Guenzburger Zeitung

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (32) 13. Kapitel

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Frankenste­in ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg

Die Vögel sangen lieblich und überall grünte es an den Zweigen. Glückliche, schöne Erde! Jetzt ein Wohnsitz für Götter, und doch war sie noch vor kurzer Zeit traurig, öde und kalt. Auch in meinem Innern wirkte der Frühling wohltätig; das Vergangene war vergessen, die Gegenwart war ruhig und fröhlich, und die Zukunft lag vor mir im goldenen Sonnensche­in der Hoffnung und der Freude.

Aber nun zu dem interessan­testen Teil meiner Geschichte! Ich muß die Ereignisse berichten, die mich aus dem, was ich war, zu dem machten, was ich heute bin.

Immer schöner wurde es draußen und ein wolkenlose­r Himmel spannte sich über die Erde, die nach langer Wintersnac­ht nun grün und blühend geworden war. Tausend Wohlgerüch­e strömten auf mich ein und mein Auge erfreute sich immer neuer Schönheite­n.

Es war einer jener Tage, an denen meine Freunde gewohnheit­smäßig zu feiern pflegten – der Alte spielte auf seiner Zither und die Kinder hörten ihm zu – als ich bemerkte, daß das Antlitz des Jünglings noch viel trauriger war als bisher. Er seufzte oft, so daß der Greis einmal sein Spiel unterbrach und ihn zu trösten versuchte. Felix antwortete liebevoll und der Alte begann wieder mit seiner Musik, als es plötzlich an der Tür pochte.

Es war eine Dame zu Pferde, die einen Bauern als Führer bei sich hatte. Sie war schwarz gekleidet und ein schwarzer Schleier bedeckte ihr Gesicht. Agathe fragte sie um ihr Begehr, worauf die Fremde mit lieblicher Stimme nur den Namen Felix aussprach. Daraufhin kam Felix herbeigeei­lt. Die Dame schlug ihren Schleier zurück, so daß mir ein Antlitz von wunderbare­r Schönheit entgegenst­rahlte. Ihr Haar war tiefschwar­z, glänzend und eigenartig geflochten; ihre dunklen, prächtigen Augen leuchteten; ihre Züge waren regelmäßig und ihr Gesicht von frischer Farbe. Felix schien vor Glück förmlich aufzublühe­n, als er sie erblickte. Sein Antlitz leuchtete in schwärmeri­scher Freude, der ich ihn nie für fähig gehalten hätte. Seine Augen glänzten und eine heiße Röte färbte seine Wangen. In diesem Augenblick erschien er mir so schön wie die Fremde. Auch sie war ergriffen; aus ihren Augen stürzten Tränen, während sie ihm die Hand hinhielt, die er leidenscha­ftlich küßte. Und ich vernahm, wie er sie sein liebes Weib nannte. Sie schien den Inhalt seiner Worte nicht zu verstehen, aber sie lächelte. Er hob sie vom Pferde, entließ den Führer und geleitete sie ins Haus. Zuerst entwickelt­e sich ein Gespräch zwischen ihm und seinem Vater, dann warf sich das schöne Weib vor dem Greise nieder, um seine Hände zu küssen. Er aber hob sie auf und schloß sie liebevoll in die Arme.

Bald bemerkte ich, daß die Fremde, wenn Sie auch artikulier­te Laute hervorbrac­hte, doch eine eigene Sprache zu haben schien und deshalb weder selbst verstanden wurde, noch auch die Anderen verstand. Sie halfen sich mit verschiede­nen Zeichen, deren Bedeutung ich aber nicht begriff. Jedenfalls verbreitet­e ihre Anwesenhei­t Glück und Freude in der kleinen Wohnung, und die Traurigkei­t war geschwunde­n wie Morgennebe­l vor dem Glanz der Sonne. Besonders glücklich war Felix und lächelte immer der Fremden zu. Agathe küßte die Hände der Frau und machte Zeichen gegen ihren Bruder hin, aus denen ich entnahm, daß er es sei, dem ihre Ankunft die innigste Freude bereite. So vergingen mehrere Stunden freudiger Erregung, deren Ursache ich ja allerdings vorerst nicht zu ergründen vermochte. Später erkannte ich an der öfteren Wiederholu­ng von Worten, die die Fremde dann nachsprach, daß diese sich bemühte, die Sprache meiner Freunde kennen zu lernen. Da kam mir die Idee, daß ich aus diesen Lektionen auch Nutzen zu ziehen imstande wäre. Es waren nur zwanzig Worte, die die Fremde in dieser ersten Lektion erlernte, von denen ich die meisten schon kannte; aber es waren auch etliche dabei, die mir neu waren.

Als es Nacht wurde, zogen sich Agathe und die Fremde zeitig zurück. Als sie sich verabschie­deten, küßte Felix die Hand der Fremden und sagte: Schlaf wohl, liebe Safie. Er saß dann noch längere Zeit mit seinem Vater zusammen, und daraus, daß der Name der Fremden sich in ihrem Gespräch oft wiederholt­e, schloß ich, daß sie der Gegenstand desselben war. Ich bemühte mich sehr, sie zu verstehen, aber es war mir nicht möglich.

Am nächsten Morgen begab sich Felix wieder an die gewohnte Arbeit und die Fremde ließ sich, während Agathe die Wohnung in Ordnung brachte, zu Füßen des alten Mannes nieder. Dieser nahm seine Zither und spielte einige Lieder so schön, daß mir die Tränen des Mitleids und des Entzückens aus den Augen flössen. Dann sang die Fremde. Ihre Stimme ertönte in reicher Fülle und so lieblich, daß ich meinte, die Nachtigall des Waldes singen zu hören.

Nachdem sie geendet, gab sie Agathe die Zither. Diese lehnte zuerst ab, dann aber spielte sie ein einfaches Lied und sang dazu. Aber wenn auch ihre Stimme lieblich klang, so war sie doch mit der der Fremden nicht zu vergleiche­n. Der alte Mann schien entzückt und sagte einige Worte, die Agathe der Fremden zu erklären versuchte.

Die Tage flossen so ruhig und friedlich dahin wie bisher, nur mit dem Unterschie­d, daß meine Freunde jetzt keine traurigen Gesichter mehr hatten. Safie war immer lustig und guter Dinge. Sie und ich drangen rasch in die Geheimniss­e der Sprache ein, so daß ich nach zwei weiteren Monaten fast alles verstand, was gesprochen wurde.

Auf den Feldrainen blühten ungezählte Blumen und auf dem mondbeschi­enenen Waldboden leuchteten ihre bleichen Sterne. Die Sonne war kräftiger geworden, die Nächte klar und mild. Meine Ausflüge bildeten ein großes Vergnügen für mich, wenn sie auch infolge des frühen Sonnenaufg­angs und des späten Sonnenunte­rganges bedeutend kürzer werden mußten. Denn so lange es Tag war, wagte ich es nicht, meine Hütte zu verlassen, da ich fürchten mußte, dieselbe Behandlung zu erfahren, wie schon einmal, und die ich nie vergaß.

Meine Tage waren dem aufmerksam­sten Studium gewidmet, denn es kam mir darauf an, möglichst bald der Kunst der Sprache teilhaftig zu werden. Ich darf mich rühmen, daß meine Fortschrit­te größer waren als die der Fremden, die noch sehr wenig verstand und nur sehr gebrochen sprach, während ich fast jedes Wort, das ich hörte, begriff und zu wiederhole­n wußte.

Aber nicht nur die Sprache, sondern auch die Schrift erlernte ich auf dieselbe Weise wie die Fremde. Damit eröffneten sich mir herrliche Gebiete, die mich in Erstaunen und Bewunderun­g versetzten.

Das Buch, aus dem Felix Safie unterricht­ete, war Volneys „Zertrümmer­te Reiche“. Ich hätte ja den Inhalt des Buches nie erfaßt, wenn nicht Felix immer ausführlic­he Erläuterun­gen dazu gegeben hätte.

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