Wanzl steht vor großen Veränderungen
Die Digitalisierung macht vor den Fach- und Supermärkten nicht halt. Die Bestellungen im Internet nehmen zu. Die Welt der Einkaufswagen schrumpft. Was hat das für die Beschäftigten der Leipheimer Firma zu bedeuten?
Die Digitalisierung macht vor Fachund Supermärkten nicht halt. Was heißt das für die Mitarbeiter der Leipheimer Firma?
Mit einer knackigen Überschrift hat der WanzlBetriebsrat am 26. Oktober zur Teilnahme an der Betriebsversammlung motiviert. „Wanzl: Weltmarktführer oder Sanierungsfall?“, war zu lesen. Mehr als 1000 Menschen hörten sich im ausgeräumten Werk 4 an, was Unternehmensleitung, Betriebsrat und die Gewerkschaft IG Metall zu sagen hatten. Die Beschäftigen in Kirchheim waren darüber bereits eine Woche zuvor informiert worden.
Es geht um Geld, viel Geld. Seit August haben sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter in mehreren Gesprächsrunden ausgelotet, wie es weitergehen soll bei Wanzl – einem Unternehmen, das nicht dem Arbeitgeberverband angehört und sich damit auch nicht ausgehandelten Tarifverträgen verpflichtet fühlen muss. Die Gewerkschaft versucht daher, einen auf Wanzl zugeschnittenen Tarifvertrag auszuhandeln.
Beide Seiten versicherten am Freitag, auf Nachfrage gegenüber unserer Zeitung, dass sie die Absicht haben, bis Jahresende zu einer für alle akzeptablen Vereinbarung zu kommen. „Warnstreiks wird es vorerst nicht geben“, versicherte Günter Frey, der erste Bevollmächtigte der IG Metall Neu-Ulm/Günzburg, „denn vorher müssten wir ja die Gespräche für gescheitert erklären.“
Die Industriegewerkschaft will vor den kommenden Gesprächen, voraussichtlich in der übernächsten Woche, die Wanzl-Belegschaft hinter sich wissen und lädt deshalb – schon einmal in diesem Jahr im Juni in Leipheim – zu einer „aktiven Mittagspause“vor die Werkstore. In Kirchheim (Kreis Unterallgäu) ist dafür der kommende Mittwoch vorgesehen. Dem zuständigen Landratsamt wurden 100 Personen gemeldet, die sich voraussichtlich an der Kundgebung beteiligen. Tags darauf, am Donnerstag, sprechen dann Gewerkschaftsvertreter und Betriebsrat vor dem Stammwerk in Leipheim mit erwarteten 300 bis 400 Teilnehmern.
Bisher haben die Gespräche in einem guten Klima stattgefunden, sagt Frey als einer von sieben Vertretern der Arbeitnehmer. Mit Sabrina Balkheimer (ebenfalls IG Metall) und fünf Beschäftigten aus den beiden Standorten Leipheim und Kirchheim bildet er die „betriebliche Tarifkommission“für Wanzl. Auf der anderen Seite des Tisches sitzen mit Klaus Meier-Kortwig (Vorsitzender der Geschäftsführung), Frank Derks (Geschäftsführer Finanzen) und Harald P. Dörenbach (Geschäftsführer Technik) unter anderem drei der fünf Mitglieder der Geschäftsleitung.
Wanzl sieht sich vor einem großen Veränderungsprozess. Die Metallwarenfabrik gilt als weltweit größter Produzent von Einkaufswagen (etwa 2,5 Millionen Stück im Jahr). Doch die Nachfrage geht tendenziell zurück, da das Einkaufen im Internet – auch von Lebensmitteln – offenbar an Bedeutung zunimmt. Auf der Betriebsversammlung wurde das Video eines Fachmarktes für Handwerker in Vöhringen (Kreis Neu-Ulm) gezeigt, in dem die Vertreter von Handwerksbetrieben – außer sonntags – rund um die Uhr einkaufen können; vor 7 Uhr und nach 17 Uhr ohne dass Personal anwesend ist. Auch die Abrechnung und der Bezahlvorgang laufen elektronisch und vollautomatisch ab – etwa mithilfe eines Scantunnels. Wanzl hat diese Technik kräftig mitentwickelt.
„Ich halte das, was uns vorgetragen wurde für glaubhaft und durchaus diskussionswürdig“, sagt der IG Metall-Bevollmächtigte Frey, der nach eigenen Worten „verhalten zuversichtlich“in die beiden entscheidenden Monate geht.
Dabei gilt es noch beachtliche Brocken aus dem Weg zu räumen. Die Einschätzung der Gewerkschaft lautet: Wenn die eine Seite in „ein bis zwei zentralen Punkten“der anderen Seite entgegenkommt und das umgekehrt auch der Fall ist, „dann müsste eine Lösung möglich sein“.
Die gut einen Monat alten Forderungen der Wanzl-Geschäftsführung beziehen sich unter anderem auf flexible Entgeltbestandteile, die von der Rendite des Unternehmens abhängen sollen: Das gilt sowohl für das Weihnachtsgeld als auch für die zweiprozentige Tariferhöhung aus dem vergangenen Jahr, die bislang nicht an die Beschäftigten weitergereicht worden ist. Zukünftig ausgehandelte Tariferhöhungen sollen erst um neun Monate versetzt gültig und bei 2,5 Prozent gedeckelt werwie den – auch wenn das Ergebnis der Tarifpartner höher ausfallen sollte. Bei einer 35-Stunden-Woche soll nach Unternehmensvorstellungen eine Mehrarbeit in der Größenordnung von bis zu drei Stunden nicht mehr vergütet werden.
„Wir können das nicht in diesem Umfang akzeptieren, aber wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen“, erklärte Frey auf Nachfrage gegenüber unserer Zeitung. „Wenn wir das von vornherein zum No-Go erklären, dann sind die Verhandlungen beendet. Das ist meine Einschätzung.“
Die Gewerkschaft lehnt Deckelungen von Tariferhöhungen ab – und möchte die zeitversetzte Gültigkeit von anfangs neun Monaten auf sechs, dann vier und dann zwei Monate im vierten Jahr reduzieren.
Die IG Metall kommt mit ihrem Angebot bei der Beschäftigung von Leiharbeitern Wanzl entgegen. Eine Übernahme für die Dauer von maximal 48 Monaten statt bislang 18 Monaten wäre dann möglich.
Die Vorstellungen zwischen dem Arbeitgeber und der Arbeitnehmervertretung unterscheidet sich nicht nur in der Länge der Laufzeit der möglichen Vereinbarung (die Wanzl-Geschäftsleitung schlägt bis Ende 2025 vor, die IG Metall bis Ende 2022). Wanzl bietet unter anderem eine Altersteilzeit für alle, die unbefristete Übernahme der Auszubildenden und einen Leistungsschutz für Ältere (ab 50 Jahre mit mindestens 20-jähriger Betriebszugehörigkeit) an. Das allerdings nur, wenn die Mitarbeiter einen jährlichen Arbeitnehmerbeitrag in Höhe von zehn Millionen Euro leisten. Neben der unbezahlten Mehrarbeit sollen die Abschaffung des Fahrgeldes, von Schichtzulagen, einer Wochenendzulage, die Abschaffung des Kleidergeldes und einer Zeitgutschrift bei Arztbesuchen zu dieser jährlichen Summe beitragen; ebenso die Zahlung von Nachtzuschlägen erst ab 22 Uhr (bis 6 Uhr) und nicht, wie im Manteltarif vorgesehen, ab 20 Uhr.
Wenn das umgesetzt wird, machen Meier-Kortwig und Co. eine Investitionszusage für die Standorte von 15 Millionen Euro pro Jahr. Das wäre eine Gesamtsumme in Höhe von 105 Millionen Euro – bezogen auf die von Wanzl vorgeschlagene siebenjährige Laufzeit. „Solche Investitionen“, sagt der Gewerkschafts-Bevollmächtigte Frey, „müssen auch überprüfbar sein“. Und er fragt sich, wie eine Kompensation aussieht, falls diese Investitionszusage in einem Jahr, aus welchem Grund auch immer, nicht eingehalten wird. Der Vorsitzende der Wanzl-Geschäftsführung macht in einer Stellungnahme deutlich, wie wichtig es ist, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Auf eine veränderte Einkaufswelt, Stahlpreise, die aktuell 30 Prozent über dem langjährigen Durchschnitt liegen, eine Umsatzdelle heuer und die steigende Niedriglohnkonkurrenz aus dem Ausland, müsse man entsprechend reagieren und bereit sein für Veränderungen.
Es gibt noch Brocken aus dem Weg zu räumen