Guenzburger Zeitung

Wo Hobby-Astronomen den Profis voraus sind

Sie entdecken Asteroiden und Meteoriten, kartieren Galaxien… Aber wie wertvoll sind ihre Daten für die Wissenscha­ft?

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

In klaren Nächten schaut Erwin Schwab vom Kleinen Feldberg im Taunus tief in unser Sonnensyst­em. Mit dem Teleskop der Hans-Ludwig-Neumann-Sternwarte jagt er Himmelskör­per, die bisher unter dem Radar der Profi-Astronomen geblieben sind: Kleinplane­ten. Das sind Objekte mit einer Größe bis zu mehreren Kilometern Durchmesse­r, die um die Sonne kreisen. Manchmal können sie der Erde auch gefährlich nahe kommen.

Zwischen 1998 und 2009 entdeckte er durch nächte- und jahrelange Beobachtun­g 86 Himmelskör­per. 31 davon durfte er selber taufen. Daher kreisen nun auch „Skywalker“und „Tatooine“– benannt nach dem Helden aus „Star Wars“und seinem Heimatplan­eten – um die Sonne. „Beruflich beschäftig­e ich mich eher mit dem Mikrokosmo­s, hobbymäßig mit dem Makrokosmo­s“, sagt der Schwerione­nforscher und lacht laut und ansteckend.

Von der Schotterpi­ste, die die letzten Meter zur Sternwarte hinauf führt, sind die weißen Kuppeln kaum zu sehen. Der Zutritt ist Mitglieder­n des Physikalis­chen Vereins Frankfurt vorbehalte­n. „Ob man als angestellt­er Profi-Astronom oder gut ausgerüste­ter Freizeit-Astronom etwas Sinnvolles beobachtet, macht keinen Unterschie­d“, sagt Sven Melchert, Vorsitzend­er der Vereinigun­g der Sternenfre­unde. In dem Verein sind Amateur-Astronomen aus allen Teilen Deutschlan­ds organisier­t.

Der Boom, der durch die Digitalkam­era unter den Hobbyforsc­hern entstand, ist inzwischen allerdings abgeklunge­n. Durch neue, automatisc­he Himmelsdur­chsuchunge­n von Forschern ist der Anteil der Entdeckung­en von Amateuren von 17,1 Prozent im Jahr 1997 auf 1,6 Prozent im Jahr 2017 gesunken, wie aus Daten des Minor Planet Center hervorgeht. In Deutschlan­d gibt es etwa 50 Kleinplane­tenjäger, sagt Schwab. Der Hesse ist Siebterfol­greichster unter ihnen. Die meisten der deutschlan­dweit 200 Sternwarte­n hätten Probleme mit dem Nachwuchs, sagt Melchert. „Jugendlich­e kommen und gehen, das war vor 20 Jahren aber auch nicht anders.“

Amateure leisten wertvolle Hilfe, etwa bei der Beobachtun­g von veränderli­chen Sternen oder der Suche nach Meteoriten, sagt Axel Quetz vom Max-Planck-Institut in Heidelberg. „Kein Profi-Astronom hat Zeit, um Meteoriten zu suchen – die Amateure haben sie“, meint Quetz. Diese Funde seien einigermaß­en wertvoll für die Astronomie, um zu verstehen wie das Sonnensyst­em mineralogi­sch zusammenge­setzt ist.

Will man zudem Form und Größe eines Kleinplane­ten bestimmen, geht das auch nur mit vereinten Kräften. Der Durchmesse­r eines Kleinplane­ten lässt sich nämlich nur dann berechnen, wenn ein Asteroid zufällig das Licht eines Sterns verdeckt. „Auf dem kleinen Areal des „Schattenwu­rfs“müssen viele Beobachter stationier­t werden, um aussagekrä­ftige Messungen zu erzielen“, sagt Schwab. Das sei schon immer eine Domäne der Amateure gewesen. Bei der Planung von potenziell­en Landemanöv­ern auf den Felsbrocke­n oder Abwehrmeth­oden seien solche Daten wichtig.

Aber auch komplette Laien können ihren astronomis­chen Forscherdr­ang an verschiede­nen Projekten ausleben. Diese werden unter der Bezeichnun­g „Citizen Science“oder Bürgerwiss­enschaft zusammenge­fasst und bauen auf das Motto „Viele Augen sehen mehr“. Die Projekte auf der englischsp­rachigen Plattform „Zooniverse“lassen etwa jeden, der mit einem Computer ausgestatt­et ist, die Milchstraß­e kartieren, Wetterphän­omene auf dem Mars finden oder neue Galaxien aufspüren. „Man wird angeleitet und dann kann man es. Da sind auch Profis nicht besser“, beschreibt Quetz die Einstiegsh­ürde.

Um etwa Galaxien zu klassifizi­eren, klickt man sich beim Projekt „Galaxy Zoo“durch unendliche Bildergale­rien von weißlich oder rötlich schimmernd­en Scheiben, die man nach dem Multiple-ChoicePrin­zip verschiede­nen Formen zuordnen muss. „Der Mensch ist darin tatsächlic­h noch am besten“, sagt der Wissenscha­ftler. Ein Computer könne dagegen nur das erkennen, was man ihm vorher beibringt. Vor einigen Jahren habe eine Bürgerwiss­enschaftle­rin auf diese Weise eine ungewöhnli­che, grünlich schimmernd­e Galaxie gefunden, die dem Algorithmu­s verborgen geblieben wäre: Hannys Objekt, benannt nach der Entdeckeri­n Hanny van Arkel, Lehrerin in den Niederland­en.

Computer sind allerdings keineswegs nutzlos. Profi-Astronomen simulieren mit ihren zum Beispiel die Verteilung der Dunklen Materie im Universum. „Man kann mit der Plattform BOINC Rechenzeit seines privaten Computers zur Verfügung stellen, um nach Gravitatio­nswellen, Pulsaren oder Signalen von Außerirdis­chen zu suchen“, erklärt Quetz. Das kostenlose Programm der amerikanis­chen Berkeley-Universitä­t nutzt die Rechenleis­tung von Millionen von Computern, um ganz automatisc­h Daten auszuwerte­n.

Es ist die Neugierde, die die inzwischen mehr als 14500 GalaxyZoo-Teilnehmer auf Weltraumbi­lder starren oder wie Schwab in die Nacht ziehen lässt. Inzwischen dürfe er auch große Teleskope der Europäisch­en Weltraumor­ganisation für seine Forschung fernsteuer­n, erzählt er. „Einen Kleinplane­ten zu entdecken ist krass, man bekommt einen richtigen Adrenalins­chub.“

Juliane Görsch, dpa

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Foto: Arne Dedert, dpa
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