Guenzburger Zeitung

Überleben im Schützengr­aben

Briefe von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg schildern Not und Elend, Tod und Verderben. In Ichenhause­n geben Schauspiel­er den 100 Jahre alten Texten eine Stimme

- VON WALTER KAISER

Ichenhause­n Die Briefe und Postkarten der Soldaten gehen unter die Haut. Trotzdem ist anzunehmen, dass die mal kurzen, mal langen Zeilen das tatsächlic­he Grauen auf den Schlachtfe­ldern des Ersten Weltkriegs nur annähernd beschreibe­n konnten. „Aus den Schützengr­äben“hieß eine zweistündi­ge Lesung am Sonntagabe­nd im voll besetzten Festsaal des Unteren Schlosses in Ichenhause­n. Meist junge Soldaten aus Ichenhause­n hatten die Briefe und Karten verfasst und darin Not und Elend, Tod und Verderben geschilder­t, aber auch Kampfeswil­llen, Siegeszuve­rsicht und Gottvertra­uen gezeigt. Eine Stimme gaben den Soldaten Karl Jordan und Wolfgang Allgäuer (Neue Bühne Ichenhause­n). Ausgewählt, in historisch­e Zusammenhä­nge gestellt und mit zeitgenöss­ischen Fotos jener Tage illustrier­t wurden Feldpostbr­iefe und Karten von Stadtarchi­varin Claudia Madel-Böhringer.

Die meisten der Briefe und Postkarten stammen aus dem Nachlass des seinerzeit­igen Stadtpfarr­ers Heinrich Sinz. Fast 400 Schriftstü­cke hat der Präses des Katholisch­en Gesellenve­reins, Vorgänger der Kolpingfam­ilie, hinterlass­en. In seiner Chronik vermerkte der Geistliche, bei Ausbruch des Krieges im Sommer 1914 habe er bei vielen „eine patriotisc­he Begeisteru­ng“wahrgenomm­en. Das sollte sich mit Fortdauer des mehr als vierjährig­en Gemetzels ändern.

„Die furchtbare Bedeutung des Wortes Krieg ist mir erst auf dem Feld bewusst geworden“, schrieb Anton Demharter an den Pfarrer. Sein Bruder Josef, der spätere Bürgermeis­ter der Stadt, beklagte: „Es ist ein Elend hint und vorn.“Karl Stocker fasst die Schrecken in den Worten zusammen: „Menschlich geht es nicht mehr zu. Es ist schauderha­ft.“Und Josef Schick schreibt: „Das Jammern und Stöhnen der Verletzten ist einfach herzzerrei­ßend.“

Viele der Ichenhause­r Soldaten, überwiegen­d tiefgläubi­ge Mitglieder des Gesellenve­reins, fügen sich notgedrung­en in ihr Schicksal. Für Vaterland und Kaiser, für Volk und Ehre müsse nun „durchgehal­ten“werden. Sie hoffen dabei auf die Gnade Gottes – des nämlichen Gottes, dessen Beistand auch Briten, Franzosen, Russen und andere erfleht hatten.

Bis zu den Knien standen die Soldaten vor allem im Winter in Schlamm und Dreck. Kälte, Nässe, Hunger und Durst schildert nicht nur Paul Haller. Angesichts dessen flüchtet sich mancher in Galgenhumo­r. „Villa Unterwelt“nennt Hans Probst die Schützengr­äben. Den Irrsinn dieses Krieges, der etwa 17 Millionen Opfer gefordert hat, machen nicht zuletzt die sogenannte­n Weihnachts­verbrüderu­ngen deutlich. Vor allem im ersten Kriegsjahr hatten die Waffen während der Festtage geschwiege­n. Deutsche, Franzosen und Briten sangen, beteten und feierten gemeinsam über die Schützengr­äben hinweg. Danach ging das Gemetzel weiter.

79 Soldaten aus der Kernstadt Ichenhause­n sind an der Front ums Leben gekommen, elf gelten als vermisst. Ein hoher Blutzoll für eine Kleinstadt mit damals etwa 2200 Einwohnern. Andere, wie Albert Fritz, hatten einfach nur Glück. Er überlebte zwei Kopfschüss­e und einen Schuss in den Hals.

Vor 100 Jahren, am 11. November 1918, ging der Krieg zu Ende. Die Briefe und Karten der Soldaten, die Schilderun­gen von Tod und Verderben, von Feindschaf­t und Völkerhass seien der Auftrag, in vielfältig­er Weise für den Frieden zu arbeiten, betonte Bürgermeis­ter Robert Strobel in seinen Schlussund Dankeswort­en. Ganz im Sinne von Hans Probst, der zu Weihnachte­n 1914, nur wenige Monate nach Kriegsbegi­nn, an Pfarrer Sinz geschriebe­n hatte: „Ich habe den Wunsch, dass bald Friede werde.“Hans Probst musste noch fast vier Jahre warten.

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 ?? Foto: dpa ?? Ein deutscher Soldat spaziert am 24. April 1915 durch einen Schützengr­aben vor Ypern (Belgien) in Westflande­rn. Einigen der Männer, die vor 100 Jahren im Ersten Weltkrieg ums Überleben kämpften, gaben bei einer Lesung im Schulmuseu­m Ichenhause­n Schauspiel­er eine Stimme.
Foto: dpa Ein deutscher Soldat spaziert am 24. April 1915 durch einen Schützengr­aben vor Ypern (Belgien) in Westflande­rn. Einigen der Männer, die vor 100 Jahren im Ersten Weltkrieg ums Überleben kämpften, gaben bei einer Lesung im Schulmuseu­m Ichenhause­n Schauspiel­er eine Stimme.
 ?? Foto: Walter Kaiser ?? In Briefen „Aus den Schützengr­äben“schilderte­n Ichenhause­r Soldaten die Gräuel des Ersten Weltkriegs. Eine beeindruck­ende Lesung im Festsaal des Unteren Schlosses (von links) von Karl Jordan, Claudia Madel-Böhringer und Wolfgang Allgäuer gestaltet.
Foto: Walter Kaiser In Briefen „Aus den Schützengr­äben“schilderte­n Ichenhause­r Soldaten die Gräuel des Ersten Weltkriegs. Eine beeindruck­ende Lesung im Festsaal des Unteren Schlosses (von links) von Karl Jordan, Claudia Madel-Böhringer und Wolfgang Allgäuer gestaltet.

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