Der ungeliebte siebte Mann
Handball Seit gut zwei Jahren gelten neue Regeln. Eine wird besonders kontrovers diskutiert. Die Trainer in Günzburg und Niederraunau kritisieren, dass die Grundordnung verändert wird
Günzburg/Niederraunau Fünf gravierende Regeländerungen wurden zum 1. Juli 2016 in die HandballWelt eingeführt. Die wohl umstrittenste ist der siebte Feldspieler.
Eine Mannschaft kann seit der Änderung jederzeit den Torwart gegen einen beliebigen, nicht länger durch ein andersfarbiges Leibchen gekennzeichneten siebten Feldspieler eintauschen. Der betreffende Spieler darf allerdings den eigenen Torraum nicht betreten; das zu verteidigende Tor bleibt also unbewacht. Und: Die ganze Prozedur funktioniert auch andersrum. Beim Rückwechsel darf jeder beliebige Spieler auf die Bank rennen, um den Torwart zurück aufs Feld zu holen. Zuvor war dies lediglich demjenigen Spieler erlaubt, der das andersfarbige Trikot übergestreift hatte.
Die Änderung sollte das taktische Spektrum erweitern. Doch seit der Einführung wird sie kontrovers diskutiert. Ein großer Kritiker ist Günzburgs Cheftrainer Stephan Hofmeister, dem im Zusammenhang mit dieser taktischen Option schon mal das Wort „Unfug“über die Lippen kommt. „Der siebte Feldspieler verändert die Grundstruktur des Spiels“, behauptet er. Seine Ansicht begründet er mit der Erfahrung, dass der Torreichtum in diesem Mannschaftssport durch ein optimales Verhältnis zwischen Raum (also Spielfeldgröße) und Zahl (sechs Feldspieler auf jeder Seite) zustande komme. Nun aber sei im Ballbesitz ein ständiges Missverhältnis möglich, während im Moment des Ballverlustes das eigene Tor offen stehe. „Kein Mensch will Würfe auf ein leeres Tor sehen“, betont Hofmeister kopfschüttelnd. Mit galligem Unterton fügt er hinzu: „Das wird neuerdings natürlich auch trainiert. Das Ganze erin- nert dann an den Schlagball-Weitwurf der Bundesjugendspiele. Es ist auch ähnlich interessant.“
Es wurmt Hofmeister gewaltig, dass sich der Kniff mit dem siebten Mann augenscheinlich von oben nach unten durchsetzt. „Bis vor einiger Zeit war es nur ein taktisches Mittel von Außenseitern. Mittlerweile wird es immer mehr trainiert und selbst auf höchster Ebene von den besten Mannschaften praktiziert. Daraus entstehen Nachahmungseffekte bis nach unten“, berichtet er. Das werde von Jahr zu Jahr und von oben nach unten zunehmen und gleichzeitig ausgefeilter werden, ist der Fachmann überzeugt. Dabei verhehlt der VfLCheftrainer gar nicht, dass auch er eine Angriffskonzeption mit sieben Feldspielern in seinem Taktik-Buch hat – allerdings sieht er sie immer noch als „Notlösung im mittleren Leistungsbereich“.
Ähnlich wie Hofmeister äußert sich auch Udo Mesch zum siebten Feldspieler. Für den Trainer des TSV Niederraunau hat die Regeländerung den Sport „definitiv verändert. Aber aus meiner Sicht zum Negativen.“Der Grund: Die Mannschaft mit den sieben Feldspielern versuche im Angriff krampfhaft, den freien Mann zu finden und zum Torabschluss zu kommen. „Für mich ist das nicht anzuschauen, selbst in der Bundesliga.“
Bei seiner Landesliga-Mannschaft habe er die taktische Variante nicht eingeführt. Dass sie ihm nicht gefällt, spielt dabei keine Rolle.
„Eine völlig misslungene Regeländerung, die das Handball-Angriffsspiel zum Steh-Schach verurteilt.“Stephan Hofmeister
„Die Regel mit dem siebten Feldspieler hat den Sport verändert. Aber aus meiner Sicht zum Negativen.“Udo Mesch
„Wir sind einfach noch nicht so weit, dafür sind wir zu anfällig für Ballverluste. Und die kannst du dir nun mal nicht leisten, wenn du keinen Torwart hast.“Für den Angriff mit sieben Feldspielern brauche es einen guten Spielgestalter, der im richtigen Moment die richtige Entscheidung treffe, die zum Tor führt. Einen Spielertypus also, den man in der Landesliga wohl eher selten antrifft. Jedenfalls habe er diese Taktik bisher in der Liga noch nicht beobachtet, sagt Mesch.
Entsprechend neutral ist Mesch in der Frage, ob die Regel wieder abgeschafft werden sollte. Umso lieber hätte er eine Änderung bei der gleichzeitig mit dem siebten Mann eingeführten, neuen Zeitspiel-Regel. Die besagt, dass eine Mannschaft noch sechs Pässe spielen darf, wenn der Schiedsrichter ein Zeitspiel anzeigt. „Früher wusstest du dann, du hast nur noch etwa zehn Sekunden. Jetzt kann das in die Länge gezogen werden. Rein theoretisch kann es kurz vor Ende sein, dass du als Gegner gar nicht mehr an den Ball kommst.“