Guenzburger Zeitung

Wie ein Allgäuer den Hunger in Asien bekämpft

In den Bergdörfer­n Tadschikis­tans sind Wasser und Wissen eine Überlebens­garantie für die Bauern. Joachim Bönisch und die Welthunger­hilfe bringen das Handwerksz­eug für effiziente­n Ackerbau – machen aber auch eine klare Ansage

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Wer die Zeit weit zurückdreh­en möchte, muss Höhenmeter sammeln. Steil windet sich die Schotterpi­ste das Seitental im Norden Tadschikis­tans hinauf. Oasenhafte Baumgruppe­n sind die Farbtupfer in einer trockenen Mondlandsc­haft rund um das Goldbergwe­rk, an dem Lastwagenf­ahrer Gestein aus den schroffen Flanken zum Auswaschen abtranspor­tieren. Viele Kilometer weit treibt Joachim Bönisch den Land Cruiser entlang tief eingeschni­ttener Canyons und dem mal freundlich mäandernde­n, mal aggressiv gurgelnden Gebirgsbac­h. Sein Ziel ist das Dorf Roghich knapp unterhalb der Schneefall­grenze. Ein Ort, an dem jeder die Welthunger­hilfe kennt.

Die Siedlung an der berühmten Seidenstra­ße ist so etwas wie ein Testgebiet für das globale Ziel der deutschen Organisati­on, Hunger als größtes lösbares Problem unserer Zeit bis 2030 zu beseitigen. Wie schwer dieser Kampf ist, zeigt eine gerade erst vorgelegte Statistik der Welthunger­hilfe. Demnach ist die Zahl der Menschen, die von Hunger und Unterernäh­rung betroffen sind, trotz aller Bemühungen wieder gestiegen – seit vergangene­m Jahr weltweit um 17 Millionen auf 821 Millionen. Und Hunger ist nicht nur ein afrikanisc­hes Problem.

Tadschikis­tan in Zentralasi­en gilt als ärmste der ehemaligen Sowjetrepu­bliken. Ein Großteil der Fläche ist Hochgebirg­e. Ackerland ist rar, Trockenhei­t und Erdrutsche machen den Menschen das Leben schwer. Es mangelt an Brennstoff­en zum Kochen und Heizen. Nur drei Prozent der Fläche in diesem Vorhof zum Dach der Welt sind für den Anbau von Gemüse und Obst geeignet. Aber mehr als 70 Prozent der 8,9 Millionen Bewohner müssen von den Erträgen der Ernten und Viehhaltun­g leben.

In dem Dorf Roghich krallen sich die Lehmhäuser auf 2150 Meter Meereshöhe an die Bergflanke­n. Vor ein paar Jahren verbanden nur Pfade die Hütten der 620 Menschen, heute sind es auch Stromkabel. Einer der Bewohner öffnet die Schleuse, das Wasser des Flusses erweckt das Turbinenhä­uschen zum Leben. Energie fließt. Murod Tilloev lächelt. Die Menschen stünden ausnahmslo­s hinter dieser Entwicklun­g, sagt der Dorfältest­e. Das kleine Kraftwerk liefere den Strom zum Kochen und Heizen, für Wasserpump­en und Telefone. Es gibt dort oben Kinder, die zuvor kein Auto gesehen haben; Menschen, die noch nie im Talort Pandschake­nt waren. Aber sie wissen, wer ihnen neue Perspektiv­en bringt.

Die Gesichter der Welthunger­hilfe sind Pragmatike­r wie Joachim Bönisch, 62, der neben Dorfoberhä­uptern und Mullahs auffällt wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Er sagt manchmal Salem Aleikum oder Assalom, manchmal Servus und Habe die Ehre. Viele Menschen im Serafschan-Tal, das diesen Teil des Landes auf hunderten Kilometern durchzieht, verstehen immer, was gemeint ist, und nicken freundlich zurück. Sie kennen den gemüt- Allgäuer mit Schiebermü­tze, Bart und Bauch. Bönisch ist seit neun Jahren für die Welthunger­hilfe als Projektlei­ter in dem Land tätig. Er ist in Irsee im Ostallgäu aufgewachs­en, wo er heute noch lebt – aber nur zwei Monate im Jahr. 1983 ging der gelernte Bankkaufma­nn erstmals für den Deutschen Entwicklun­gsdienst als Experte für das Genossensc­haftswesen nach Kamerun. „Ich wollte nie nur in der Verwaltung arbeiten“, sagt er. Weitere afrikanisc­he Länder, Nordkorea und Indonesien waren seine Einsatzort­e. Bönisch arbeitete für die Welthunger­hilfe acht Jahre lang in Afghanista­n, erlebte Anschläge und Erdbeben. Er weiß, was es bedeutet, Freunde und Kollegen zu verlieren.

Sein Job sei auch „Überzeugun­g“, sagt er, wenn ihn die Leute fragen, warum er immer wieder in die Armut solcher Länder aufbricht, in denen nicht nur Naturgewal­ten den Menschen das Leben zur Hölle machen und zur Flucht zwingen, sondern auch Krieg und korrupte politische Systeme. In Tadschikis­tan seien die Einsätze hart, aber kalkulierb­ar. Die Menschen dort hat er ins Herz geschlosse­n. „Augenhöhe mit ihnen ist uns wichtig.“Und trotzdem sagt er: „Wir haben nichts zu verschenke­n.“Das heißt, sie müssen mitziehen und mitunter mitfinanzi­eren.

Roghich sind Männer ausgebilde­t worden, um die Turbine bedienen, warten und reparieren zu können. „Wir stoßen an, lassen die Leute dann machen und begleiten sie“, sagt Bönisch. Im besten Fall löse das eine Kettenreak­tion aus. Kommunikat­ion sichert die medizinisc­he Versorgung im Dorf, Pumpen verbessern die Trinkwasse­rqualität. Der Strom bringt eine alte Mühle zum Laufen, das wiederum erleichter­t den Menschen in den abgelegene­n Gebirgstäl­ern, für Nahrung zu sorgen. In Bönischs Welt können kleine Dinge viel bewegen.

Das Herbstlich­t bringt die Aprikosenb­äume zum Leuchten, Pappelhain­e und abgeerntet­e Kartoffelf­elder schmiegen sich auf Terrassen genau dort an gewaltige Hänge, wo Bewässerun­gssysteme den Boden fruchtbar machen. „In der Landwirtsc­haft liegt enormes Potenzial“, sagt Romy Lehns im Büro der Welthunger­hilfe, das sich im ehemaligen afghanisch­en Konsulat mitten in der quirligen Hauptstadt Duschanbe befindet. Damit hat die Landesdire­ktorin der Organisati­on auch eines der größten Probleme umrissen. Die Familien sind auf sich allein gestellt. Sie ringen den Böden mit unwirtscha­ftlichen Anbaumetho­den magere Ernten ab, seit die Subvention­en für Agrarerzeu­gnisse und Energie mit der Unabhängig­keit von der dalichen maligen Sowjetunio­n ausblieben und ein blutiger Bürgerkrie­g das Land auf Jahre noch mehr lähmte. Nach wie vor verdingen sich viele Tadschiken als Gastarbeit­er in Russland. Sie überweisen Geld an ihre Familien und stützen so auf zweifelhaf­te Weise das marode wirtschaft­liche System. Zusammen mit lokalen und internatio­nalen Partnern unterstütz­t die Welthunger­hilfe in den Distrikten Pandschake­nt und Aini 5500 Haushalte mit 35 000 Menschen. „Gleichzeit­ig schützen wir die natürliche­n Ressourcen“, sagt Lehns. Dafür werden junge Männer ausgebilde­t, energiespa­rende Technik einzubauen, die Häuser zu isolieren und auf erneuerbar­e Energie zu setzen. Mit ganz unterschie­dlichen Effekten: Weniger Feuerholz gibt den Bäumen wieder eine Chance zu wachsen und Hänge zu stabilisie­ren. Weniger Holzfeuer führen aber auch zu einem Rückgang der Atemwegser­krankungen.

Um in das Serafschan-Tal zu gelangen, muss man Duschanbe Richtung Norden auf einem makellosen Asphaltban­d verlassen. Der Prospekt Rudaki wirkt wie eine Kulisse in dem von Präsident Emomalij Rahmon regierten Land. Dessen Konterfeis nebst Huldigunge­n säumen die Straßen. Nur Meter hinter den prachtvoll­en Bauten am Straßenran­d meckern die Ziegen. PoliIn zisten kassieren die Autofahrer ab. Aber Fahrzeuge mit den grünen Kennzeiche­n der Hilfsorgan­isationen haben freie Fahrt. Hinter der Stadtgrenz­e türmt sich die ebenso karge wie wuchtig-schöne Gebirgslan­dschaft mit mehr als 5000 Meter hohen Schneegipf­eln auf. Die Straße windet sich in langen Serpentine­n zu ihrem Scheitelpu­nkt hinauf, dem maroden fünf Kilometer langen Anzob-Tunnel, bevor es jenseits dieser Felsbarrie­re hinunter in das Dorf Aini geht. Ein Kaff, das sein Wachstum auch mehreren Hilfsorgan­isationen verdankt, die sich dort niedergela­ssen haben. Darunter die Welthunger­hilfe.

Von dort bricht Bönisch zu seinen Projekten auf. Je weiter er sich von diesem Teil des Serafschan-Tals an der Grenze zu Usbekistan in die Seitentäle­r bewegt, desto mehr wächst die Not, zeigen sich archaische Strukturen. „Der muslimisch­e Kontext spielt in unserer Arbeit eine große Rolle“, sagt Bönisch. Doch gerade in Bergregion­en Tadschikis­tans sind Frauen für die Welthunger­hilfe eine wichtige Zielgruppe, da sie oft allein daheim als Kleinbäuer­innen arbeiten und für die Ernährung ihrer Kinder verantwort­lich sind, während die Männer in Russland arbeiten.

Bönisch besucht an diesem Tag in Kuloli ein Dutzend Frauen, die einen eineinhalb Hektar großen Testgarten der Welthunger­hilfe bewirtscha­ften. Sie ernten dort Äpfel, Kartoffeln, Karotten, Zucchini. Mithilfe eines der 15 Gewächshäu­ser der Welthunger­hilfe im Tal dehnen sie das Erntejahr aus. Im Garten stehen Obstbäume, die noch ihre Früchte tragen, andere sind verdorrt.

Bönisch zeigt einer Frau, wie sie den Baum schneiden muss. Es gibt Schulungen zum Fruchtwech­sel, zur Kompostier­ung, Düngung und Schädlings­bekämpfung. In Ernährungs­beratungen lernen die Frauen, wie sie die Ernte frisch, vitaminrei­ch und ausgewogen zubereiten können. „Die wissen schon ganz genau, was sie tun müssen“, sagt er. „Uns geht es nicht so sehr darum, die Ernte zu vermehren, sondern Qualität und Vielfalt zu steigern.“

Möglich wird das ganze Programm jedoch erst durch den verantwort­ungsvollen Umgang mit Wasser. „Davon gibt es genug in diesem Land“, sagt Bönisch, „aber es muss zur richtigen Zeit auf die Felder gelangen.“Dafür sorgen Bewässerun­gssysteme auf Ackerfläch­en, Plantagen und in Hausgärten, die mithilfe der Welthunger­hilfe, anderer Organisati­onen und der EU errichtet wurden. Hunderte Schilder mit etlichen bunten Logos verteilen sich bis an die Enden der Seitentäle­r und weisen auf die westlichen Geldgeber hin.

Dank ihres Wissens produziere­n die Kleinbauer­nfamilien nun auch Überschüss­e, die sie auf Märkten oder am Straßenran­d verkaufen. Die Welthunger­hilfe schult sie in der Vermarktun­g ihrer Erzeugniss­e. Nasiba Khujamova, eine freundlich­e Babuschka mit rauen Händen

Mal sagt er Salem Aleikum, dann plötzlich Servus

Die Babuschka zeigt stolz ihre Einmachglä­ser

und Kopftuch, zeigt stolz, was die Frauen in Gläsern für den Winter eingemacht haben. Auf Tüchern werden Apfelschni­tze getrocknet. Eine Saftpresse und eine Abfüllvorr­ichtung kann sich Bönisch hier ebenfalls vorstellen, doch dafür ist kein Geld da. Eine alte Anlage als Spende müsste sich doch finden.

„Nein, eher nicht“, sagt der Allgäuer mit Blick auf das Problem vieler Hilfsorgan­isationen, die vor allem vor Weihnachte­n Nutzloses erhalten, was andere loswerden wollen. Vieles funktionie­re nicht, müsse aufwendig repariert oder entsorgt werden.

Im Dorf Kum, wo die Frauen kürzlich noch Kübel schleppen und am Fluss Wäsche waschen mussten, sammeln sie für die 275 Haushalte nun Trinkwasse­r in einem eingezäunt­en Betonreser­voir, aus dem es den Bewohnern zur Verfügung gestellt wird. Wasserzähl­er regeln den Verbrauch. „Die Qualität ist besser als in Duschanbe“, sagt Furkat Kurbonov, der Gebietsman­ager der Welthunger­hilfe. Das öffentlich­e Netz in der Hauptstadt gilt Unvorsicht­igen als Garant für Durchfall.

Sogar in Roghich weit oberhalb des Goldbergwe­rks soll bald der Verbrauch des Stroms aus Wasserkraf­t registrier­t und ein Abrechnung­swesen eingeführt werden. „Wenn etwas umsonst ist, hat es für die Menschen keinen Wert“, meint Bönisch und sagt Servus. Der Dorfältest­e legt die flache Hand auf seine Brust und nickt.

 ?? Fotos: Alexander Vucˇko ?? Mitten in der trockenen Mondlandsc­haft wirken diese Baumgruppe­n wie kleine Oasen. Ja, die Landschaft Tadschikis­tans ist fasziniere­nd. Fakt ist aber auch: Das zentralasi­atische Land gilt als ärmste der ehemaligen Sowjetrepu­bliken.
Fotos: Alexander Vucˇko Mitten in der trockenen Mondlandsc­haft wirken diese Baumgruppe­n wie kleine Oasen. Ja, die Landschaft Tadschikis­tans ist fasziniere­nd. Fakt ist aber auch: Das zentralasi­atische Land gilt als ärmste der ehemaligen Sowjetrepu­bliken.
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Joachim Bönisch ist seit neun Jahren in Tadschikis­tan, um zu helfen. Er sagt aber auch: „Wir haben nichts zu verschenke­n.“
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Viele Kleinbäuer­innen in den Bergen sind auf sich allein gestellt.

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