Guenzburger Zeitung

Von Angst und Problemen

- VON PETER BAUER redaktion@guenzburge­r zeitung.de

Das Günztal – es ist schon ein idyllische­s Stück Landschaft. Und wer sich Zeit nimmt und hier wandernd oder mit dem Rad unterwegs ist, der spürt auch etwas von der Lebensgela­ssenheit und den Traditione­n, die das Günztal und die Region so lange geprägt haben. Auf einer Wiese grasen Kühe. Nicht weit entfernt das Breitentha­ler Vereinshei­m, im wahrsten Sinne das Heim für Musik, die Schützen, den Sport, auf der Bühne wird regelmäßig Laientheat­er gespielt. Nun steht hier Alice Weidel von der AfD auf der Bühne. Prallvoll ist der Saal, draußen vor dem Gelände wird demonstrie­rt. Es sind Hunderte von Menschen da und Hunderte von Menschen dort. Die Wahl der Worte ist auf beiden Seiten, sagen wir, nicht selten hart. Diese vielen Menschen haben sich – eigentlich nichts zu sagen. Und das bei uns, in Mittelschw­aben. Allein dieser Befund lässt einen durchatmen. Die Zuhörer von Alice Weidel, das sind in hohem Maß nicht mehr die Neonazis und NPD-Sympathisa­nten früherer Jahrzehnte. Im Publikum sind auch Ärzte, Lehrer, Handwerker. Und „da sind doch auch Menschen mit all den Sorgen und Problemen des Alltags, der Aussicht auf eine kleine Rente, oder mit der Angst zu einem unbetreute­n Pflegefall zu werden“, sagt eine Beobachter­in, die Weidels Rede aus Interesse verfolgt, aber in keiner Weise mit der AfD sympathisi­ert.

Aber dann redet sich Alice Weidel in Fahrt. „Angela Merkel hat völlig den Verstand verloren.“Ja, die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin ist hochumstri­tten. Aber muss man deswegen Angela Merkel gleich sozusagen für verrückt erklären? Und „wer Terroriste­n, Vergewalti­ger und Messerstec­her besser als die eigenen Bürger schützt, der ist kein Rechtsstaa­t mehr“, sagt Weidel. Die Bundesrepu­blik, die längste Demokratie der deutschen Geschichte, kein Rechtsstaa­t mehr? Das ist, auch mit Blick auf viele Länder dieser Welt, formuliere­n wir es vorsichtig, ganz schön dick aufgetrage­n. Weidel spricht von Wut und Angst. Doch waren Wut und Angst jemals gute Lebensratg­eber? Draußen, bei der Gegendemon­stration, spricht Breitentha­ls Bürgermeis­terin Gabriele Wohlhöfler. Sie gehört für die CSU dem Kreistag an, gilt aber nicht als klassische „Parteipoli­tikerin“. In 16 Jahren ihrer Amtszeit hat sie eine beeindruck­ende Bilanz vorzuweise­n. Sie und viele andere Kommunalpo­litiker kennen aus dem Alltag all die Probleme, die derzeit die Menschen bewegen. Die Herausford­erungen der Integratio­n, damit verbunden die Schwierigk­eiten auf dem Arbeitsmar­kt, in den Schulen. Aber „Wut“und „Angst“– dieses Vokabular ist ihnen fremd. Und es ist nicht zuletzt dieser nüchterne Problemlös­ungsansatz, der für die Region sehr wohltuend ist. Aber wie viel Raum wird für diesen wohltuende­n Politikans­atz in einer aufgeheizt­en, sprachlich immer mehr befeuerten Stimmung bleiben?

Als in und um das Vereinshei­m von Breitentha­l langsam Stille einkehrt, schaut eine ältere Frau, die mit dem Fahrrad unterwegs ist, auf das Gelände. „Was war denn da los?“, fragt sie. „Eine Veranstalt­ung der AfD und eine Gegendemo.“Dann erzählt sie von ihrer Kindheit in Pommern, von Krieg Gewalt und Vertreibun­g. Unvermitte­lt lächelt sie. „Ach, ihr habt Probleme“, sagt sie dann nur noch – und radelt weiter.

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