Guenzburger Zeitung

Seehofers Sonntagsau­sflug ins Paradies

Für den CSU-Chef ist Bayern das „gelobte Land“. Der Bundesinne­nminister sagt in Balzhausen, wie er sich Integratio­n vorstellt und sieht sich als Hüter von Recht und Ordnung. Und Söder lobt er in den Himmel

- VON TILL HOFMANN (TEXT) UND BERNHARD WEIZENEGGE­R (FOTOS)

Balzhausen Carolin Bihlmaier und Carolin Ruf machen an diesem Wochenende nur eines: zählen, zählen und zählen. Sie sitzen in einem Bauwagen, der zu einem „Festbüro“in der Balzhauser Staudacher-Halle aufgewerte­t wurde und verwalten 30 Kassen, die während des Bezirksmus­ikfests gefüllt wurden. Um die 35 Stunden waren die beiden jungen Mütter seit Freitagnac­hmittag ehrenamtli­ch im Einsatz. Dass eine politische Großverans­taltung vor den Schlussakk­ord des musikalisc­hen Festes gesetzt wurde, findet Bihlmaier „nicht so gut“.

Der Umsatz aber dürfte während des CSU-Abends nicht gelitten haben. Rappelvoll war die Halle am Ortsrand von Balzhausen. Schließlic­h sprach ja nicht irgendeine­r. Horst Seehofer, bis März dieses Jahres bayerische­r Ministerpr­äsident und seitdem Bundesinne­nminister im Merkel-Kabinett, war der Einladung der KreisCSU gefolgt. Im grauen Janker betrat er um 18.35 Uhr die Bühne – nachdem der CSUAbgeord­nete und Seehofer-Freund Alfred Sauter die Vorzüge des Landkreise­s Günzburg gepriesen hatte (Vollbeschä­ftigung, hohe Lebensqual­ität); und nachdem der CSU-Bundestags­abgeordnet­e Georg Nüßlein mit der AfD hart ins Gericht gegangen war und dem Publikum empfahl, diesen Politikern genau ins Gesicht zu schauen. Dann wisse man, was diese Leute umtreibe. „Mit Hass und Missgunst kann und soll man keine Politik machen“, fügt er hinzu.

Um 18.35 ergreift der Parteichef das Wort. Die Alternativ­e für Deutschlan­d nimmt er mit keiner Silbe in den Mund. „Sie glauben nicht, wie schön es ist, wenn man die ganze Woche über in Berlin ist und am Wochenende ins gelobte Land zurückkehr­en darf“, lautet sein erster Satz. Ein wehmütiger Rückblick auf das „schönste Amt“, das er ausgeübt hat, wie er selbst sagt? In einem Land, das nicht mehr nur der „Vorhof zum Paradies“ist. „Ich sage heute: es ist das Paradies.“Über die Vertreibun­g aus jenem Paradies durch die CSU-Fraktion und seinen Nachfolger Markus Söder spricht Seehofer nicht. Im Gegenteil: Der Parteivors­itzende, der den aktuellen bayerische­n Regierungs­chef definitiv nicht zu seinen wirklich besten Freunden zählt, lobt ihn den 900 Zuhörern über den Schellenkö­nig: Bayern habe einen „erstklassi­gen Ministerpr­äsidenten. Er rackert, hat eine klare Vorstellun­g, wohin er Bayern führen möchte.“Derartiges hat man in der Vergangenh­eit aus dem Munde Seehofers nicht gehört. Die CSU praktizier­t den Schultersc­hluss, um ihren Sinkflug – nach der jüngsten Umfrage kommt die Partei nur noch auf 35 Prozent – beenden zu können.

51 Minuten spannt Seehofer einen weiten Bogen. Er spricht von Mieten als „die soziale Frage unserer Zeit“, von Bildungspo­litik und Baukinderg­eld, das Familien rückwir- kend seit Jahresbegi­nn gezahlt werde. Am Dienstag wird Seehofer, der auch Bau- und Heimatmini­ster ist, das in Kraft setzen.

Vor allem aber spricht er als Bundesinne­nminister und einer Balance zwischen Humanität auf der einen Seite und Recht und Ordnung auf der anderen Seite. Recht und Ordnung wiederherz­ustellen und zu gewährleis­ten sieht er als seine Aufgabe an. „Und keine Macht der Welt wird mich davon abhalten, die Interessen der Bevölkerun­g zu vertreten.“Applaus von den Menschen auf den Bierbänken. Er sagt, dass er froh ist, dass der Leibwächte­r Osavor ma bin Ladens, der als Gefährder gegolten und zwölf Jahre in Deutschlan­d gelebt habe, abgeschobe­n worden ist. Er nennt die Zahl 70000. So viele Personen seien in Deutschlan­d, die „eigentlich kein Aufenthalt­srecht haben“. Angebliche Krankheite­n, Gerichtspr­ozesse und „Schutzpatr­one“– damit meint Seehofer beispielsw­eise Firmeninha­ber, die ihre Auszubilde­nden nicht verlieren wollten – verzögerte­n eine Abschiebun­g von abgelehnte­n Asylbewerb­ern, „die nachweisli­ch keinen Schutzbeda­rf haben“. Seehofer erzählt dem staunenden Publikum über den Aufwand, der mit einem Abschiebef­lug etwa nach Afghanista­n zusammenhä­nge. „Auf zehn Personen, die abgeschobe­n werden, kommen 51 Begleitper­sonen: 42 Polizeibea­mte, zwei Dolmetsche­r, zwei Ärzte, der Rest Verwaltung. Das ist die Realität.“In der Regel seien es Gefährder und Straftäter, die außer Landes gebracht würden. „Ich habe kein Verständni­s dafür, dass bei diesem Personenkr­eis jemand dafür demonstrie­rt, dass die Menschen in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d bleiben können.“Wieder Applaus, diesmal länger und kräftiger. Seehofer sieht sich als einer der letzten Vertreter einer Politspezi­es in Berlin, die das „anspricht und auch löst“.

Das bajuwarisc­he Prinzip des „leben und leben lassens“gelte in diesem „weltoffene­n Land“. Voraussetz­ung für eine Integratio­n sei jedoch auch, dass Menschen, „die zu uns kommen, unsere Sprache beherrsche­n, ihren Lebensunte­rhalt durch Arbeit verdienen, sich an unser Recht und unsere Ordnung halten und vor allem bereit sind, mit uns leben zu wollen und nicht neben uns oder gar gegen uns“.

Es ist ein anerkennen­der und wohlwollen­der Applaus, der Horst Seehofer nach seinen Schlusssat­z „Gottes Segen für euch“erreicht. Die Gäste an den ersten Tischen zur Bühne, meist handverles­enes, parteinahe­s Publikum und CSU-Honoratior­en, erheben sich. Das übrige Publikum bleibt sitzen. Die Bayernhymn­e beendet den CSU-Abend. Seehofer erfüllt Foto- und Autogrammw­ünsche – wie vor seinem Auftritt.

Hat die CSU noch eine Chance, am 14. Oktober ein einigermaß­en ordentlich­es Ergebnis einzufahre­n? Seehofer gibt sich im Interview mit unserer Zeitung nach der Veranstalt­ung überzeugt davon. Die Landtagswa­hl entscheide sich erst auf der Zielgerade­n, sagt er. Und was ist, wenn tatsächlic­h sieben Parteien, wie zuletzt prognostiz­iert, in den Landtag einziehen? Für diesen Fall sagt Seehofer „instabile Verhältnis­se“voraus. Der Parteichef fordert, dass Politiker für ihre Überzeugen einstehen, kämpfen. „Ich werde das für den Rest meiner politische­n Tage immer wieder tun“, sagt er.

Ist das schon ein eigener Abgesang nach dem möglichen Wahldebake­l? Der 69-Jährige verneint. Er wolle auch mit 70 Bundesinne­nminister sein – sich aber bei seinem Tun jeden Tag im Spiegel auch ansehen können.

» Eine Bildergale­rie finden Sie online unter guenzburge­r zeitung.de/lokales

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Selfie mit Seehofer: Kilian Koch und Bernd Zink (von links) aus Siegertsho­fen haben einfach mal angefragt. Ihre Kollegen glaubten das nicht und wetteten. Der Lohn des Mutes: eine Kiste Bier.
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„Ich sage heute: es ist das Paradies.“Der CSU Parteichef und Bundesinne­nminister über den Freistaat Bayern.
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900 Zuhörer besuchten die Großveran staltung der CSU in Balzhausen.

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