Jeder hat ein dunkles Geheimnis
Bad Times at the El Royal Vier Fremde stranden in einem mysteriösen Hotel an der Grenze zwischen Nevada und Kalifornien. Was Regisseur und Autor Drew Goddard daraus macht, ist phänomenal
Mitten durch die Lobby und den Pool führt ein breiter, roter Streifen. Er markiert die Grenze zwischen Kalifornien und Nevada, auf der das Hotel „El Royale“erbaut wurde. Seine goldenen Zeiten hat das Edeletablissement hinter sich und fungiert mittlerweile als Billigabsteige, in der nur ein einsamer Angestellter (Lewis Pullman) seinen Dienst verrichtet.
An diesem Nachmittag checken gleich vier Gäste an der Rezeption des Hotels ein: Der Priester Daniel Flynn (Jeff Bridges), die Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo), der redselige Staubsaugervertreter Laramie Seymour Sullivan (Jon Hamm) und die coole Hippiebraut Emily Summerspring (Dakota Johnson). Dass die vier Gäste keine gute Zeit miteinander haben werden, ist schon im Filmtitel festgeschrieben. Aber was Regisseur und Drehbuchautor Drew Goddard in „Bad Times at the El Royale“aus seiner kleinen Figurenkonstellation herausholt – das ist schon phänomenal und auf einer Strecke von schlappen 141 Filmminuten nicht einen Moment langweilig. Goddard („Cabin in the Woods“) ist ein bekennender Genre-Liebhaber und versteht sich unübersehbar als cineastischer Seelenverwandter von Quentin Tarantino, an dessen Indoor-Thriller „Hateful 8“dieser Film erinnert.
Schon frühzeitig wird klar, dass hier kaum jemand die Person ist, die er vorgegeben hat zu sein. Von einem versteckten Gang aus hat der Hotelangestellte dank halbdurchlässiger Spiegel direkten Einblick in jedes Zimmer. Nacheinander werden die Räume und ihre Bewohner aus der Voyeursperspektive vorgestellt. Der Staubsaugervertreter, der die Honeymoon-Suite nach Wanzen durchsucht, der Priester, der die Dielenbretter seine Zimmers aushebelt, die Hippiebraut, die eine junge Frau als Geisel an den Stuhl fesselt, sind erst der Anfang einer Figurenaufstellung, die zunehmend an krimineller Komplexität gewinnt.
„Bad Times an the El Royale“ist ein Film der sich der Hierarchisierung in Haupt- und Nebencharaktere komplett verweigert. Es wird geschossen und gestorben und das nicht zwingend entlang der Gehaltsliste der Darsteller. Szenen werden zurück gespult, um sie aus der Perspektive einer anderen Figur zu zeigen. Plotwendungen setzen mit schaffotartiger Schärfe echte Überraschungseffekte frei. Jede Figur hat eine Vergangenheit, deren Aufdeckung sie und ihr Handeln in einem anderen Licht erscheinen lässt. Und am Schluss zieht der Film mit Chris Hemsworth als gewaltbereiten Sekten-Guru ein As aus dem Ärmel und lässt den Star schon bald wieder spektakulär verglühen.
„Bad Times at the El Royale“glänzt nicht durch die inhaltlichen Prämissen seiner Story. Die mäandert eher vage um Schuld und Vergebung und setzt das dubiose Hotel als weltliches Fegefeuer in Szene. Vielmehr ragt diese Studioproduktion durch ihre narrative und visuelle Brillanz, die sichtbare Freude am cineastischen Erzählen und eine erfrischende Offenheit gegenüber den Charakteren aus dem Mainstream heraus.
Und dann ist da noch Cynthia Erivo, die hier in ihrem Kinodebüt eine enorme Leinwandpräsenz entwickelt. Glücklicherweise gibt Goddard der Tony- und Grammy-Gewinnerin in zahlreichen Gesangseinlagen genug Raum, um ihr musikalisches Talent zu entfalten – und ihre A-Capella-Interpretationen alter Motown-Songs sind schlichtweg atemberaubend.