Erst laufen, dann stempeln
Schüler der Grundschule Röfingen sammeln Punkte, wenn sie zu Fuß zur Schule oder zum Bus gehen. Wenn sie genug Stempel haben, bekommen alle Schüler eine Belohnung. Welche Wirkung das Projekt zeigt
Röfingen Vor manchen Schulen sieht es aus, als wäre dort ein Taxistand. Jedes fünfte Kind wird in Deutschland mit dem Auto zur Schule gebracht – deshalb beteiligen sich bundesweit 60000 Schüler an einer Aktion für den Fußweg zur Schule (wir
berichteten). Auch die Grundschule Röfingen macht mit – doch viele Elterntaxis gibt es dort ohnehin nicht mehr. Dabei wären die Gegebenheiten praktisch: Wegen eines Rondells kann man gut halten, die Kinder rauslassen und wenden. Früher haben sich dort regelrechte Staus entwickelt, erzählt Lehrerin Hedwig Gensbaur. Mittlerweile ist das nicht mehr so – und das hat einen Grund.
„Zu Fuß zur Schule“steht auf einem Schild, davor stempelt Gensbaur Karten der Schüler. Seit vergangenem Schuljahr gibt es ein ganzjähriges Projekt. Kommen Kinder zu Fuß zur Schule oder laufen zur Bushaltestelle ihres Heimatorts, bekommen sie einen Stempel, erklärt sie. Sie hat das Projekt initiiert und betreut es mit ihrer Kollegin Simone Wrobel.
Ein Schüler streckt seine Karte hin und sagt, er habe am Tag zuvor nicht daran gedacht. „Ausnahmsweise“, sagt Gensbaur, drückt den Stempel in das Kissen und dann auf das Papier. „Normalerweise gibt es einen Stempeldienst. Die Kinder kümmern sich selbst“, sagt sie. Damit zeige man ihnen Vertrauen.
Einige Eltern waren zunächst skeptisch, erzählt Gensbaur. „Das ist zu gefährlich“, habe sie häufig gehört. Doch viele andere schickten ihr Kind zu Fuß zur Schule. Manche Schüler, die noch gefahren wurden, hätten dann gegenüber ihren Eltern durchgesetzt, dass sie auch laufen dürfen – man möchte schließlich mitmachen.
Gensbaur unterrichtet seit mehr als 20 Jahren. Wenn sie vergleicht, wie früher und heute erzogen wurde, sieht sie Unterschiede: „Eltern übernehmen heute viel mehr.“Wenn Schüler früher ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten, erklärten sie es selbst – heute kommen die Eltern ins Klassenzimmer.
Eine Schülerin möchte sich einen Stempel abholen. Die Lehrerin fragt nach, weil sie das Auto der Eltern gesehen hatte. „Die bringen die Schulranzen“, erklärt die Schülerin.
Schulleiterin Inge Kraus sagt, das Projekt zeige Wirkung. „Wir haben durchweg positive Rückmeldungen bekommen.“Ein Schüler wohnt mit seiner Familie auf einem Aussiedlerhof. „Dass er alleine läuft, geht nicht.“Früher wurde er gefahren, seit dem Projekt begleitet sein Opa ihn zu Fuß zur Schule.
Sobald eine Karte voll ist, wird sie an eine Leine in der Aula gehängt. Ist eine bestimmte Anzahl erreicht, gibt es Belohnungen, zum Beispiel eine längere Pause. Ob der Stempeldienst immer fehlerlos arbeitet, sind sich Kraus und Gensbauer nicht sicher. „Es ist witzig, wenn die Erstklässler zwei Wochen vor den anderen fertig sind, obwohl es gar nicht genug Tage gab, um die Karten zu füllen“, sagt Kraus lachend. Aber solange ihre Schüler durch das Projekt selbstständiger werden und sich bewegen, soll ihr das recht sein.