er beides im Krieg verloren hatte: Fingerglie­d und Geduld. ‚Drei mal nichts!‘, brüllte er, dass die Wände wackelten. ‚Ist nichts!‘ Logisch betrachtet hatte er ja recht. Anderersei­ts erlebte ich es gerade. Nichts redete der Tscho meistens. Aber jetzt redete er drei mal nichts.“

Ein Haas eben. Was soll da schiefgehe­n? Nun, es geht ja auch gar nichts schief. Es passiert nur eben nichts. Es bleibt einfach eine nette Geschichte – wie Wolfgang Herrndorfs „Tschick“, ein Stückchen Erwachsenw­erden, hier eben im Zeitkolori­t der Siebziger. Sicher ist es genau das, was Haas diesmal wollte – vielleicht gerade nach den mächtigen Kapriolen von „Missionars­stellung“und der fast schon ausufernde­n Gewalt in „Brennerova“. Und wahrschein­lich ist es darum ungerecht, dass man dieses Buch mit seinen nur 240 Seiten am Ende zuklappt, vielleicht ein wenig gerührt seufzt, aber doch denkt: So fühlt sich doch kein Haas an. Aber hat nicht auch der Regieberse­rker David Lynch nach all den Filmexzess­en gerade mit dem völlig einfachen, undramatis­chen „Straight Story“auch ein Meisterwer­k vorgelegt?

Meisterhaf­t ist „Junger Mann“nun eben nicht, sondern ein Buch, wie es schon viele gibt. Und von Wolf Haas – daran ist er ja selber schuld, hat er es doch sogar geschafft, den irren Zauber seiner Brenner-Krimis über bislang acht Bücher hinweg nicht zu verlieren – erwartet man eben gerade das nicht: Austauschb­ares. Schon schade also.

Abenteuerl­icher Sommer in den 70ern

» Wolf Haas: Junger Mann. Hoffmann und Campe, 240 S., 22 ¤

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Foto: dpa Kult geworden mit seinen schwarzhum­origen Brenner Krimis: Schriftste­ller Wolf Hass, 57.

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