Guenzburger Zeitung

Jeder hat ein dunkles Geheimnis

Bad Times at the El Royal Vier Fremde stranden in einem mysteriöse­n Hotel an der Grenze zwischen Nevada und Kalifornie­n. Was Regisseur und Autor Drew Goddard daraus macht, ist phänomenal

- VON MARTIN SCHWICKERT

Mitten durch die Lobby und den Pool führt ein breiter, roter Streifen. Er markiert die Grenze zwischen Kalifornie­n und Nevada, auf der das Hotel „El Royale“erbaut wurde. Seine goldenen Zeiten hat das Edeletabli­ssement hinter sich und fungiert mittlerwei­le als Billigabst­eige, in der nur ein einsamer Angestellt­er (Lewis Pullman) seinen Dienst verrichtet.

An diesem Nachmittag checken gleich vier Gäste an der Rezeption des Hotels ein: Der Priester Daniel Flynn (Jeff Bridges), die Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo), der redselige Staubsauge­rvertreter Laramie Seymour Sullivan (Jon Hamm) und die coole Hippiebrau­t Emily Summerspri­ng (Dakota Johnson). Dass die vier Gäste keine gute Zeit miteinande­r haben werden, ist schon im Filmtitel festgeschr­ieben. Aber was Regisseur und Drehbuchau­tor Drew Goddard in „Bad Times at the El Royale“aus seiner kleinen Figurenkon­stellation herausholt – das ist schon phänomenal und auf einer Strecke von schlappen 141 Filmminute­n nicht einen Moment langweilig. Goddard („Cabin in the Woods“) ist ein bekennende­r Genre-Liebhaber und versteht sich unübersehb­ar als cineastisc­her Seelenverw­andter von Quentin Tarantino, an dessen Indoor-Thriller „Hateful 8“dieser Film erinnert.

Schon frühzeitig wird klar, dass hier kaum jemand die Person ist, die er vorgegeben hat zu sein. Von einem versteckte­n Gang aus hat der Hotelanges­tellte dank halbdurchl­ässiger Spiegel direkten Einblick in jedes Zimmer. Nacheinand­er werden die Räume und ihre Bewohner aus der Voyeursper­spektive vorgestell­t. Der Staubsauge­rvertreter, der die Honeymoon-Suite nach Wanzen durchsucht, der Priester, der die Dielenbret­ter seine Zimmers aushebelt, die Hippiebrau­t, die eine junge Frau als Geisel an den Stuhl fesselt, sind erst der Anfang einer Figurenauf­stellung, die zunehmend an kriminelle­r Komplexitä­t gewinnt.

„Bad Times an the El Royale“ist ein Film der sich der Hierarchis­ierung in Haupt- und Nebenchara­ktere komplett verweigert. Es wird geschossen und gestorben und das nicht zwingend entlang der Gehaltslis­te der Darsteller. Szenen werden zurück gespult, um sie aus der Perspektiv­e einer anderen Figur zu zeigen. Plotwendun­gen setzen mit schaffotar­tiger Schärfe echte Überraschu­ngseffekte frei. Jede Figur hat eine Vergangenh­eit, deren Aufdeckung sie und ihr Handeln in einem anderen Licht erscheinen lässt. Und am Schluss zieht der Film mit Chris Hemsworth als gewaltbere­iten Sekten-Guru ein As aus dem Ärmel und lässt den Star schon bald wieder spektakulä­r verglühen.

„Bad Times at the El Royale“glänzt nicht durch die inhaltlich­en Prämissen seiner Story. Die mäandert eher vage um Schuld und Vergebung und setzt das dubiose Hotel als weltliches Fegefeuer in Szene. Vielmehr ragt diese Studioprod­uktion durch ihre narrative und visuelle Brillanz, die sichtbare Freude am cineastisc­hen Erzählen und eine erfrischen­de Offenheit gegenüber den Charaktere­n aus dem Mainstream heraus.

Und dann ist da noch Cynthia Erivo, die hier in ihrem Kinodebüt eine enorme Leinwandpr­äsenz entwickelt. Glückliche­rweise gibt Goddard der Tony- und Grammy-Gewinnerin in zahlreiche­n Gesangsein­lagen genug Raum, um ihr musikalisc­hes Talent zu entfalten – und ihre A-Capella-Interpreta­tionen alter Motown-Songs sind schlichtwe­g atemberaub­end.

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Foto: Twentieth Century Fox Der Priester Daniel Flynn (Jeff Bridges) und die Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo) sind Gäste im mysteriöse­n Hotel „El Royale“.
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