Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (151)

-

ZWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Gutenberg

itrone ist auch viel besser“, bestätigt der Vater. „Du, Vater“, fängt der Sohn vorsichtig an.

„Na?“

„Es ist doch gleich acht…“„Stimmt, der Zebedäus wird gleich schlagen.“

„Und wir kommen am Stadtwall vorbei …“

Der Vater pfiff langgedehn­t: „Nachtigall, ich hör’ dir trapsen…“

„Es ist doch, weil ich sie bestellt habe. Ich kann sie doch nicht einfach versetzen. Adieu sagen möchte ich ihr doch.“

„Glaubst du, es ist richtig, wenn ich es dir erlaube?“

„Ach, tu’s doch, Vater, bitte!“„Na schön. Richtig wird’s schon nicht sein. Aber meinethalb­en. Und nicht länger als fünf Minuten!“„Bestimmt nicht.“

„Ich will’s lieber nicht so offiziell machen“, überlegt der Vater. „Ich stell’ mich hier mit dem Rade hin. Wenn die fünf Minuten um sind, pfeif ich meinen Pfiff. Und dann

heißt’s angeschwir­rt wie Ziethen aus dem Busch.“

„Bestimmt, Vater.“Sie wartet wirklich schon.

„Guten Abend. Sie sind aber pünktlich!“

„Das muß man auch sein. Guten Abend.“

„Jetzt schlägt’s gerade acht.“„Ja, ich höre es.“

Die Unterhaltu­ng hat schön lebhaft eingesetzt und ist plötzlich alle.

Schließlic­h fragt er: „Sind Sie gut weggekomme­n?“

„Ich habe einen kleinen Schwindel gemacht! Und Sie?“

„Ach ja, es ging.“„Haben Sie was?“fragt sie plötzlich.

„Nein, nichts. Was soll ich haben? Es ist schön heute abend, nicht?“

„Ja. Ein bißchen schwül, nicht?“„Das kann sein – ich muß nämlich gleich wieder weg …“„Ach…“

„Da hinten steht mein Vater…“„Wo?“

„Da. Der Mann mit dem Rad. Hier am Busch müssen Sie vorbeiguck­en …“

„Und er weiß? Und er hat Ihnen erlaubt?“

„Ja, mein Vater ist so.“

Sie sieht ihn einen Augenblick an. „Aber ich bin nicht so, ich finde es nicht nett von Ihnen.“

Er wird langsam rot.

„Ich hätte es nicht von Ihnen gedacht.“

„Ich …“, fängt er an. „Nein“, sagt sie. „Jetzt gehe ich nach Haus.“

„Fräulein“, sagt er. „Fräulein, ich muß nämlich fort. Der Pastor hat mich nämlich rausgesetz­t, weil…

Sie verstehen… Frau Gubalke hat sich beschwert.“

„O Gott!“ruft sie.

„Und meine Mutti…“

„Ich werde wohl auch auf dem Gymnasium das Consilium kriegen.“

„Wenn mein Vater das erfährt.“„Meiner hat nicht geschimpft.“„Und auf dem Lyzeum …“„Schieben Sie doch alle Schuld auf mich!“

„Ach, Sie – und nicht einmal was drin war in dem Brief.“

„Aber ich kann Ihnen ja gerne schreiben!“

Der Vater pfeift: ,Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?‘

„O Gott, die fünf Minuten sind schon um. Ich muß…“

„Aber gehn Sie doch schon. Sie haben mich schön reingesenk­t.“,Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?‘

„Und ich weiß nicht mal, wie Sie heißen, Fräulein!?“

,Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?‘

„Daß Sie mir noch mehr Schwierigk­eiten machen!“

„Fräulein, ich kann doch wirklich nichts dafür!“

„Was soll ich bloß zu Haus sagen?“

,Liebst – du – mich – denn – gar – nicht – mehr?‘

„Fräulein, ich muß…“

„Ja, Sie gehen nach Haus zu Ihrem Vater, der nicht schimpft. Aber ich?“

„Bitte, geben Sie mir wenigstens die Hand.“

„Auch noch!“

„Aber wir sehen uns vielleicht nie wieder!“

„Das ist auch viel besser. Und ich hatte gedacht, es würde so nett! O Gott, da kommt Ihr Vater!“

„Na, Söhnchen, wie ist das mit Worthalten? Guten Abend, kleine Fee. Habt ihr euch gezankt?“„Ich …“

„Wir …“

„Hände geben! Auf Wiedersehe­n!“ „Auf Wiedersehe­n!“

„Auf Wiedersehe­n!“

„Und jetzt los!“

Sie sehen sich noch einmal an. „Ich bin an allem schuld“, sagt der Junge beteuernd, und seine Lippen zittern.

„Ja“, sagt sie, „es ist doch schon gut. Es war nur der erste Schreck. Ich schwindle mich schon durch.“

„Auseinande­r mit euch! Viel zu jung. Viel zu grün.“

„Also, alles Gute!“

„Ja. Ja. Alles, alles Gute Ihnen!“„Auf Wiedersehe­n!“

„Ja, vielleicht sehen wir uns wieder.“

„Gute Nacht, kleines Fräulein. Komm, Willi.“

Hinter der Brücke fing der Weg an zu steigen. Der Vater rief: „Spring ab, mein Sohn.“

Und als sie miteinande­r neben dem Rad gingen: „Wir haben keine Eile. Wir kommen noch immer früh genug nach Haus.“

„Wann stehst du jetzt auf, Vater?“

„Wie stets im Sommer. Um vier. Man muß immer selbst nach dem Füttern und Melken sehen. Auf die Eleven ist kein Verlaß.“

Und nach einer Pause fragt er leichthin: „Zur Landwirtsc­haft hättest du keine Lust?“

Er antwortet zögernd: „Ich glaube nicht, Vater.“ „Und sonst?“

„Ja …“

„Ja ist gar nichts. Was kommt dahinter?“

„Am liebsten ginge ich weiter aufs Gymnasium.“

„Wird sich schlecht machen lassen. Pastor und Direktor sind zu gut Freund.“

„Und wenn du mich auf ein anderes Gymnasium schicken würdest?“Sie gehen eine Weile schweigend. „Ich will dir was sagen, Willi. Es ist mir jetzt schon sauer geworden. Du weißt, ich verdiene nicht viel. Und da ist noch deine Schwester. Nun, ich hätte es durchgehal­ten, wie es jetzt war, aber das ist nun vorbei. Eigentlich ist es mir recht, wie es gekommen ist. Gesagt hätte ich nichts. Aber wo du dich selbst darum gebracht hast, denke ich, lassen wir es dabei.“

„Aber ich habe doch gar nichts gemacht!“

„Eine Dummheit hast du zum mindesten gemacht. Unüberlegt bist du jedenfalls gewesen, Willi. Du mußt lernen, daß im Leben Dummheiten oft ebensoviel schaden wie Schlechtig­keiten. Und daß hinter der Dummheit nicht alles so ist wie vor ihr. Man kriegt nicht alles wieder heil. Jetzt bist du noch gut weggekomme­n, du gehst mit deinem Vater nach Haus, und der Sturm ist vorüber.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany