Guenzburger Zeitung

Saudi-Arabien und die deutsche Doppelmora­l

Leitartike­l Noch ist vieles unklar im Fall Kaschoggi. Über die dunklen Seiten der saudischen Politik aber sieht die Bundesregi­erung schon viel zu lange hinweg

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger-allgemeine.de

Heiko Maas klang, als habe er etwas gutzumache­n. Saudi-Arabien, umgarnte der deutsche Außenminis­ter seinen Kollegen Adel al-Dschubair erst vor wenigen Wochen, spiele eine wichtige Rolle für Frieden und Stabilität im Nahen Osten. Und wenn es in der Vergangenh­eit zu Missverstä­ndnissen gekommen sei, bedaure er das zutiefst. Die scharfe Kritik seines Vorgängers Sigmar Gabriel am „außenpolit­ischen Abenteurer­tum“des Regimes? Vorbei und vergessen. „Deutschlan­d entschuldi­gt sich“, titelte eine der größten Zeitungen des Landes anschließe­nd. „Diplomatis­cher Sieg für das Königreich der Entschloss­enheit.“Dass das Königshaus wenig später im Verdacht stehen würde, einen Mord an einem in Ungnade gefallenen Reporter in Auftrag gegeben zu haben, konnte Maas nicht ahnen. Dennoch wirft sein Auftritt am Rande der UN-Generalver­sammlung ein bezeichnen­des Licht auf den Umgang Deutschlan­ds mit den gefährlich­sten Mächten der Region. Saudi-Arabien führt einen blutigen Krieg im Jemen – wir liefern unverdross­en Waffen. Im Iran werden nahezu täglich Menschen hingericht­et – wir schicken eine Wirtschaft­sdelegatio­n nach der anderen nach Teheran. Motto: Erlaubt ist, was nutzt. Der Versuch, Wandel frei nach Willy Brandt durch Handel zu erzwingen, hat die Region aber nicht friedliche­r gemacht, sondern noch instabiler. Noch ist unklar, was Dschamal Kaschoggi genau zugestoßen ist, ob der Journalist tatsächlic­h im saudischen Konsulat in Istanbul umgebracht wurde. Die Haltung jedoch, die Außenpolit­iker wie der CDU-Mann Norbert Röttgen nun in Form geschäftli­cher Zurückhalt­ung von der Wirtschaft fordern, haben die meisten Bundesregi­erungen im Umgang mit den Saudis über Jahrzehnte vermissen lassen. Was gut fürs Geschäft war, war auch gut für Deutschlan­d. Noch Fragen? So schnell sie stets mit Sanktionen gegen Russland bei der Hand war, so geschmeidi­g hat die deutsche Politik in den Ölländern bisher um Menschenre­chtsverlet­zungen, aggressive­s Hegemonial­denken oder die Unterdrück­ung von Frauen herumgered­et. Auch jetzt, da sich die halbe Welt über den Fall Kaschoggi erregt, verhalten Kanzlerin und Außenminis­ter sich seltsam Der Kronprinz regiert mit harter Hand still. Maas hat zwar eine Reise nach Riad vorerst abgesagt, von Angela Merkel aber weiß man, dass sie in Saudi-Arabien vor allem eines sieht: einen Anker der Stabilität in einer umkämpften Region. Ähnlich schwer zu verstehen wie die deutsche Doppelmora­l im Diskurs mit Staaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien ist allerdings auch die Doppelzüng­igkeit des starken Mannes in Riad. Auf der einen Seite hat Kronprinz Mohammed bin Salman seinem Land eine Politik der vorsichtig­en Liberalisi­erung verordnet, die den Frauen plötzlich das Autofahren erlaubt, die Rechte der berüchtigt­en Religionsp­olizei beschneide­t oder das Verhältnis zu Israel entkrampft. Auf der anderen Seite vertritt der Sohn des Königs seine Interessen sowohl im Jemen als auch in SaudiArabi­en selbst mit unerbittli­cher Härte. Seine Waffenarse­nale sind voll, nicht zuletzt dank milliarden­schwerer Lieferunge­n aus den USA, aus Kanada und Deutschlan­d. Alleine in diesem Jahr hat die Bundesregi­erung bereits Rüstungsge­schäfte im Volumen von mehr als 250 Millionen Euro mit Riad genehmigt – obwohl Union und SPD im Koalitions­vertrag einen Exportstop­p für alle Länder vereinbart hatten, die im Jemen Krieg führen. Hier wie dort, im Iran wie in Saudi-Arabien, täte der deutschen Außenpolit­ik etwas mehr Distanz zu den Dingen gut. Sollte sich herausstel­len, dass Kaschoggi tatsächlic­h auf Befehl aus Riad getötet wurde, kann es nur eine Antwort geben: Sanktionen gegen Saudi-Arabien.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany