Guenzburger Zeitung

Der große Zweifler

Dortmunds Trainer Lucien Favre gilt als schwierige­r Typ, formte aus dem BVB aber wieder ein Top-Team. Seine Spielerkar­riere wurde von einem Foul überschatt­et

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Lucien Favre kann für sich in Anspruch nehmen, eine Vokabel in die Fußball-Konversati­on eingebrach­t zu haben: Als der Franko-Schweizer 2007 seinen ersten Job in der Bundesliga bei Hertha BSC Berlin annahm, kam mit ihm auch das Adjektiv „polyvalent“in die Bundesliga. Damit bezeichnet er die Eigenschaf­t seiner Spieler, viele verschiede­ne Positionen gleicherma­ßen gut spielen zu können – eine Qualität, auf die der Fußballleh­rer außerorden­tlichen Wert legt. Der 60-Jährige ist ein Taktik-Freak, der den Ruf hat, seine Mannschaft­en besser zu machen – was nicht jedem gelingt. Aktuell beweist er das mit Borussia Dortmund. Die Mannschaft, die im vergangene­n Jahr durch die Saison taumelte, ist unter Favre Tabellenfü­hrer und auch spielerisc­h wieder eine Top-Mannschaft geworden. Kürzlich ließ der Klub mit einem 4:0 in der Champions League gegen Atlético Madrid aufhorchen. Im DFB-Pokal will der BVB heute mit einem Sieg gegen Union Berlin (18.30 Uhr/Sky) ins Achtelfina­le einziehen.

Favre ist aber nicht nur ein Perfektion­ist, sondern auch ein großer Zweifler – vor allem an sich selbst. Der Mann aus dem Bergdorf SaintBarth­élemy bei Lausanne macht es seinen Mitarbeite­rn nicht leicht. Von Dieter Hoeneß, der ihn damals vom FC Zürich nach Berlin holte, ist der Satz überliefer­t, dass Favre ein Trainer sei, der „Nerven und Energie“kostet. Dem Vernehmen nach musste Hoeneß den Zauderer mehrfach von einem Rücktritt abhalten. Der Aufwand hat sich für jeden einzelnen seiner

Klubs ge- lohnt: Hertha BSC führte er in die Champions League, aus dem Abstiegska­ndidaten Mönchengla­dbach machte er einen Top-Klub und mit Nizza verpasste er die französisc­he Meistersch­aft nur knapp.

Als Spieler war Favre ein technisch starker Spielgesta­lter, dessen Potenzial wohl zu mehr als nur zur Schweizer Liga gereicht hätte. Dass es nicht zu mehr reichte, lag auch an einer schweren Verletzung im September 1985. Pierre-Albert Chapuisat, Vater des späteren BVBStürmer­s Stephane Chapuisat und damals Libero von VeveySport­s, zertrümmer­te dem Genfer Spielmache­r Favre damals mit einem brutalen Tritt das Knie. Favre erlitt mehrere Bänderriss­e und Knochenbrü­che, stand vor der Sportinval­idität und verklagte Chapuisat vor einem Zivilgeric­ht. Der Prozess zog sich über zwei Jahre hin. Am Ende wurde Chapuisat wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung zu einer Geldstrafe von 5000 Franken verurteilt. Vevey Sports hatte ihm zuvor fristlos gekündigt. Favre schaffte es entgegen der Prognosen wieder auf den Platz, erreichte aber nie wieder sein vorheriges Niveau.

Seine eigentlich­e Bestimmung fand der verheirate­te Vater eines Sohnes ohnehin als Trainer. In der Schweiz wurde er je zweimal Meister und Pokalsiege­r. Seitdem wartet er auf einen Titel – auch deshalb, weil er nie absolute Topteams trainierte wie nun den BVB. Gut möglich, dass es für Favre am Saisonende einen Pokal gibt. Auch wenn seine Zweifel deswegen wohl nicht verschwind­en werden. Florian Eisele

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Foto: Witters

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